Am 18. Juni hat das Europäische Parlament neue EU-weite Regelungen über die Rückführung illegaler Einwanderer in ihre Herkunfts- oder Transitländer angenommen. Menschenrechts- und Ausländerorganisationen sind empört. Die Regelungen sehen vor, dass Menschen vor ihrer Ausweisung für einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten1 inhaftiert werden können, ohne Gerichtsverfahren und somit ohne jede rechtliche Rekursmöglichkeit.
Außerdem laufen sie Gefahr, für die Dauer von fünf Jahren aus der EU verbannt zu werden. Von nun an können sie in ihr Herkunftsland, aber auch in ein Land abgeschoben werden, durch das sie gereist sind. Dies erleichtert die Ausweisung, weil mehrere Länder keine bilateralen Verträge zur Rücknahme ihrer abgewiesenen Staatsbürger unterzeichnet haben.
Eine brutale Justiz
Die neuen Maßnahmen verschonen niemanden. Schwangere Frauen, alte oder kranke Personen, Minderjährige – in Begleitung oder nicht – riskieren dieselbe Behandlung: Inhaftierung und Abschiebung (auch allein stehender Minderjähriger) in ein Land, in dem sie weder Familie noch irgendwelche Anhaltspunkte haben. Schwerkranke haben nicht mehr das Recht auf eine automatische Aufenthaltsgenehmigung, wie das bisher in Frankreich der Fall war.
Eine kürzliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeigt, dass die neuen Regelungen offensichtlich auf allen Entscheidungsebenen Europas Anklang finden: Am 27. Mai beschloss der Gerichtshof, dass Großbritannien die 34-jährige AIDS-kranke Frau N. nach Uganda abschieben dürfe, die dazu noch an zwei AIDS-Folgekrankheiten leidet. In Uganda sind 10 Prozent der Bevölkerung HIV-infiziert, die Behandlung erfolgt zulasten der Kranken und kostet etwa 42 Dollar pro Monat in einem Land, in dem der durchschnittliche Monatslohn 23 Dollar beträgt. Ohne Behandlung schätzen die Ärzte die Lebenserwartung von Frau N. auf ein bis zwei Jahre.
Das Gericht sieht zwar ein, dass der Zugang zu medizinischer Betreuung «zufallsbedingt» sein wird, dass Frau N. ein sicherer Tod erwartet, aber dass es sich nicht um «außerordentliche Umstände» handelt, welche die Aufhebung der Abschiebung rechtfertigen. Das Gericht befindet, dass «die Verringerung der Lebenserwartung an sich den Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention über unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nicht verletzt» .
Die Entscheidung stammt von der Großen Kammer, der höchsten Instanz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Sie kann nicht angefochten werden und stellt von nun an einen Präzedenzfall für die Ausweisung von Kranken dar.
- Heute beträgt diese Frist in Frankreich 32 Tage, 85 Prozent der Inhaftierten werden nach 17 Tagen in ihr Herkunftsland abgeschoben.