Seit dem 12. Juli 2010 befinden sich in Chile 32 politische Gefangene, Indigenas der Mapuche, im Hungerstreik. Sie sitzen im Gefängnis aufgrund ihres Kampfes für die Rückgabe ihrer Territorien, die von transnationalen Konzernen enteignet wurden (Endesa, Mininco u.a.). Sie sind unter Anwendung der Antiterrorgesetze, die während der Pinochet-Diktatur (1973-1990) im Jahre 1984 erlassen wurden, verurteilt.*
Im 200. Jahr der Unabhängigkeitskriege von Spanien sind die Rechte der Ureinwohner von Chile noch immer beschnitten. Die gerechten und international anerkannten Forderungen der Mapuche würden kriminalisiert, sagte der katholische Priester Fernando Díaz gegenüber der Tageszeitung «La Tercera». Zum Beispiel durch den konservativen Präsidenten Sebastian Piñera, der zwei Jahre alte Anschuldigungen aufwärmte und behauptete, es gebe eine Zusammenarbeit militanter Mapuche mit der FARC-Guerilla. Mit der kolumbianischen Regierung habe er sich geeinigt, die Verbindung zwischen «terroristischen Gruppen» in beiden Ländern zu kappen, sagte Piñera. Damit wiederhole Piñera die Fehler seiner Vorgänger, sagte Díaz, der für die Mapucheseelsorge im Süden Chiles arbeitet.
Zur Zeit sind 106 Indigene verurteilt, im Gefängnis oder stehen vor Gericht, fast doppelt so viele wie vor einem Jahr. Den Mapuche wird unter anderem versuchter Mord, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Gewalt gegen die Polizei, Brandstiftung, Beteiligung an Landbesetzungen und Holzdiebstahl vorgeworfen. Ihr Hungerstreik richtet sich gegen das Antiterrorgesetz, das Untersuchungshaft von bis zu zwei Jahren erlaubt. Den Anwälten wird der Zugang zu den Ermittlungsakten verwehrt, und vor Gericht sagen häufig anonyme Zeugen aus.
Der Hungerstreik zeige «die Verzweiflung der Mapuche, die sehen, dass sich alle Türen schließen und dass es keinerlei Bereitschaft gibt, in einen Dialog zu treten und den Konflikt zuzugeben», sagt Fernando Lira, einer ihrer Anwälte. Díaz wirft der Regierung und den politischen Parteien Unverständnis gegenüber den Indígenas vor. Der prominente Mapuchechef Juan Catrillanca fürchtet, Piñera wolle «die Abkommen mit vielen Gemeinschaften», die in den letzen Jahren unter Michelle Bachelet erreicht worden seien, ignorieren.
Die Mapuche – gut eine Million Menschen und knapp sieben Prozent der chilenischen Bevölkerung – streiten für Selbstbestimmung und Land. Seit der Pinochet-Ära werden sie durch riesige Pinien- und Eukalyptusplantagen großer Zellstoffkonzerne zurückgedrängt, rund zwei Drittel der Plantagen liegen auf ehemaligem Mapuche-Territorium. Die Zellulose wird zur Papierproduktion vorzugsweise nach Asien und Nordamerika exportiert. In der Nähe des Lleu-Lleu-Sees gibt es zudem große Bergbau- und Erdgasprojekte.
Die Justizbehörden messen mit zweierlei Maß. Während die Terrorgesetzgebung zu 90 Prozent gegen die Indigenen eingesetzt wird und ihnen bis zu 103 Jahre Haft drohen, bleiben die Behörden und deren Vertreter bei Vergehen nahezu straflos. Ein Polizist, der 2008 einen Mapuche erschossen hatte, wurde zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt.
Doch mit der Unterdrückung wächst der Widerstand. «Die Mapuche sind nicht mehr dieselben wie vor 20 oder 30 Jahren», sagt Priester Fernando Díaz, «heute haben sie ein viel größeres Bewusstsein für ihre Rechte». Die bevorstehenden Unabhängigkeitsfeiern oder Sonntagsreden über ein multikulturelles Chile betrachten sie mit Argwohn. «Sobald es um politische Themen geht, kommt die Regierung mit Repression», sagt deren Sprecher Enrique Antileo, «das ist der neue Kolonialismus».
In der BRD organisieren seit dem Monat August verschiedene Gruppen Informationsveranstaltungen und Demonstrationen, um auf diese Auseinandersetzungen in Chile aufmerksam zu machen. Am 26. August versammelten sich Menschen in Köln und machten mit einer Performance von Alex Mora, einem chilenischen Künstler, und einer Unterschriftenaktion auf diese unhaltbaren Zustände aufmerksam.
Am 3. September protestierten rund 90 Personen vor der chilenischen Botschaft in Berlin.
Vor der Reinoldikirche in Dortmund informierte eine Gruppe, unterstützt von verschiedenen Künstlern, am 18. September die Vorübergehenden über den Hungerstreik und seine Hintergründe. Am 25. September gab es einen Infostand in Oberhausen und am Abend eine Peña, zu der die Vereinigung der chilenischen Arbeiter eingeladen hatte.
*Quelle: ND vom 24.08.2010/Eigenbericht