Auslagerung der Migration: Auslagerung der Migration

de Bernard Schmid, Paris, 7 févr. 2018, publié à Archipel 266

Eine weitere extraterritoriale Auslagerung der Migrations- und Asylpolitik, weg von der Europäischen Union möglichst weit in die geographische Mitte Afrikas hinein: Das ist im Kern, was der fünfte gemeinsame Gipfel von EU und Afrikanischer Union (AU) am 29. und 30. November 2017 in Abidjan ergab.

Und dies unter pseudo-humanitärer Berufung auf das Drama, das subsaharische Migranten derzeit in Libyen durchleben, wo die Versklavung von Migrationswilligen in den letzten Wochen einen internationalen Skandal ausgelöst hat (siehe Artikel oben).
Genauer gesagt handelt es sich nicht um ein direktes Ergebnis des Gipfeltreffens, bei dem – wie bei solchen Showveranstaltungen mitunter üblich – eher wenig Konkretes herauskam. Zwar waren die Themen auch dort Migration sowie die Situation in Libyen, und zum Abschluss des Treffens von 60 Staats- und Regierungschefs sowie insgesamt 90 Delegationen wurde eine Erklärung mit «vier Prioritäten» verabschiedet. Diese enthält jedoch nur Allgemeinplätze, wie sie in ähnlichen Texten seit Jahren oder eher Jahrzehnten auftauchen. So soll Migration eingedämmt werden, indem den Afrikanerinnen und Afrikanern durch Investitionen und der Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in ihren Herkunftsländern eine Perspektive geboten wird. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach in diesem Zusammenhang davon, die Betreffenden und vor allem die afrikanische Jugend könnten dann «ihr Glück in Afrika finden». Wunderschön klingende Lippenbekenntnisse, wie sie in noch jeder Sonntagsrede zum Thema «Bekämpfung von Fluchtursachen» auftauchen.
Verhinderung einer Opposition
Wesentlich konkreter fiel unterdessen die Repressionserfahrung, welche die örtliche «Zivilgesellschaft» – um einen viel strapazierten, und ansonsten bei solchen Gipfeln positiv besetzten Begriff zu benutzen – im Zusammenhang mit dem Gipfel machen musste. Am 28. November 2017 sollte in der Wirtschaftsmetropole der «Côte d’Ivoire» (Elfenbeinküste), wo auch das offizielle Gipfeltreffen stattfand, ein Gegengipfel «von unten» mit eintägigem Vorsprung vor der Gipfeleröffnung beginnen. Dieser wurde allerdings durch starke Polizeikräfte verhindert, die bereits ab fünf Uhr den Veranstaltungsort, das Gewerkschaftshaus im Stadtteil Treichville, okkupierten. Die Repressionskräfte des als ebenso wirtschafts- wie frankreichfreundlich geltenden Präsidenten Alassane Ouattara verboten den ausländischen Delegationen den Zutritt, beschlagnahmten die Mobiltelefone einiger der Teilnehmenden und zerschlugen technische Geräte, die für die Konferenz genutzt werden sollten.
Unterdessen wurden die versammelten Staats- und Regierungschefs bei einem eher informellen Treffen, das am Rande des Gipfels im Zusammenhang mit der Migrationsproblematik und den Vorgängen in Libyen stattfand, wesentlich präziser: Rund um den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini, den AU-Generalsekretär Moussa Faki Mahamat sowie mehrere regionale Staatschefs – unter ihnen die Oberhäupter der Republik Niger und des Tschad, Mahamadou Issoufou und Idriss Déby – beschloss die Runde, einen Vorstoss für die in Libyen bedrohten Migrantinnen und Migranten zu starten. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wirkte bei dem Plan mit.
Rückführung ins Ursprungsland
Im Kern handelt es sich dabei schlicht um eine Rückführungsinitiative: Von der Prämisse ausgehend, es sei eine strikte Trennung zwischen «reinen Wirtschaftsflüchtlingen» und «politischen Exilierten» möglich und Erstgenannte machten angeblich 80 Prozent der sich in Libyen Aufhaltenden aus, soll diese Gruppe in ihre Ursprungsländer zurückbefördert werden. Auf freiwilliger Basis und zunächst für 15´000 von ihnen. Dazu gibt es bescheidene «Rückkehrhilfen» als finanziellen Anreiz. Eine Gruppe von vierzig Staatsbürgerinnen und -bürgern Nigerias wurde auf dieser Grundlage bereits kürzlich ausgeflogen. Jenes Fünftel der in Libyen blockierten Geflüchteten, das – dem Axiom der Staatschefs zufolge – in ihren Herkunftsländern als bedroht gelten muss, soll nicht dorthin zurücktransportiert werden. Allerdings auch nicht in die EU oder andere Länder des Nordens, sondern in Auffanglager auf dem Territorium der Staaten Niger und Tschad. Dort soll dann nach Resettlement-Möglichkeiten für die Betreffenden in einem der Länder des Nordens gesucht werden.
Neokolonialismus
Emmanuel Macron nutzte seine Reise zu diesem Gipfel nebenbei zu seiner ersten offiziellen Visite in der neokolonialen Einflusszone Frankreichs. An der Universität in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, hielt er eine viel erwartete Rede. Dabei stellte er sich ein wenig geschickter an als etwa sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy, dessen Antrittsrede in Afrika – der «Discours de Dakar» vom 26. Juli 2007 – zu einer äusserst skandalumwitterten Veranstaltung geraten war. Inmitten der von modernem Leben geprägten senegalesischen Hauptstadt dozierte Sarkozy damals an der dortigen Universität: «Der afrikanische Mensch ist nicht genügend in die Geschichte eingetreten», denn angeblich gebe es «für den afrikanischen Bauern nur den zeitlosen Wechsel der Jahreszeiten», ohne jeglichen anderen nicht-zyklischen Zeitbegriff. Dieser Auftritt löste zahlreiche Proteste aus.
Macrons Berater stellten es wesentlich geschickter an. Im Vorfeld veranstalteten sie ein «micro-trottoir», also eine Umfrage mit offenen Fragestellungen, unter jungen Frauen und Männern in Ouagadougou, um deren Erwartungen auf den Zahn zu fühlen. Wie jeder seiner drei Amtsvorgänger versprach Macron dann, dass es mit der «Françafrique» – also dem französischen alten und neuen Imperialismus in West- sowie Zentralafrika – nun aber wirklich ein Ende haben werde. Seit rund zwanzig Jahren tritt jeder französische Präsident mit dem Versprechen an, die «Françafrique» habe es gegeben, aber eben bis gestern, seit heute sei aber wirklich Schluss damit.
Vorwürfe des Neokolonialismus wehrte Macron ab, indem er jene unter den anwesenden 800 Studierenden, die ihm Fragen stellten, kumpelhaft duzte und hinzufügte, er wolle gar nicht für «Alles» in Afrika verantwortlich sein. Sehr ausweichend beantwortete Macron unterdessen Fragen nach der wirtschaftlichen Abhängigkeit der früheren Kolonien von Frankreich. Nachdem mindestens zwei Fragesteller wissen wollten, warum Staaten der Franc CFA-Währungszone in Afrika mindestens 50 Prozent ihrer Devisenreserven dauerhaft bei der französischen Zentralbank einlagern müssen, antwortete er haarscharf an der Frage vorbei: «Ich habe die Goldvorkommen Burkina Fasos nicht in Paris versteckt, und sollten sie dort sein, dann verratet mir wo!»
Unterdessen wurden vor dem Universitätsgebäude bei Jugend- und Studierendenprotesten Autoreifen verbrannt und anti-neokoloniale Parolen gerufen. Trotz Macrons locker-flockigem Umgangston mit den jungen Menschen in Ouagdadougou dürfte die Kritik vor Ort nicht abgenommen haben.