Am 21. August 2019 wurde die Basler Flüchtlingshelferin Anni Lanz in zweiter Instanz zu einer Busse von 800 Schweizerfranken verurteilt. Das Strafmass ist zwar gering und die härtere Verurteilung, die der Staatsanwalt forderte, wurde abgeschmettert. Aber das Prinzip der Bestrafung von Solidarität wurde bestätigt. Somit reiht sich dieses Urteil in die in ganz Europa stattfindende Kriminalisierung der Solidarität ein. Der Richter hat es verpasst, in einem exemplarischen Fall, Menschlichkeit und die Rettung von Leben zu würdigen.
Die 73-jährige Aktivistin Anni Lanz war bereits im Dezember 2018 vom Bezirksgericht Brig erstinstanzlich wegen Förderung der illegalen Einreise in die Schweiz zu einer Busse von 800 Franken verurteilt worden. Sie legte Rekurs gegen den Entscheid ein. Und so reisten wir, etwa 100 Leute aus der ganzen Schweiz, am 21. August in die Hauptstadt des Wallis zur Gerichtsverhandlung, um Anni unsere Solidarität zu bekunden. Wir wohnten einem traurigen Spektakel bei; der Richter zeigte zwar Mitgefühl für Annis Handlungen, verweigerte jedoch stur die Anerkennung der Ehrenhaftigkeit ihres Engagements. Trotz des ausgezeichneten Plädoyers ihres Anwaltes Guido Ehrler, verneinte der Richter das Vorliegen eines Notstandes kategorisch. Anwalt und Angeklagte prüfen nun gegen das Urteil zu rekurrieren und an das Bundesgericht zu gelangen.
Die frühere Generalsekretärin von Solidarité sans frontières (Sosf) hatte am 24. Februar 2018 versucht, einen afghanischen Asylbewerber in die Schweiz zurückzubringen, der nach Italien ausgeschafft worden war. Der junge Mann hatte der afghanischen Armee angehört und war zu Verwandten in die Schweiz geflüchtet, wo er von der Tötung seiner Frau und seines Kindes in Afghanistan erfuhr. Danach verschlechterte sich sein psychischer Zustand. Anni lernte Tom – wie der Afghane im Prozess genannt wurde – im Ausschaffungsgefängnis in Basel kennen. Ärztliche Gutachten hatten eindringlich empfohlen, den suizidgefährdeten Mann nicht nach Italien zurückzuschicken, sondern ihn in der Nähe seiner Schwester und deren Familie in der Schweiz zu lassen. Dennoch ordneten die Asylbehörden unter Anwendung des Dublin-Abkommens seine Wegweisung nach Italien an.
In Mailand war er – mitten im Winter bei Minustemperaturen ohne Gepäck, warme Kleidung, Papiere und Medikamente – auf der Strasse unterwegs. Als Anni davon erfuhr, entschied sie sich, den Mann in die Schweiz zurückzubringen. Sie fuhr zum Bahnhof in Domodossola, wo er sich inzwischen aufhielt – völlig unterkühlt und in desolatem Zustand. Beim italienisch- schweizerischen Grenzübergang in Gondo wurden die beiden angehalten und Tom wurde, da er weder gültige Reisepapiere noch ein Visum hatte, erneut nach Italien zurückgeschafft. Seither fehlt von ihm jede Spur.
Dieses feige Urteil zeigt die Wichtigkeit des Vorstosses der grünen Abgeordneten Lisa Mazzone, die in ihrer parlamentarischen Initiative verlangt, dass von der Bestrafung bei der Hilfe zur illegalen Einreise abgesehen wird, wenn dahinter keine finanziellen, sondern ehrenwerte Motive stecken. Sosf hat eine Petition lanciert, die zum Ziel hat, dieser Initiative Nachdruck zu verleihen. Sie können sie hier aufrufen und unterschreiben.
Anni Lanz sagte während der Gerichtsverhandlung abschliessend, eigentlich müsste nicht sie sich rechtfertigen, sondern die Schweizer Asylbehörden müssten dies tun: «Sie entziehen sich bei Ausschaffungen jeglicher Verantwortung.»
Sie können die Petition hier unterschreiben: http://www.artikel116.mystrikingly.com