In einer der Arbeits- und Diskussionsgruppen beim Sommertreffen des EBF ging es um die Sozialbewegung, die dieses Frühjahr rund um den Protest gegen das neue Arbeitsgesetz in Frankreich entstanden ist. Hier eine Zusammenfassung der wesentlichen Gedanken dazu.
Bei der Präsentation der französischen Sozialbewegung des Frühlings 2016 haben wir versucht abzuwägen, inwiefern sich diese in eine breitere und längerfristigere revolutionäre Perspektive einschreiben könnte. Diese Fragestellung hat einige zum Schmunzeln veranlasst, andere wiederum zögerten nicht, uns als zu prätentiös einzustufen. In Wirklichkeit ist die Behauptung, revolutionär zu sein, nicht auf unserem Mist gewachsen: Wir denken, dass das Treffen auf diesem Hügel aus diesem Streben entstanden ist; aus dem Willen, ein bisschen über unseren lokalen und spezifischen Tellerrand zu schauen, um gemeinsam nachzudenken, aus verschiedenen Ecken zusammen zu kommen und gemeinsame Pläne zu schmieden. Nicht mit dem Ziel, auf allen Ebenen einer Meinung zu sein, sondern um zu versuchen, unsere verschiedenen Ideen auszutauschen – um gemeinsam und klüger an die französische, aber auch internationale Situation herangehen zu können.
Unser Ansatzpunkt zu dieser Situation war die soziale Bewegung in Frankreich, die am 9. März 2016 angefangen hat und die, wie wir hoffen, nicht zu Ende ist. Wir denken, dass diese Bewegung eine Bresche aufgetan hat, die es erlaubt, einen anderen Weg zu gehen, nach fünf Jahren Inexistenz sozialen Protests in Frankreich und einem erstickenden Klima, das von immer schlimmeren Sicherheitsgesetzen bedingt wird. Wir haben über die Grenzen dieser Bewegung diskutiert, um nach Möglichkeiten ihrer Überschreitung zu suchen. Zum Ersten hat der Protest vom institutionellen Gesichtspunkt aus fehlgeschlagen: Das Gesetz wurde nicht zurückgezogen, was zweifelsohne Konsequenzen für die künftigen Kämpfe haben wird. Zum Beispiel kann man sich vorstellen, dass die nationale Ebene immer weniger Wichtigkeit haben wird, und dass die Auseinandersetzungen in Zukunft in den Unternehmen und den Branchen geführt werden. Zweitens war der aktive Protest sehr schwach: Die Demonstrationen waren nicht massiv genug und die Bewegung konnte nicht alle mitreissen, die genügend Gründe zum Protestieren hätten und haben. Trotzdem nahm das Repressionsaufgebot von Polizei und Justiz, mit dem Argument des Ausnahmezustandes, ein sehr beunruhigendes Ausmass an.
Drei Herausforderungen
Aber natürlich muss auch festgehalten werden, dass trotz dieses politischen Klimas viele Menschen auf die Strasse gegangen sind, trotz der «Linken» an der Regierung und trotz des Propagandafeldzuges der Medien, die versuchten, die Bewegung von A bis Z zu kriminalisieren. Wir hoffen auch, dass nach diesem Frühling niemand einfach nach Hause gegangen oder ruhig in Urlaub gefahren ist, geduldig die Präsidentschaftswahlen abwartend, in einer Mischung von vergeblicher Hoffnung und deprimierender Resignation.
Daher halten wir an der Entscheidung fest, ab Herbst das im März Begonnene weiterzuführen und die Mobilisierung auch auf neue Gebiete auszudehnen. Eine entscheidende Herausforderung für uns ist es, drei wesentliche Problematiken, die auch beim Sommertreffen vergangene Woche im Zentrum der Debatten standen, auf nationaler und internationaler Ebene zu verbinden:
- die soziale Bewegung Frankreichs,
- die Solidarität mit den Migran-t_innen sowie die Möglichkeit einer Positionierung in Bezug auf den Krieg in Syrien (und die Unterstützung derer, die, wie wir selbst, nicht zwischen dem etablierten Regime und Daech wählen wollen),
- die Verteidigung der « ZAD » (zu verteidigende Zone), nämlich des Geländes des Flughafenprojekts von Notre-Dame-des-Landes (Bretagne), wo es darum geht, die politische Mobilisierung in Richtung Unabhängigkeit von Staat und Regierung zu verstärken.
Setzen wir den Anfang fort
Keine dieser Auseinandersetzungen verkörpert in sich eine revolutionäre Bewegung; der Anspruch ist viel mehr, an diesen drei Fronten in die Offensive zu gehen, sie zu verbinden und sich ergänzen zu lassen, um mit mehr Stärke gegen die Zerstörung dieser Welt anzukämpfen.
Das Jahr, das in Frankreich auf uns zukommt, wird in dieser Beziehung wichtig sein. Nachdem die soziale Bewegung die sozialistische Partei (PS) praktisch weggeweht hat und es links aussen eine politische Leere gibt, soll diese auf keinen Fall von den kommenden Präsidentschaftswahlen eingenommen werden. In Bezug auf die «Migrationskrise» muss man mit einer Verschärfung der Situation rechnen, falls die Rechte die Wahlen gewinnen sollte; auch da muss noch vor den Wahlen gehandelt werden. Schlussendlich, was Notre-Dame-des-Landes betrifft, wo sich die Regierung Hollande die Räumung des seit Jahren besetzten Geländes zum Ziel gesetzt hat, werden wir uns behaupten müssen, vielleicht schon in den kommenden Monaten, um dieses Territorium, dieses starke Symbol vieler Hoffnungen, weiterleben zu lassen.
Aber wir sind nicht verrückt; natürlich wird sich nicht alles in einem Jahr abspielen. Es wird sich nicht nach einem grossen Aufstand alles zum Guten wenden. Wir glauben auch nicht an den «Grossen Vorabend der Revolution». Es wird vielmehr darum gehen zu analysieren, was diesen Frühling entstanden ist und zu überlegen, was weiter entstehen soll.
Einer der am meisten gehörten Slogans bei den Demonstrationen dieser letzten Monate war: «Setzen wir den Anfang fort», um zu veranschaulichen dass niemand und nichts die im März freigesetzte Energie erschöpfen kann. Verlängern wir unendlich den Elan und die Kreativität, unsere Bissigkeit und Einfallskraft. Wir werden so aus der Zeit der Dringlichkeit zu einer anderen Zeit, einer langsameren, übergehen müssen.
Und genau hier fühlen wir uns sehr nah einer Bewegung, die in den 1970er Jahren entstanden ist und die damals aus der Hektik der sozialen Unruhen heraustrat und beschlossen hat, sich in einer längerfristigen Temporalität zu situieren, nämlich der des Lebens als Ganzes: Ich rede natürlich von Longo maï, das bedeutet «Es möge lange währen». Hier ist auch das Europäische BürgerInnenforum entstanden. Es ist klar für uns, dass wir mehr mit Euch auf dieser Ebene gemeinsam machen wollen – revolutionär und dauerhaft.