Am 17./18. Dezember fand in Bern die erste „Landsgemeinde der Migration“ statt (siehe Archipel Nr. 130). Über 200 Menschen von 50 verschiedenen Organisationen aus der ganzen Schweiz und aus dem nahen Ausland nahmen daran teil. Hier finden Sie die Stellungsnahme des deutschen Theologen Wolf Dieter Just über die Kirchenasylbewegung in Deutschland.
In Deutschland ist seit 1.Januar 2005 ein neues Zuwanderungsgesetz in Kraft. Diesem Gesetz ist ein fast vierjähriger, kleinlicher Parteienstreit vorangegangen. Eigentlich ist es ein „Zuwanderungsbegrenzungsgesetz“, denn schon Satz 1 bringt die Absicht klar auf den Punkt: „Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland.“ (§1,1) Die wenigen Möglichkeiten, die das Gesetz Zuwanderungswilligen öffnet, sind vor allem wirtschaftlich motiviert. Deutschland will z.B. im globalen Kampf um die „besten Köpfe“ mithalten und öffnet unter bestimmten Voraussetzungen hochqualifizierten Wissenschaftlern die Tore. Außerdem kann einem Ausländer zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn „ein übergeordnetes wirtschaftliches Interesse besteht.“ Diese Voraussetzung ist gegeben, „wenn mindestens eine Million Euro investiert und zehn Arbeitsplätze geschaffen werden“ (§21 AufenthG). Kein bescheidenes Eintrittsgeld!
Im Bereich des „Aufenthalts aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen“ (§§ 22-26), d.h. im Asylrecht, sah es zunächst so aus, als ob Kirchen und Flüchtlingsinitiativen trotz einiger Verschärfungen (z.B. dem „Asyl auf Zeit“) auch positiv etwas erreicht hätten:
geschlechtsspezifische und nichtstaatliche Verfolgung werden im Gesetz als Asylgründe anerkannt;
es gibt eine Regelung für humanitäre Härtefälle;
Kettenduldungen sollten abgeschafft werden.
Ende der Toleranz Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Gesetz sind allerdings ernüchternd: Die viel gerühmte Anerkennung geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung hat in den ersten 11 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht einmal 80 Flüchtlingen geholfen, einen Aufenthaltsstatus zu erhalten. Die seit langem geforderte Härtefallregelung ist eine Kann-Bestimmung und wird von einigen Bundesländern überhaupt nicht angewandt, in anderen so, dass die Kommissionen zur Prüfung von Härtefällen nur Empfehlungen aussprechen dürfen, die von den politisch Verantwortlichen übernommen aber auch abgewiesen werden können. Die Kommissionen haben also sehr bescheidene Befugnisse.
Vor allem aber sind sie überhaupt nicht in der Lage, die riesige Zahl der Fälle zu bearbeiten, die unter humanitären Gesichtspunkten geregelt werden müssten – hier geht es insbesondere um rund 220.000 geduldete Flüchtlinge in Deutschland! Ihr Schicksal wurde durch das Gesetz nicht geregelt, weil man sich nicht einigen konnte. Sie leben weiterhin in totaler Ungewissheit. Die Duldung ist in Deutschland kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich die „Aufschiebung einer Abschiebung“ (beziehungsweise „Ausschaffung“, wie Sie in der Schweiz sagen). D.h. wer geduldet ist, muss jederzeit mit seiner Ausschaffung rechnen. Regelmäßig (vierteljährlich, halbjährlich) müssen Geduldete bei den Ausländerämtern erscheinen, um ihre Duldungen verlängern zu lassen. Sie können nie sicher sein, dass dies auch geschieht.
Kirchen, Pro Asyl und andere Organisationen der Flüchtlingshilfe kämpfen seit Jahren für eine Bleiberechtsregelung für diese Menschen. Es handelt sich um Flüchtlinge, die im Asylverfahren nicht anerkannt worden sind, trotzdem aber nicht zurückkehren können, weil sie z.B. krank bzw. traumatisiert sind oder weil die Lage im Herkunftsland noch viel zu unsicher ist – wie z.B. im Irak, Afghanistan und Kosovo, oder weil andere Abschiebehindernisse vorliegen. Viele dieser Flüchtlinge leben mit ihren Familien in Deutschland schon 10 Jahre, 15 Jahre und noch länger. Sie sind längst integriert, ihre Kinder in Deutschland geboren und aufgewachsen.
Es war das erklärte Ziel aller Parteien, dass mit dem neuen Zuwanderungsgesetz diese sogenannten „Kettenduldungen“ abgeschafft werden. Spätestens nach 18 Monaten sollte eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, sofern „der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist“ (§ 25,5 AufenthG). Dieses Ziel wurde völlig verfehlt. Ein Problem liegt im Begriff „unverschuldet“. Fast immer wird Flüchtlingen vorgeworfen, dass sie „schuldhaft“ versäumt haben, Ausreisehindernisse zu beseitigen, oder dass sie nicht „freiwillig“ ausgereist sind.
Die Kettenduldungen gehen also weiter, die Betroffenen leben weiter ohne Aufenthaltsstatus in völliger Unsicherheit über ihre Zukunft. Eine Lebensplanung ist unter diesen Umständen nicht möglich. Seit Inkrafttreten des Gesetzes hat sich die Lage der Geduldeten sogar verschärft: Vielen, die bisher wenigstens Arbeit hatten, wurde die Arbeitserlaubnis entzogen, so dass sie jetzt von öffentlicher Alimentierung abhängen.
Anderen wurde die Ausschaffung angedroht und in etlichen Fällen auch vollzogen. Die Begleitumstände dieser Ausschaffungen sind oft entwürdigend bis menschenverachtend: So wurden z.B. Flüchtlinge „im Morgengrauen im Schlaf überrascht, Kinder wurden aus ihren Betten geholt und z.T. ohne Schuhe und Wäsche abtransportiert. In einem Fall erhielt die Mutter noch nicht einmal Gelegenheit, Windeln für ihr Kleinkind einzupacken“ (Flüchtlingsrat NRW). Familien werden bewusst und gewaltsam von den staatlichen Stellen durch Abschiebung auseinandergerissen. Ein Flüchtling wurde aus stationärer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik abgeholt und ausgeschafft und vieles mehr.
Widerstand Diese Praktiken gehen inzwischen sogar Normalbürgern vor Ort zu weit. Es hat zahlreiche Proteste gegeben. In Freudenberg z.B. haben sich 300 Schüler morgens vor das Haus ihrer Mitschüler aus dem Kosovo gestellt, einen lebendigen Schutzschild gebildet und deren Ausschaffung verhindert – die Roma-Familie lebte seit
13 Jahren in Deutschland.
Beim Kirchenasyl verändern sich die Kriterien, nach denen Gemeinden entscheiden, ob sie Schutz gewähren. War früher das (strenge) Kriterium „Gefahr für Leib und Leben der Flüchtlinge“, so schützt man jetzt auch Flüchtlinge, wenn ihnen „menschliche Härten“ drohen als Folge langjährigen Aufenthalts, der Integration der Kinder u.ä.
Damit bin ich bei meinem eigentlichen Thema: die Entwicklung des Kirchenasyls in Deutschland.
Zur Notwendigkeit von Kirchenasyl Es ist schwer zu verstehen, dass in der deutschen Politik, Öffentlichkeit und Rechtswissenschaft zwar darüber diskutiert wird, ob Kirchenasyl legal ist, dass aber die Gefahren von rechtswidrigen Abschiebungen in Haft, Folter oder gar Tod kaum Beachtung finden. Ausländerreferenten der evangelischen Landeskirchen in Deutschland haben 1998 eine Dokumentation vorgelegt mit Schicksalen von Flüchtlingen, die nach ihrer Abschiebung aus Deutschland zu Schaden gekommen sind – die gefoltert wurden, spurlos verschwunden oder Opfer anderer Menschenrechtsverletzungen geworden sind. (Der Titel: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ - die Frage Kains!). Diese Erfahrungen sind für uns Beweis für die Notwendigkeit von Kirchenasyl als einem ethischen Gebot. Flüchtlinge erhalten in Deutschland nicht den notwendigen Schutz – darum sind in dieser Situation die Kirchen herausgefordert, ihnen beizustehen – auch gegen die Absicht der Verantwortlichen im Staat. Sie leisten „subsidiären Menschenrechtsschutz“ dort, wo staatlicher Schutz versagt. Die Praxis des Kirchenasyls mag nicht legal sein, ist aber legitim, denn die Achtung der Würde des Menschen und die uneingeschränkte Geltung von Menschenrechten sind die höchsten Prinzipien der deutschen Verfassung. Sie zu verteidigen ist nicht nur dem Staat, sondern jedem einzelnen Bürger aufgetragen.
Die Kirchenasylbewegung Die Kirchenasylbewegung in Deutschland ist über 20 Jahre alt. Es begann 1983, als eine evangelische Kirchengemeinde in Berlin drei großen Familien von Palästinensern Kirchenasyl gewährte, die in den Libanon abgeschoben werden sollten, ein Land, in dem damals ein schlimmer Bürgerkrieg tobte. Die Aktion hatte Erfolg – die Palästinenser durften bleiben. Diese Praxis weitete sich bald in ganz Deutschland aus.
Im Februar 1994 fand an der Evangelischen Akademie Mülheim an der Ruhr ein „Bundestreffen der Kirchenasylinitiativen“ statt, an dem 150 Teilnehmer aus allen Teilen Deutschlands teilnahmen – evangelische, katholische und freikirchliche Gemeindevertreter, im übrigen auch Teilnehmer aus der Schweiz und Österreich. Wir beschlossen, bundesweit zusammenzuarbeiten, Erfahrungen auszutauschen, uns gegenseitig zu vernetzen und zu unterstützen, die Öffentlichkeit auf die inhumane deutsche Asylpolitik aufmerksam zu machen und in der Kirche für die Praxis des Kirchenasyls zu werben. Zu diesem Zweck gründeten wir die „Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche“ (BAG Asyl), die bis heute besteht. Ich war über 10 Jahre lang der Vorsitzende (bis zum September 2004). Es war damals genau der richtige Zeitpunkt für eine solche Initiative, denn 1993 ist in Deutschland das Asylrecht drastisch verschärft worden (u.a. durch die Drittstaatenregelung und das Konzept sicherer Herkunftsländer), so dass es sehr schwer geworden ist, als Flüchtling überhaupt ins Land zu kommen und ein faires Verfahren zu erhalten. Dieser Asylrechtsänderung war ein heftiger politischer Streit vorangegangen, in dem unter anderen auch die Kirchen versucht hatten, diese Verschärfung zu verhindern. Viele Kirchengemeinden waren daher für die Asylproblematik sensibilisiert und wussten, dass Flüchtlinge in Deutschland nicht mehr ausreichend geschützt werden. So kam es zu einem starken Anstieg von Kirchenasylen und einem breiten, öffentlichen Streit darüber – in Politik, Öffentlichkeit, Medien und auch in der Kirche. In dieser Situation hat die "BAG Asyl in der Kirche" ihre Aufgabe vor allem darin gesehen, die Akzeptanz für das Kirchenasyl zu erhöhen – sowohl innerkirchlich durch gute, theologisch-ethische Argumentation und außerkirchlich durch Appell an die Achtung von Humanität und Menschenrechten. Mit der Zeit ist es uns gelungen, auch in den Amtskirchen Verständnis für unser Handeln zu gewinnen und Unterstützung zu bekommen.
Inzwischen ist die BAG ein bundesweites Netzwerk von Kirchasylgemeinden und Unterstützern. Sie fördert den regelmäßigen Erfahrungsaustausch der Gemeinden, dokumentiert und evaluiert alle bekannten Fälle von Kirchenasyl, engagiert sich durch theologische, rechtliche und praktische Beratung, durch Öffentlichkeitsarbeit sowie Tagungen und Fortbildungsveranstaltungen.
In der Geschäftsstelle in Berlin wird regelmäßig bundesweit erhoben, wer, wann, wem Kirchenasyl gewährt. Derzeit haben wir etwa 40 Kirchenasyle in Deutschland, durch die über 110 Flüchtlinge geschützt werden. Über zwei Drittel der Kirchenasyle werden Flüchtlingen aus der Türkei, vornehmlich Kurden, gewährt. Zudem haben wir seit einiger Zeit (u.a. in Berlin und Hamburg) Gästewohnungen, in denen wir für begrenzte Zeit (z.B. drei Monate) Flüchtlinge unterbringen, die sehr schnell Schutz brauchen – weil sie z.B. abgeschoben werden sollen, keine Papiere haben etc.
1996 und 2001 legte die BAG empirische Untersuchungen vor „über Erfolg und Mißerfolg von Kirchenasyl“. Darin wurde auf der Basis einer Umfrage bei allen Gemeinden, die bis dahin Kirchenasyl gewährt hatten, der Nachweis geführt, daß in über 70 Prozent der Fälle Kirchenasyl erfolgreich war und Abschiebungen verhindert werden konnten. Etwa 12 Prozent wurden nachträglich als politisch verfolgt anerkannt. Die meisten erhielten eine Duldung (29 Prozent), andere durften noch einmal einen Folgeantrag stellen, oder fielen unter eine Altfallregelung (10 Prozent). Einige (5,5Prozent) erhielten ein Aufenthaltsrecht durch Heirat eines oder einer Deutschen usw. Nur 20 Prozent wurden abgeschoben, sind freiwillig ausgereist oder untergetaucht.
Europa - aber welches? Langfristig wird die Zahl der Kirchenasyle wohl abnehmen, weil es Flüchtlingen nahezu unmöglich gemacht wird, nach Europa zu kommen – die sechs Meter hohen Stacheldrahtzäune von Ceuta und Mellilla sind dafür ein Symbol. Europa wird immer stärker zur Festung gegen Flüchtlinge ausgebaut, der Wohlstand notfalls mit bewaffneten Grenzschützern gegen arme Menschen und Flüchtllinge aus dem Süden verteidigt. Jede Woche erfahren wir von menschlichen Tragödien im Mittelmeer, wo verzweifelte Menschen auf alten, seeuntüchtigen Schiffen versuchen, ins „gelobte Land“ zu kommen und dabei oft ertrinken oder festgenommen werden. Die Zahl der Menschen, die bei diesem Versuch, nach Europa zu gelangen, um ihr Leben kamen, wird auf über 5.000 geschätzt. So nimmt die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa gelangen, kontinuierlich ab – in Deutschland ist die Zahl der Asylbewerber von 438.000 im Jahr 1992 auf 35.000 in 2004 zurückgegangen! Ein Rückgang um 92 Prozent! Damit sinkt natürlich auch die Zahl der Flüchtlinge, die durch Kirchenasyl geschützt werden können.
Am 1.Dezember 2005 hat der Ministerrat der EU einen weiteren, verhängnisvollen Schritt zum Ausbau dieser Festung getan und die sogenannte Asylverfahrensrichtlinie verabschiedet – trotz Widerspruch durch das Europäische Parlament, und leider ohne dass es dazu eine öffentliche Diskussion gegeben hätte. Mit ihr wird die (völkerrechtswidrige) deutsche Drittstaatenregelung von der EU übernommen und an den neuen Ostgrenzen der EU Anwendung finden. Danach werden kurzerhand die östlichen Nachbarn der EU zu „sicheren Drittstaaten“ erklärt. Jeder Flüchtling, der über diese Länder in die EU kommt, wird umgehend dorthin zurückgeschickt, ohne Asyl beantragen zu können, ja ohne überhaupt angehört zu werden mit dem Argument, dass er dort ja schon „sicher“ war. Damit werden für Flüchtlinge nahezu alle legalen Zugangswege nach Europa versperrt. Das ist unser Beitrag zur Bewältigung des globalen Flüchtlingsproblems! Das Europa, das doch so stolz ist auf seine humanitären Traditionen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, von unteilbaren Menschenrechten - Werten, derer es sich so gerne rühmt in den globalen Auseinandersetzungen unserer Zeit. Verliert dieses Europa nicht all seine Glaubwürdigkeit?
Die Frage ist, wie wir - Schweizer, Deutsche, Europäer - damit umgehen wollen? Die erste Antwort könnte sein, dass all diejenigen, die ein Europa der Festungsmauern nicht wollen, sich zusammentun, vernetzen und deutlich in der Öffentlichkeit protestieren gegen diesen Mangel an globaler Solidarität mit armen, verfolgten und gedemütigten Menschen. Die Welt soll wissen, dass es auch noch ein anderes Europa gibt als das der Marktwerte, des Neoliberalismus und der militärischen Interventionen rund um den Globus. Dieser Protest im Namen der Menschenrechte wird durch zeichenhafte Handlungen wie das Kirchenasyl bis hin zu Akten zivilen Ungehorsams verstärkt und öffentlich wahrgenommen. Darum freue ich mich über Ihre Initiative in der Schweiz und hoffe auf gute Zusammenarbeit.
Wolf-Dieter Just
Erste Landsgemeinde der Migration Am 16.12.05 hatte das eidgenössische Parlament in seiner Schlussabstimmung die endgültigen Versionen des verschärften Asylgesetzes und Ausländergesetzes verabschiedet. Die Landsgemeinde der Migration wurde am Tag danach zur ersten öffentlichen Veranstaltung gegen diesen Kniefall der Parlamentsmehrheit vor der Demagogie, dem Rechtspopulismus und der Fremdenfeindlichkeit, die Bundesrat Christoph Blocher verkörpert.
Die OrganisatorInnen kamen weitgehend aus den gleichen Kreisen, die im letzten Sommer, am 18.Juni, die Kundgebung „Wir sind die Schweiz - gegen Blocherpolitik und Fremdenfeindlichkeit“ vorbereitet hatten. An dieser Demonstration nahmen damals in Bern an die 10.000 Menschen teil (siehe Archipel Nr. 127). Jetzt waren wieder verschiedene große Organisationen, Gewerkschaften und Parteien in die Arbeiten einbezogen; den Großteil der Mobilisierung haben aber kleinere Basisorganisationen aus dem Asyl- und Migrationsumfeld geleistet.
Wir formulierten im Organisationskomitee zwei Ziele: Zum einen wollten wir einen Beitrag zur Überwindung der lokalen, geographischen und inhaltlichen Trennungen der verschiedenen Gruppen leisten, die sich für oder mit Flüchtlingen und MigrantInnen einsetzen. Die bekannteste Trennlinie ist der sogenannte Röstigraben (1), der die deutschschweizer Organisationen von den welschen trennt. Es gibt aber auch den „Kantönligeist“. BaslerInnen wissen oft kaum etwas über ihre NachbarInnen im Aargau oder in Thun. Auch AktivistInnnen, die sich heute gegen den Ausschluss der abgewiesenen AsylbewerberInnen aus der Sozialhilfe engagieren, kennen selten die Erfahrungen, welche italienische GewerkschafterInnen auf den Baustellen von Genf bis Romanshorn gesammelt haben, und dies, obwohl sie allesamt mit den gleichen Phänomen von Angst, Misstrauen und Fremdenhass konfrontiert sind.
Zum anderen ging es darum, einige gemeinsame Projekte für die Zukunft zu skizzieren und eine Haltung in der Frage der Referenden gegen die Gesetzesverschärfungen zu erarbeiten (2). Die Bekämpfung der Gesetze war unbestritten, aber gleichzeitig galt es zu überlegen, wie vorgegangen werden soll, damit am Tag X nach voraussehbarer, verlorener Volksabstimmung die MitstreiterInnen, vor allem die jüngeren, sich nicht entmutigt von der „politischen Bühne“ abwenden.
Das Treffen bestand aus drei Teilen: Am ersten Vormittag konnte sich jede Organisation während fünf Minuten kurz vorstellen. Der zweite Teil bestand aus 20-minütigen Redebeiträgen von eingeladenen Gästen und AktivistInnen aus dem In- und Ausland. Und im dritten Teil debattierten neun Arbeitsgruppen über spezifische Projekte und Probleme der Asyl- und Migrationspolitik der Schweiz und Europas. Zum Schluss füllten die Zusammenfassungen der Arbeitsgruppen eine letzte Plenarsitzung. Wir werden in den nächsten Nummern von „Archipel“ einige Redebeiträge abdrucken. In dieser Nummer finden Sie denjenigen des deutschen Theologen Wolf Dieter Just über die Kirchenasylbewegung in Deutschland.
Das Treffen war für die TeilnehmerInnen ein Erfolg. Denn es geht allen so, dass sie in ihren lokalen Auseinandersetzungen mit schwierigen und oft deprimierenden Kräfteverhältnissen konfrontiert sind. Allein zu wissen, dass sich anderswo so viel ähnlich gesinnte Leute gegen die Brutalisierung unserer Gesellschaft engagieren, und mit ihnen persönlich in Kontakt zu kommen, hilft gegen Resignation und Zynismus. Gerade bei der Frage der Referenden gegen das neue Asyl- und Ausländergesetz konnten Ideen wie die eines möglichen AusländerInnenstreiks dazu beitragen, dass wir unseren Widerstand als Teil einer großen Bewegung sehen, in der die Referendumskampagne nur eine kleine Etappe darstellt. Es ging aus vielen Interventionen klar hervor, dass der weit verbreitete Wunsch besteht, sich nicht auf reaktive Kampagnen gegen erneute Verschärfungen und behördliche Willkür zu beschränken.
Die Rösti ist eine Art Pfannkuchen mit gebratenen Kartoffeln, die vor allem in der Deutschschweiz sehr beliebt ist. Mit „Röstigraben“ wird die kulturelle Trennlinie zwischen der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz bezeichnet.
In der Schweiz kann mittels des sogenannten Referendums eine vom Parlament beschlossene Gesetzesrevision bekämpft werden. Wenn es nach der Annahme durch das Parlament gelingt, innerhalb von drei Monaten 50.000 Unterschriften zu sammeln, muss eine gesamtschweizerische Volksabstimmung über die Annahme des Gesetzes entscheiden. Vorhergehende ähnliche Referenden in den 1980er- und 1990er Jahren führten zu Abstimmungsresultaten mit 20 bis 35 Prozent Stimmenanteil für eine offenere Flüchtlings- und Ausländerpolitik.