147'544 verschiedene Pflanzen werden in Form von Samenkörnern in der Kulturpflanzenbank in Gatersleben in keimfähigem Zustand erhalten. Darunter sind 2'500 Pflanzenarten vertreten. Die Genbank in Gatersleben in Deutschland (Sachsen-Anhalt) ist eine der größten weltweit und betreibt einen regen Austausch von Samenproben mit Genbanken und Züchtern in der ganzen Welt.
Wissen ist Macht und jedes Samenkorn enthält ein «Wissen», welches in Jahrtausenden gewachsen ist, und zwar in jeder Region auf andere Weise. So enthält das Samenkorn einer Weizensorte, die vor 50 Jahren in Italien angebaut wurde, andere Informationen als das Weizenkorn aus Pommern, welches um die gleiche Zeit angebaut wurde. Heute werden beide nicht mehr angebaut, aber ihr Wissen muss erhalten bleiben und ihre Keimfähigkeit, damit dieses Wissen mit der heutigen Umwelt konfrontiert werden kann. Nur einige Dutzend Weizensorten sind zur Zeit weltweit im Handel, hochgezüchtete Sorten, oft hybride Turbopflanzen, deren Nachkommen degenerieren, die nicht mehr ohne Kunstdünger und Insektizide wachsen können. Jede dieser Sorten wird wieder verschwinden, die Krankheitserreger passen sich den Spritzmitteln an, und die Pflanzensorte ist den Krankheiten ausgeliefert. Alle Sorten, die neu gezüchtet werden, entstehen wieder aus älteren Sorten, die in Genbanken gelagert sind. Deshalb ist die Erhaltung der alten Sorten Sache der Genbanken, eine für unsere Nahrungssicherheit grundlegende Aufgabe. Das staatliche «Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung» (IPK), welches die Genbank betreibt, hat darüber hinaus den Auftrag, die Samen öffentlich zugänglich zu machen, und Samenproben auf Anfrage zur Verfügung zu stellen.
Rückblick
In der Geschichte des Pflanzensammelns hatte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, lange Zeit das botanische Interesse Vorrang vor den züchterisch-kommerziellen Interessen. In der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entwickelte sich die Züchtungsforschung auf der Grundlage der Mendelschen Vererbungslehre sowie das ökonomische Interesse an Saatgut.
Die Entstehung der Genbank in Gatersleben geht zurück auf die Arbeit der beiden «Kaiser Wilhelm Institute» - für Biologie und für Kulturpflanzenforschung - zwischen 1930 und 1945 und die zahlreichen Expeditionen in alle Teile der Welt. So sammelten die Forscher auf der sogenannten Hindukusch-Expedition im Jahr 1931 systematisch alle Getreidesorten, die sie im Iran und in Afghanistan finden konnten. Im Sommer 1941, kaum mehr als zwei Monate nachdem die deutsche Wehrmacht Jugoslawien überfallen und Griechenland erobert hatte, unternahm eine Gruppe deutscher Botaniker eine Expedition in das zentrale Gebirgsmassiv des Balkans. Die Leitung hatte der Wissenschaftler Hans Stubbe, der nach dem Krieg von der Regierung der DDR mit dem Aufbau der Genbank in Gatersleben beauftragt wurde. Insbesondere richtete sich das deutsche Interesse mit dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion auf die Pflanzensammlungen des berühmten sowjetischen Botanikers und Genetikers Nikolai Wawilow. Er begründete die Theorie der geographischen Genzentren der Kulturpflanzen, das heißt, dass genetische Variation bei den Kulturpflanzen in wenigen Entstehungszentren konzentriert ist. Er hatte im Laufe seiner Forschungsarbeit eine umfassende Sammlung von Kultur- und Wildpflanzen angelegt, die für die Züchtungsarbeit von großer Bedeutung waren. Die inzwischen russische Genbank in St. Petersburg wird noch nach Wawilow benannt und beherbergt die weltweit größte Sammlung genetischer Ressourcen von Kulturpflanzen. Die Rückkreuzung mit den Wildformen einer Pflanze ist auch heute noch eine wichtige Vorgehensweise in der Züchtung, wenn es darum geht, bestimmte Widerstandsfähigkeiten zurückzugewinnen.
Gerade diese Entstehungsgeschichte der Genbank von Gatersleben macht deutlich, dass die Kontrolle über das «pflanzliche Wissen» ökonomische, wissenschaftliche und politisch strategische Bedeutung hat.
Nach der Wiedervereinigung wurde die kleinere westdeutsche Genbank in Braunschweig mit der von Gatersleben zusammengelegt. In Gatersleben selbst werden vor allem Getreide- und Gemüse-
samen erhalten und gelagert, während die Genbank für Kartoffeln nach Groß- Lüsewitz bei Rostock und die für Ölpflanzen nach Malchow ausgelagert sind.
Wie viele andere Einrichtungen der DDR wurden auch die Genbank und ihre Beschäftigten unter der neuen Leitung stark reduziert. Gleichzeitig fand eine Neuorientierung auf die digitale Erfassung und Ordnung der Pflanzen nach genetischen Eigenschaften statt, so dass heute weltweit per Internet die Eigenschaften der in den Beständen der Genbank vorhandenen Pflanzen abgefragt und Samenproben bestellt werden können.
Veränderungen
Diese Modernisierung ist aber nicht die einzige Veränderung in dem Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung. Spätestens seit vergangenem Herbst ist das IPK heftigen Protesten und Kritik ausgesetzt, nachdem bekannt wurde, dass gentechnisch veränderter Weizen versuchsweise auf Flächen des IPK ausgesät werden soll. In Wirklichkeit haben bereits seit mehreren Jahren zahlreiche Versuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen dort stattgefunden, mit dem Unterschied, dass sie nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Erst auf Grund des im vergangenen Jahr erlassenen Gentechnik-Gesetzes musste das IPK seine Freisetzungsversuche bekannt geben. Im gleichen Jahr erfuhr man, dass am Standort der Kartoffel-Genbank in Groß-Lüsewitz mehrere Versuche mit Gentech-Kartoffeln durchgeführt wurden und am Standort der Ölsaaten-Genbank in Malchow Versuche mit gentechnisch veränderten Ölsaaten. Offensichtlich hat die neue Leitung des IPK den ökonomischen Interessen nachgegeben und ihre Bestände für die Gentechnikforschung freigegeben. Das Bundesland Sachsen-Anhalt, in dem Gatersleben liegt, hat dreistellige Millionenbeträge an Fördermitteln für die Ansiedlung von Biotechnologiebetrieben in Gatersleben und rund um die Universitätsstadt Halle ausgegeben.
30.000 Protestbriefe hat das Umweltinstitut von München gegen die Durchführung der Weizenversuche mobilisiert, darunter zahlreiche Bäcker, Müller und Bauern. Sie alle wollen keine Gentechnik im Brot. In den Protestschreiben wird darauf hingewiesen, dass alle alten Weizenbestände, die in der Genbank gelagert und zu ihrer Erhaltung regelmäßig ausgesät werden müssen, von Kontaminierung durch den Versuch bedroht sind. Durch den Einbau von Genen aus der Fababohne und Gerste wurde im Labor der Proteingehalt von drei Weizen-Linien erhöht. Gleichzeitig ist der Weizen gegen ein Totalherbizid des Chemie-Konzerns BASF resistent und enthält als Kennzeichnung für die gentechnische Veränderung die Antibiotika Ampicillin und Streptomycin. Welchen Sinn diese Versuche wirklich haben, ist bisher unklar. Sicher ist, dass sogar die Biosicherheitsbehörde in Brüssel, die oft für die Gentech-Industrie Stellung bezieht, verlangt, dass keine Antibiotika bei der Gentechnik eingesetzt werden. Die Folge des Versuches ist, dass die Genbank nicht mehr garantieren kann, dass ihre Bestände von alten Sorten gentechnikfrei sind.
Reaktionen
Die zahlreichen Proteste haben konfuse und unüberlegte Reaktionen der Verantwortlichen hervorgerufen. Das für die Bewilligung zuständige Bundesministerium hat die Einwendungen der Bürger zurückgewiesen mit dem Argument, dass eine Kontaminierung der alten Sorten nicht ausgeschlossen werden kann, die Sorten seien aber Eigentum des IPK und somit sei das Institut frei, damit zu tun, was es will. Eine schockierende Antwort, wenn man überlegt, wie diese Sorten entstanden sind, bevor sie in dieses Sortengefängnis geraten sind und nun als dessen Eigentum bezeichnet werden. Inzwischen hat der Verein für die Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen, VERN, Klage gegen das IPK eingereicht, weil er regelmäßig aus der Genbank alte Sorten bezieht und vermehrt, aber nicht mehr garantieren kann, dass diese gentechnikfrei sind.
Allein in diesem Jahr werden auf den Flächen der Genbank mit folgenden Pflanzen Gentechnik-Versuche durchgeführt: 1 Versuch mit Tabak, 13 Versuche mit Kartoffeln, 1 Versuch mit Weizen, 3 Versuche mit Erbsen.
Die vier Firmen, die sich auf dem Gelände der IPK Gatersleben in dem letzten Jahr angesiedelt haben sind: sunGene, Novoplant von BASF, Innoplanta und BIO-Mitteldeutschland.
Welchen Einfluss diese Betriebe inzwischen in dem Institut haben, zeigt die Reaktion auf die Klage vom VERN: Man könne ja die Genbank an einen anderen Ort verlagern, damit sie nicht von den Gentechnikversuchen bedroht sei.
Diese Bemerkung ist nicht zufällig: Die Gentechnik-Industrie ist sich durchaus bewusst, dass ihr irgendwann das ursprüngliche Pflanzenmaterial abhanden kommen wird, auf das auch sie angewiesen ist. Deshalb bastelt sie, wie sie sagt, im Auftrag der Weltgemeinschaft, an der Mega-Weltgenbank im ewigen Eis auf der norwegischen Insel Svalbard.
3 Millionen verschiedene Samen will der Global Crop Diversity Trust dort einlagern, und umgibt sich mit dem Schein des Erlösers von Hunger und Armut auf der Welt. Ende 2007 soll der Bau des Projektes abgeschlossen sein, gesucht sind noch weitere Sponsoren. Bisher beteiligen sich die USA, Deutschland, Schweden, Schweiz, Kanada, Australien als reiche Länder, Syngenta und Dupont/Pioneer als Saatgutkonzerne.
In Anbetracht dieses Großprojektes ist es nicht erstaunlich, dass die bisherigen Genbanken immer weniger staatliche Mittel erhalten. Der Abbau in manchen Ländern geht rasant vor sich. In Ungarn werden in diesem Jahr 1000 Birnensorten auf die Straße gesetzt, die russische Genbank bekommt keine staatlichen Gelder mehr und mit wenigen Ausnahmen ist die Situation in den meisten Ländern ähnlich. Die Kontrolle über die Biodiversität ist zu einer strategischen Frage geworden, und einige Konzerne sind dabei, sie in die Hand zu nehmen.
Am 21. Mai 2007 findet eine internationale Protestdemonstration in Gatersleben bei Halle statt (siehe Archipel Nr. 147). Wir laden alle unsere Leserinnen und Leser herzlich dazu ein.
Nähere Informationen und Anmeldungen für die Kundgebung:
Andreas Riekeberg,
Tel.: 05331-77370,
e-mail: a.riekeberg(at)jpberlin.de
oder an: Jürgen Holzapfel,
Hof Ulenkrug, Dorfstr. 68,
17159 Dargun/OT Stubbendorf
Tel.: 039959-23881,
e-mail: ulenkrug(at)t-online.de