Anfang dieses Jahres ist es in der tschechischen Stadt Üsti nad Labem mehreren Romafamilien erfolgreich gelungen, sich gegen diskriminierende Wohnungspolitik zu wehren. Nach einer mehrtägigen Hausbesetzung konnten sie mit Unterstützung antirassistischer Aktivist_innen durchsetzen, Wohnraum zu ortsüblichen Mieten zu erhalten.
Der Verlust der Wohnung wegen Baufälligkeit - in dieser Situation befinden sich Roma in Tschechien immer wieder. Menschenwürdigen Ersatzwohnraum gibt es häufig nicht. Die Folgen sind Obdachlosigkeit, Wohnen unter unakzeptablen hygienischen Bedingungen sowie die Inobhutnahme der Kinder. Auch im Fall der Familien von Krásné Brezno, einem Stadtviertel in Üsti, schien es lange so, als würde sich dieses Muster wiederholen. Ungefähr 40 Menschen, darunter viele Kinder, mussten im November 2012 ihre baufälligen Häuser verlassen. Über die Zwischenstation in einer Turnhalle gelangten sie schließlich, wie so viele Roma vor ihnen, in eine «Ubytovna», eine heruntergekommene, herbergsartige Wohnunterkunft.
Demonstration in Prag
Doch auch hier waren sie nicht erwünscht. Der Eigentümer, eine Immobilieninvestmentfirma, kündigte den Familien nur wenige Wochen nach ihrem Einzug zum
- Januar 2013. Bereits am ersten Januar wurde die Strom-, Gas- und Wasserversorgung abgestellt. Die darauf folgende Besetzung der Wohnräume war für die Familien alternativlos, Ersatzwohnraum war nicht auffindbar. Als sich schliesslich am 28. Januar 2013 etwa 150 Demonstrant_innen vor dem Ministerium für Arbeit und Soziales in Prag versammelten, hatte sich die Situation weiter zugespitzt. Eine Räumung in wenigen Tagen galt als sicher. Doch die öffentlichkeitswirksame Aktion, bei der gut ein Dutzend Menschen in das Ministerium eindrangen, verlieh den Roma und den Unterstützer_innen neuen Mut.
Wohl auch wegen des medialen Drucks kam es schließlich nicht zur erwarteten Räumung. Stattdessen wurde den Familien am 3. Februar 2013 von einem Immobilienunternehmen ein saniertes Mehrfamilienhaus zu ortsüblicher Miete anboten. So wurde nicht nur die drohende Obdachlosigkeit abgewendet, auch werden die Familien in Zukunft weniger als die Hälfte der Miete zahlen müssen, die sie zuvor an mafiose Spekulant_innen zu entrichten hatten. Diese Wendung ist zweifelsohne ein Grund zur Freude und ein großer Erfolg für die Roma und die antirassistische Bewegung in Tschechien. Dass ein Vorgang, der eigentlich selbstverständlich sein sollte, eine große Überraschung darstellt, zeigt jedoch, wie weitverbreitet antiziganistische Diskriminierung auf dem «freien» Mietmarkt ist.
Systematische Gettoisierung
Es ist dabei nicht nur der individuelle Rassismus der einzelnen Vermieter_innen, der viele Roma dazu bringt, Bruchbuden zu völlig überteuerten Preisen in oft abgelegener Lage zu beziehen. Die Gettoisierung der Roma ist eine systematische Entwicklung. Gab es 1989 in Tschechien nur rund ein Dutzend «Romagettos», so sind es mittlerweile mehr als 300, in denen schätzungsweise 80.000 Einwoh-ner_innen und damit grob ein Drittel der tschechischen Roma leben. Mögen in manchen Fällen Politi-ker_innen diesem Trend hilflos gegenüberstehen, so sind es in anderen Fällen gerade Lokalpoliti-ker_innen, die sich mithilfe der offenen Förderung der Segregation im Kampf gegen das «Romaproblem» profilieren wollen. Sich für die Roma einzusetzen kann unpopulär machen, und deshalb bleibe die Politik oft untätig, kritisiert die neu gegründete und speziell zu dieser Thematik arbeitende Initiative Wohnraum für alle (Bydleni pro vsechny). Auch ökonomische Interessen spielen für Ausgrenzung und Gettoisierung eine wichtige Rolle. Häufig werden Roma dazu gedrängt, lukrative Wohngegenden zu verlassen. Falsche Versprechungen oder gar Geldprämien dienen dabei bisweilen als Lockmittel. Was für die Spekulant_innen mehr Profit durch Aufwertung der Quartiere bedeutet, bringt für viele Roma soziale Verelendung. Diese Verbindung von rassistischer und sozialer Ausgrenzung zu durchbrechen wird ein langer Weg sein. Doch die Roma wehren sich weiterhin. Und der Kampf gegen den Antiziganismus rückt immer mehr in den Fokus tschechischer antirassistischer und antifaschistischer Aktivist_innen.
Jana Wagner lebt seit 2010 in Prag und ist in der antirassistischen Bewegung aktiv. Jan Tuczek lebt und arbeitet zurzeit in Prag und ist aktiv in der Interventionistischen Linken.
Nachdruck aus der Monatszeitschrift «Analyse und Kritik» Nr. 581 vom März 2013.
rassistische Wohnungspolitik
Anfang dieses Jahres ist es in der tschechischen Stadt Üsti nad Labem mehreren Romafamilien erfolgreich gelungen, sich gegen diskriminierende Wohnungspolitik zu wehren. Nach einer mehrtägigen Hausbesetzung konnten sie mit Unterstützung antirassistischer Aktivist_innen durchsetzen, Wohnraum zu ortsüblichen Mieten zu erhalten.