DOSSIER FRONTEX : No one can stop the rain!

de Marion Bayer (Netzwerk Welcome to Europe), 14 févr. 2012, publié à Archipel 200

Frontex im Einsatz in Nordgriechenland Die nordgriechische Landgrenze zur Türkei ist durch den Plan eines 200 Kilometer langen Zauns bekannt geworden. Kürzlich begannen zudem die Arbeiten für einen Sperrgraben, vorgeblich gegen türkische Panzer gerichtet und daher militärischer Geheimhaltung unterliegend.

Der Grenzfluss Evros/Meriç wird phasenweise von mehr als 200 MigrantInnen täglich überquert und ist damit einer der wichtigsten Orte irregulärer Migration nach Europa. Mit dem Mut der Verzweiflung überqueren die MigrantInnen teils mehrmals den Grenzfluss. Auch die (häufiger werdenden) Rückschiebungen aufgrund eines bilateralen Abkommens zwischen der Türkei und Griechenland halten die Menschen nicht auf. Und selbst der Einsatz von Frontex hat daran wenig geändert. Wie ein afrikanischer Flüchtling sagte: «No one can stop the rain!» Der Einsatz der Frontex-Schnelleingreiftruppen, der sogenannten RABITs (Rapid Border Intervention Teams), in Griechenland im Winter 2010/2011 fand in einem heraufbeschworenen migrationspolitischen Ausnahmezustand statt, der als Kollaps der europäischen Schengengrenze inszeniert wurde. Im Zeitraum des RABIT-Einsatzes von November 2010 bis März 2011 wurden etwa 12.000 MigrantInnen festgenommen, die Griechenland über die Landgrenze von der Türkei aus erreichten. Zuvor hatte die griechische Regierung bewusst ein Szenario erzeugt, in dem durch völlig überzogene Haftdauern die Bilder von überfüllten Polizeistationen und überforderten griechischen Grenzsschützern vom völlig maroden griechischen Asylsystem ablenken sollten, um eine Europäisierung zu erzwingen.

Noteinsatz?

175 europäische Grenzschützer aus verschiedenen EU-Ländern und Norwegen, darunter auch über 50 deutsche Bundespolizisten, sollten die griechischen Kollegen dabei unterstützen, den als gigantisch hoch-stilisierten «Strom» von MigrantInnen über den Grenzfluss Evros zu «managen». Frontex schickte hierfür, entgegen der Selbstbeschreibung, eines reinen Recherche- und Koordinationseinsatzes Busse, Patrouillen-Fahrzeuge, Helikopter und verschiedenes Material, welches zur direkten Unterstützung bei der Grenzsicherung zum Einsatz kam. Der «Noteinsatz» war nach Ablauf im März 2011 jedoch keineswegs beendet: nahtlos schloss sich die Mission Poseidon-Land an. Seit Dezember 2010 sind permanent Grenzschützer aus verschiedensten EU-Ländern in ihren jeweiligen Uniformen an der griechischen Landgrenze im Einsatz.
Die Aktivitäten von Frontex fügen sich widerspruchslos in eine Infrastruktur des Grauens ein. In Arbeitsteilung mit dem griechischen Grenzschutz wurden und werden die irregulären MigrantInnen interniert. Die Bedingungen in den Gefängnissen im Norden Griechenlands müssen in jeder Hinsicht als Verletzung grundlegendster Menschenrechte bezeichnet werden. Über Monate werden MigrantInnen in engsten Räumen eingesperrt, ohne Hofgang, Zugang zu AnwältInnen und medizinischer Versorgung. Immer wieder kommt es zu rassistischen Angriffen durch das Wachpersonal. Misshandlungen von Häftlingen sind an der Tagesordnung. Während der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) die Bedingungen in den griechischen Internierungslagern für grundsätzlich unmenschlich und entwürdigend hält, assistiert die Europäische Grenzschutzagentur Frontex genau jenem Haftregime. Dies hat etwa auch Human Rights Watch im September 2011 veröffentlicht *.
Frontex weiß nicht nur um die Bedingungen in den griechischen Polizeistationen und Lagern – Frontex führt eigene Befragungen von Flüchtlingen genau dort durch. Dabei geht es den aus ganz Europa eingeflogenen Experten aber keineswegs um Asyl oder humanitären Schutz. Vielmehr dient das sogenannte Screening einerseits der Ausforschung von Migrationsrouten, andererseits werden über fragwürdige Herkunftsland-Analysen gleichsam abschiebbare Identitäten produziert: Afghanen werden z.B. häufig zu Iranern gemacht – die Türkei nimmt Iraner eher zurück.
In der Screening-Lotterie beliebig einsetzbar für Afrika scheint Nigeria zu sein – ein Herkunftsland, bei dem die Asylchancen niedrig sind.

Abschiebung der Verantwortung

Der Bürgermeister von Soufli, einer Kleinstadt in Nordgriechenland, sprach kürzlich sehr offen in einem Interview über die lokalen Bedenken gegen die griechisch-europäische Abschottungspolitik: «Wir sind nicht einverstanden mit dem Bau eines Grenzzauns, der voraussichtlich 5-10 Millionen Euro verschlingen wird und höchstens eine Verschiebung der Fluchtrouten zur Folge haben wird. Geld, das wir gerade in dieser Region dringend im sozia- len Bereich benötigen. Wir sind auch nicht bereit, den Bau neuer Screening-Centers hinzunehmen, denn in den Gefängnissen hier – verzeihen Sie die drastische Ausdrucksweise – könnten nicht einmal Schweine leben und wir sprechen über Menschen. Und erzählt uns nicht, dass der Frontex-Einsatz etwas verbessert hat in dieser Region. Jeder hier weiß, dass Frontex hauptsächlich mit dem Ziel der Registrierung hier ist. Damit jeder einen ordentlichen Eingangsstempel von Griechenland bekommt und Griechenland die Verantwortung für den Großteil der Migranten tragen soll, die nach Europa wollen.» Frontex argumentiert, dass sich ihr Mandat nur auf Grenzsicherung und Registrierung bezieht. Für Internierungsbedingungen und Asylsystem sei der griechische Staat zuständig.
Die griechische Regierung verweist auf die Ungleichgewichtung der europäischen Migrations- und Asylpolitik.
Europa verweist auf die Unterstützung, die Griechenland in verschiedener Hinsicht erhalte. Niemand will für die unmenschlichen Zustände verantwortlich sein. Unterdessen kämpfen die MigrantInnen selbst täglich in den nordgriechischen Polizeistationen und Internierungslagern um ihre Rechte und die Freiheit, ihreReise fortzusetzen. Viel zu oft ohne jegliche Öffentlichkeit und mit massiver Repression beantwortet, berichten Flüchtlinge von einem permanenten Ausnahmezustand in den Internierungsgefängnissen: von ständigen Hungerstreiks, Selbstverletzungen, Protesten und Revolten gegen das brutale EU-Grenzregime.
* Human Rights Watch (2011): The EU’s Dirty Hands. Frontex Involvement in Ill-Treatment of Migrant Detainees in Greece. (www.hrw.org)