ARBEIT: Das Wesen handwerklicher Fähigkeiten

de Simon Fairlie, 11 avr. 2010, publié à Archipel 164

Oft werden die Ausdrücke «unqualifizierte Arbeit» und «Handarbeit» gleichgesetzt. Aber es ist fraglich, ob unqualifizierte Arbeit in den Tagen existierte, da alles noch von Hand gemacht wurde. Erst als der Arbeiter nur noch eine Komponente der industriellen Produktion wurde, gab es unqualifizierte Arbeit. Sogar Adam Smith[1], der weltweit eloquenteste Vertreter der Arbeitsteilung, erkannte die überragenden Fähigkeiten eines bäuerlichen Handarbeiters an. Nicht nur die Kunst des Bauern, aber auch viele einfache Bereiche der Landarbeit brauchen viel mehr Erfahrung und Fähigkeiten als der Grossteil des mechanischen Handwerks, dessen «Aufmerksamkeit sich von morgens bis abends normalerweise darauf richtet, ein bis zwei einfache Handgriffe auszuführen.»

Es scheint, dass Smith's Theorien, als sie sich verbreiteten, dazu führten, dass Stadtbewohner dachten: «Wenn schon die Fabrikarbeiter ungelernt sind, wie ungelernt müssen dann erst die Bauern sein?» Im Jahre 1833 warnte Harriet Martineau, Feministin und Kleinbäuerin, dass aller Ackerbau unter der unqualifizierten Arbeit subsumiert würde, und vierzig Jahre später sprach der Historiker J.A. Froude² über die Arbeit der Bauern auf dem Feld als der «nie-drigsten und unqualifiziertesten Arbeit überhaupt». Es fragt sich, ob J. A. Froud, wenn man ihm einen Spaten in die Hand gäbe, einen Morgen Land3 in 13 Tagen umgraben könnte, wie es nach Cobbett4 die Norm für einen fähigen Arbeiter war. Gibt man sich die Mühe zu recherchieren, wozu Handarbeiter vor der Entwicklung von Maschinen fähig waren, entdeckt man, dass ihre Leistung oft ungeheuerlich war. Nach Gervase Markham war der Tagesdurchschnitt, einen halben Hektar reiche Wiese oder einen Hektar Magerwiese zu schneiden, was 13 Quadratmeter pro Minute bedeutet. Heutzutage gibt es wenige Menschen in Großbritannien, die diese Geschwindigkeit länger als zwei Minuten durchhalten und noch viel weniger 720 Minuten.

Oder zum Vergleich der Bericht eines Holzfällerbetriebs in Maine: «In den Zeiten von Zimmermannssäge und Axt arbeiteten je zwei Holzfäller mit ihren Zugpferden an der Gewinnung von Holz für die Papierproduktion zusammen. Während sich der Eine im Wald um das Fällen, Entasten und Schälen kümmerte, war der Andere für das Rücken und Stapeln im Hof zuständig. Ein gutes Team machte so 18 Ster am Tag.»

Die Zimmermannssäge ist eine hölzerne Bogensäge. 18 Ster entsprechen einem 15m langen, 1,20m breiten und 1,20m hohen Holzhaufen. Dies ist mehr als genug, um eine ganze Familie während eines Winters warm zu halten. An nur einem Tag geschlagen. Die meisten Leute heute hätten große Mühe, eine solche Menge an einem Tag zu stapeln, ganz davon zu schweigen, ihn zu sägen, selbst mit einer Kettensäge.

Die Häufigkeit, mit der man auf solche Einschätzungen trifft, lässt schließen, dass diese Angaben keinesfalls übertrieben sind. An Wettbewerben sägen Teams wie Adam’s Axemen einen Stamm Weichholz von 40cm Dicke in ungefähr 15 Sekunden, schneller als mit jeder Kettensäge. Wenn es möglich ist, dies ein oder zwei Mal zu tun, dann ist es mit viel Übung, Geschick und einer guten Feile auch möglich, diesen Rhythmus den ganzen Tag beizubehalten. Manch einer mag dies für ein zwanghaftes Verhalten - oder eine Gesellschaft, die dies verlangt, als überfordernd bezeichnen- aber auf jeden Fall muss man zugeben, dass es sich hier um eine extrem kompetente Arbeit handelt.

Die Fertigkeiten, welche viele vorindustrielle repetitive Handwerke erfordern, sind sehr komplex. Es gibt deren viele verschiedene, dennoch können sie in Kategorien zusammengefasst werden.

Strategie

In den 1980er Jahren waren zwei nur mit Schaufeln bewaffnete Arbeiter fähig, mehrere Kubikmeter Beton für ein Fundament zu mischen, was bei weitem billiger war, als die heute fertige Mischung. Dies verlangte eine bestimmte Fertigkeit, mit der Schaufel umzugehen, aber mehr als bloße Muskelkraft, war strategisches Können gefragt. Es brauchte ein Verständnis der Materialeigenschaften -Betonzuschlag, Zement und Wasser- und das Wissen darum, wann genau, in welcher Menge und welcher Reihenfolge das Material zu vermischen ist, um eine möglichst beständige Masse bei minimalem Aufwand zu erhalten. In der Landwirtschaft sind solch strategischen Überlegungen zu Beginn der Saison, das heißt lange vor dem Pflanzen, durchzuführen. Alles wird genauestens kalkuliert, um die besten Resultate auf einer gegebenen Fläche zu erhalten.

Werkzeugseinstellung

Ein wesentlicher Teil der Kunst des Pflügens liegt im Wissen um die verschiedenen Einstellungen des Pfluges. Ein Pflug für zwei Pferde, wenn die Tiefe und Breite des Pfluges eingestellt und die Tiere ihre Arbeit gut kennen, kann eine perfekte, gerade Furche ziehen, ohne dass der Pflüger weder Zügel noch Pflug angefasst hat. Um eine so wirksame Übertragung der menschlichen Muskelkraft zu erreichen, müssen Werkzeuge perfekt geformt, geschärft und angepasst werden. Formgebung und Schleifen einer Axt, Sense oder einer Säge ist keine einfache Angelegenheit; so gibt die Gebrauchsanweisung für Sandvik-Sägen5, erschienen im Jahre 1920, 17 verschiedene Schritte für das Schleifen an.

Das Werkzeug muss an die Größe und Haltung des Benutzers sowie den Arbeitsbedingungen im Gebrauch angepasst werden. Ein Spruch besagt, dass ein Mann seine Sense niemandem ausleihen kann, genauso wenig wie sein Gebiss. Leider ist heutzutage die Ausbildung in diesem Bereich völlig unzureichend. Der Grossteil der Menschen heute lernt, die Schaufel mit dem Handrücken der linken Hand gegen den Boden zu gebrauchen, dabei machte es der Fachmann einst genau andersherum. Sandvik verkauft nun seine Sägeblätter mit der Aufschrift, sie könnten nicht mehr geschliffen werden - ohne einen Hinweis darauf, dass die Dauer der Nutzbarkeit der Blätter durch die Einstellung der Zähne mit einer Zange verlängert werden könnte.6

Geschick

Mithilfe einer gut organisierten Strategie entwickelt ein begabter Arbeiter eine hervorragende Feinabstimmung von Körper und Werkzeug. Wenn eine einzige sich wiederholende Geste oder eine einzelne Bewegung eines Gerätes nur zwei Sekunden braucht oder zwei Kalorien und dann um eine Zehntelsekunde, eine Sekunde oder eine Kalorie abgekürzt wird, bedeutet dieses einen gewaltigen Eingriff. Der geschickte Umgang mit dem Werkzeug ist ebenso wichtig, damit alle Mitglieder eines Teams gut aufeinander abgestimmt sind, gleichzeitig arbeiten können, und sich nicht gegenseitig in die Quere kommen. Ich habe einen wunderbaren alten Dokumentarfilm über finnische Mäher gesehen, die, gestärkt durch ein Gläschen Wodka, Seite an Seite ihre Sensen in achttaktigen Bewegungen schwangen, so präzis, dass sie keinen einzigen Grashalm ausließen.

Kraft

Fitness ist gefragt, und Kraft hilft, aber sie spielt niemals eine so große Rolle, wie es Leute meinen, die nie körperlich arbeiten. Einen 50 kg Sack Zement auf den Rücken zu heben ist weniger eine Frage der Kraft als des Wissens, wie man ihn vom Boden auf seine Schultern hebt, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Wenige Frauen wissen, wie ein Zementsack zu heben ist, dafür können sie aber im Gegensatz zu den meisten Männern viel besser einen Hügel mit ihrem Kind unter dem Arm hinauf rennen, weil das Kind genau weiß, wie es sich halten muss, um das Gleichgewicht zu wahren. Aus demselben Grund ist es viel einfacher, einen lebenden, mithelfenden Körper zu tragen als einen toten oder einen, der sich sträubt.

Wiederholung

Es gibt die weit verbreitete Annahme, dass repetitive Handarbeit unqualifizierte Arbeit sein muss, wahrscheinlich weil unqualifizierte Maschinenarbeit repetitiv ist. Jedermann, der je einmal bezahlte Arbeiter oder auch freiwillige Arbeiter angestellt hat, weiß, dass sogar die einfachsten landwirtschaftlichen Arbeiten wie Äpfel lesen oder Kartoffeln ausgraben, ein bestimmtes Niveau an Fähigkeiten verlangen, und es dabei große Unterschiede in der Leistung gibt. Anspruchsvollere Formen von monotonen Arbeiten erfordern eine Lehrzeit. Ein junger Mann brauchte fünf Jahre, um zu lernen, wie man mit einer Sense umgeht, bevor er gut genug war, um in einer Gruppe zu arbeiten. Hersteller von Zelt-Heringen lernen, einen guten Hering mit 17 Messerschnitten zu fabrizieren (manche behaupten, dass 16 genügen).

Der Handwerker, der einzigartige Objekte erfindet und herstellt, muss über Fähigkeiten verfügen, die andere Arbeiter, welche immer wiederkehrende Handgriffe vollführen, nicht brauchen. Aber repetitive Arbeiten erfordern andere Fähigkeiten. Jeder kann mit einem scharfen Messer einen gebrauchsfähigen Zelthering produzieren; jedoch effizient Tausend gleiche davon herzustellen, ohne sich zu langweilen, ist etwas anderes. Adam Smith beschreibt professionelle Nagelmacher, die ohne jegliche Erfahrung im Schmiedehandwerk 2.300 Nägel am Tag produzierten, wogegen ein durchschnittlich begabter Schmied, der noch nie in seinem Leben Nägel in großen Mengen hergestellt hat, gerade einmal 300 Stück am Tag schafft. Das Beherrschen der Wiederholung unterscheidet den Handwerker vom Künstler. Als 1972 Steinmetz Michael Black mit zwei Helfern die Steine für die bärtigen Köpfe ersetzte, die das Sheldonian-Theater in Oxford umgeben, brauchten sie 300 Stunden für den ersten und 30 für den letzten.

Befriedigung

Die letzte, und für manche die unbegreiflichste Begabung, ist die Fähigkeit, monotone Arbeit zu schätzen. Junge Leute haben damit oft Schwierigkeiten. Eine Möglichkeit ist es, sich Ziele zu setzen, Form sowie körperliche und geistige Leistung unter Kontrolle zu haben, und sich damit zufrieden geben, leistungshemmende Faktoren zu identifizieren und zu beseitigen. Eine andere Motivation kann die Freude an gut gemachten Dingen sein oder wie John Henry7, es besser machen zu wollen als die Maschine, die dich ersetzen soll. Aber für viele ist die magische Motivation: Jeder gehackte Weinstock, jeder Korb gepflückte Äpfel oder jeder gefangene Fisch sind ein Groschen mehr in der Tasche.

Eine andere Art und Weise, monotone Arbeit zu genießen, ist in eine zeitlose Meditation zu fallen. Hierfür braucht es allerdings eine hohe Vertrautheit mit dem Werkzeug, dem Material und der Technik, so dass die Handlung mühelos und instinktiv vor sich geht. Dieser Ansatz kommt in rhythmischen Teamarbeiten zum Ausdruck, bei denen alle Beteiligten wie eine Einheit funktionieren. Diese Arbeitsweise ist in Großbritannien schon ausgestorben wie auch die Lieder, die sie begleiten, und die nun durch Maschinenlärm ersetzt werden. Ironischerweise findet man den gleichen Grad an Koordination im Achterrudern, das mittlerweile ein Sport, früher ein Fortbewegungsmittel und zu seiner Zeit sogar eine Bestrafung war.

  1. Schottischer Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler in der Zeit der Aufklärung, heute als Vater der modernen Wirtschaft angesehen.

  2. Auszug aus «Short Studies on Great Subjects», erste Ausgabe 1868, neu verlegt von der The Minerva Group 2004.

  3. Ein Morgen sind 0,4 Hektar

  4. Britischer Pamphletist, Bauer und Journalist 1763-1835

  5. Säge für zwei Leute, zum Zersägen von Baumstämmen bestimmt. Sandvik war einer der größten Hersteller von Handwerkzeug auf der Welt.

  6. Diese Zange spreizt die Zacken der Säge und verleiht ihnen einen Winkel, sodass die Schnittlinie im Holz breiter ist als das Sägeblatt.

  7. Amerikanischer Volksheld, der im Eisenbahnbau arbeitete und gewettet hatte, mit dem Presslufthammer, mit dem sein Chef seine Mannschaft ersetzen wollte, Schritt zu halten. Er gewann und brach kurz darauf zusammen.