Wenn von industrieller Landwirtschaft die Rede ist, denkt man nicht unbedingt an Österreich. Aber doch: Rund um Frauenkirchen, einer kleinen Gemeinde zwischen Nationalpark und ungarischer Grenze, wehrte sich eine Bürgerinitiative erfolgreich gegen ein Agrar-Grossprojekt.
Angekündigt wurde es als das «Modernste Glashaus Europas», mit Öko-Hightech, vielen Arbeitsplätzen, enormen Einnahmen für die Gemeinde und heimischer Produktion statt Importware aus Spanien – alles Argumente, denen sich burgenländische Landwirtinnen und Landwirte üblicherweise nicht verweigern.
Stein des Anstosses war die Art, wie das Projekt durchgezogen werden sollte. Begonnen hatte es damit, dass der Bürgermeister und die Mehrheit des Gemeinderats die dafür notwendige Umwidmung der Grundstücke still und heimlich durchwinken wollten.
Alleine diese Vorgangsweise liess Verdacht auf Vetternwirtschaft aufkommen.
Einige Menschen in Frauenkirchen hatten die Nase voll von Schieberei und Ignoranz einer sich allmächtig wähnenden Partei (SPÖ) samt ihrer Klientel.
Das Mega-Gewächshaus wurde zum Exempel, sich wehren zu können und auf das Mitbestimmungsrecht bei der Entwicklung in der Gemeinde zu bestehen. Und so bekam die Bürgerinitiative erstaunlich viel Unterstützung und österreichweite Aufmerksamkeit.
Jede Menge Ungereimtheiten
In der Gemüseproduktion herr-scht europaweit ein reiner Verdrängungskampf. Auf dem österreichischen Gemüsemarkt gibt es stellvertretend dafür drei «Hauptdarsteller». Mit 14 Hektar unter Glas wollte einer von ihnen auch über die Wintermonate Gemüse erzeugen und ausserdem während der verlängerten Saison im Spätherbst und Frühling die lokale Konkurrenz preislich enorm unter Druck setzen.
M. Putzinger1,gewählt als «Unternehmer des Jahres im Burgenland», Mitglied der gleichen Partei und Sponsor des SP-Landeshauptmanns Hans Niessl, verliess sich darauf, dass die Umsetzung seines Projekts nach dem Motto «eine Hand wäscht die andere» reine Formsache sein würde.
Das Landesumweltamt sowie die betrauten Experten des Landes hatten insgesamt neunzehn befürwortende Gutachten ausgestellt. Die lokalen Medien erwähnten die kritischen Stimmen nicht und schienen sich in den Werbedienst des Projektes zu beugen.
Die Handelsketten betonen durchwegs die Vorteile der heimischen Produktion. Arbeitsplätze und Ökologie waren immer die Hauptargumente.
Diese Übermacht bestärkte die Bürgerinitiative «Freie Sicht auf Frauenkirchen» darin, sich umso mehr mit den Projektdaten aus-einander zu setzen und gleichzeitig unermüdlich auf die demokratischen Defizite und die widersprüchliche Politik hinzuweisen:
- «Heimische» Produktion:
Agrar-Industrie-Projekte brauchen weder reine Erde noch bestimmte Umweltbedingungen. Investiert wird dort, wo es am rentabelsten ist. Windräder und die nahe ungarische Grenze liefern optional günstig Energie und Arbeitskräfte. In diesem Zusammenhang von einem «Regionalen, burgenländischen Produkt» zu sprechen, ist weit her geholt, ja sogar zynisch. Das notwendige Know-how für ein modernes Glashaus kommt aus Holland, von der Technik über die Ausstattung bis zum Düngemittel im laufenden Betrieb. Da bleibt also kaum Wertschöpfung in der Region.
- «Ökologische» Produktion:
Das Projekt war in einem Wasserschongebiet angesiedelt, in einer Region mit fragilen Böden. Auf Hydrokultur gezogene Tomaten werden stündlich bis zu sechs Mal bewässert! Mit dem enormen Verbrauch rund um das Jahr wird der übrigen Landwirtschaft regelrecht das Wasser abgegraben.
Die Entsorgung der «Reststoffe» am Ende des Prozesses wurde nicht ausreichend geklärt. Bei vergleichbaren Projekten besteht die Pflanzengrundlage aus Glaswolle. Als Reststoff werden anteilmässig Zement und Glas auf umliegende Felder gebracht und belasten dort Boden und Grundwasser.
Energieverbrauch und CO2-Ausstoss im Winterhalbjahr sind wesentlich höher als die Umweltbelastung durch LKW-Transporte aus Spanien über 2‘800 Kilometer – und das will etwas heissen!
- «Arbeitsplätze schaffen»:
Die Agro-Industrie kalkuliert mit Niedriglöhnen, in Schichtarbeit wird ein Bruttolohn von 1‘200 Euro gezahlt. Es sind äusserst prekäre Jobs, hier arbeiten meistens Migrantinnen und Migranten sowie Arbeitskräfte aus dem «Osten» Europas.
Gerade diese Arbeitskräfte wurden wiederholt zur Zielscheibe des amtierenden Landeshauptmanns Niessl gemacht. Medienwirksam kritisiert er immer wieder die Freizügigkeit der EU und fordert eine Erschwernis für die Arbeitserlaubnis von «Ostarbeitern». Doch auch er weiss, dass die Landwirtschaft ohne sie nicht auskommen will.2
Beschimpfungen und Drohungen
Mit mehreren Informationsabenden, Broschüren und überregionalen Medien stellte die Frauenkirchner Bürgerinitiative eine Volksabstimmung in den Raum, um den Trend der öffentlichen Meinung umzukehren. Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Agro-Industrie wurden in den österreichischen Medien zwar öfters thematisiert, dennoch gilt in weiten Teilen der Bevölkerung «business as usual».
Einige Personen der Bürgerinitiative wurden wegen ihres Engagements persönlich angegriffen und bedroht. Von «Volksverhetzern, Manipulation und Feinden» war in den Flugblättern des Ortes zu lesen. Die Bürgerinnen und Bürger des Ortes wurden in mehreren Aussendungen dazu aufgefordert, nicht für eine Volksabstimmung zu unterschreiben.
Die SP des Ortes hatte keine Scheu, Unterstützende des Volksbegehrens auf persönliche Konsequenzen hinzuweisen, sollten sie sich am demokratischen Prozess beteiligen. Trotzdem konnten die nötigen Stimmen von 25 Prozent der Wahlberechtigten zeitgerecht gesammelt werden. Damit wurde die Volksabstimmung erwirkt.
Letztlich hat der Bauwerber das Projekt zurückgezogen. Der Gemeinderat musste seinen Beschluss auf Umwidmung zurücknehmen.
Die Bürgerinitiative hat mit ihrer sachlichen Argumentation alle ihre Forderungen durchsetzen können. Darauf legt der Sprecher der Initiative besonders wert: «Konflikte müssen fair und sachlich geführt werden, denn es gibt auch einen Tag danach. Speziell in einem kleinen Ort muss man miteinander auskommen.Wir können viel verlieren, wenn wir nicht für Recht und Freiheit einstehen, wir können aber noch viel mehr gewinnen, wenn wir es tun, und es zahlt sich immer aus, es zu tun.»
Peppi Umathum, Weinbauer, Sprecher der Bürgerinitiative «Freie Sicht auf Frauenkirchen»
&Gabi Peissl, EBF-Österreich
- Name von der Redaktion geändert
- siehe die Broschüre «Willkommen in der Erdbeerernte! Ihr Mindestlohn beträgt...», Gewerkschaftliche Organisierung in der migrantischen Landarbeit – ein internationaler Vergleich. 14 Interviews und Texte in deutscher sowie englischer und rumänischer Fassung. 12 Fotos. Herausgegeben von der Sezonieri-Kampagne für die Rechte von Erntehelfer_innen in Österreich und vom Europäischen BürgerInnen Forum. Zum Download, auf Bestellung und in ausgewählten Buchhandlungen erhältlich.