DOSSIER SOC/ ANDALUSIEN: Hire and Fire im Gemüseparadies Andalusien

de Willi Kemmer*, 14 mai 2008, publié à Archipel 159

Spaniens erster Entsendevertrag für schwarzafrikanische Arbeitskräfte droht zu scheitern. Neun von insgesamt 67 Kontraktarbeitern aus dem Senegal sind bereits nach kaum zwei Monaten ungesetzlich entlassen worden. Sie waren seit dem 27. September 2007 in Pulpi, Provinz Almeria, Kreis Levante, als Erntehelfer für sechs Monate auf verschiedenen Gemüseplantagen eingesetzt.

Trotz der vereinbarten 5,60 Euro gesetzlichen Mindestlohn hatten sie monatlich nur zwischen 175 und 400 Euro in der Lohntüte. Gut 200 Euro Abzug gab es allein für menschenunwürdige Massenunterkunft. Die Kündigungsgründe hießen «fehlender Respekt gegen Vorgesetzte und Kollegen», «mangelndes Interesse an der Arbeit» und «schwache Arbeitsleistung». Mit den Papieren gab es einen Gutschein für den Rückflug am 22.1.08.

Die Gewerkschaft SOC fordert Mindestgarantien für Kontraktarbeit

Gegen den Gemüseher-steller Hortalizas de Al-manzora und den Unternehmerverband COEXPHAL als Arbeitsvermittler erhebt die Gewerkschaft Sindicato de Obreros de Campo schwere Vorwürfe. Auf einer Pressekonferenz wirft sie beiden einen Bruch des Abkommens vor. Das SOC will mit einer Musterklage vor Gericht. Fernando Plaza (SOC-Sprecher Almeria) sagte verärgert: «Das Arbeitsministerium präsentiert uns Leiharbeit als optimale Lösung und kontrolliert dann nicht einmal die Arbeitsbedingungen vor Ort. Die politische Verantwortung trägt Staatssekretär Consuelo Rumi. Die Arbeiter kommen aufgrund von bilateralen Abkommen, und dann herrschen in Spanien erbärmliche Arbeitsbedingungen. Bei Erteilung von Arbeitsvisa für Ausländer müssen die Leute auch arbeiten können, was sie möchten.» Abgeschlossene Arbeitsverträge für Einzelunternehmer seien nicht zulässig.

COEXPHAL wies in einer Stellungnahme jede Verantwortung für die Arbeitsbedingungen von sich. Man sei lediglich als einmaliger Vermittler tätig und gebe dann das Arbeitsverhältnis an das jeweilige Unternehmen ab.

M‚Bai, Architekturstudent aus Dakar, hatte sich seinen Traumjob in Spanien anders vorgestellt: «Täglich standen wir um 5 Uhr auf, von 8 Uhr bis 18 Uhr ging es zur Arbeit ohne jede Pause. Um 19 Uhr waren wir meist erst zu Hause.» 30 Mann mussten sich dort in einem ausgemusterten Bauernhof ein Zimmer teilen «im Winter ohne Heizung», drei Kilometer bis zum nächsten Ort zum Einkaufen oder zum Arzt. Von den vereinbarten 45 Euro am Tag wurden 15 Euro für die Unterkunft abgezogen, blieben 30 übrig. Sie waren auf Abruf tätig: Tage, an denen es keine Arbeit gab, wurden auch nicht bezahlt. Zusammengenommen hat der Vermieter also monatlich 85.000 Euro von den Afrikanern kassiert. «Jeden Tag brachten sie uns von dort, wo wir lebten, etwa hundert Kilometer zur Salaternte nach Baza, Granada oder Murcia.» Schon im ersten Monat wurden fünf Kollegen entlassen, weil es angeblich nicht genug Arbeit gab. Später er und weitere drei, weil sie sich weigerten, einen Vertrag auf Spanisch zu unterschreiben, den sie nicht lesen konnten. Jetzt will er sein Glück auf eigene Faust versuchen, solange das arbeitsgerichtliche Verfahren läuft. Die COEXPHAL will ihm keine weitere Stelle mehr vermitteln. Ob seine Arbeitserlaubnis noch gültig ist, ist aller-dings unklar, ist ihm dabei egal.

Moderner Sklavenhandel statt illegaler Arbeitsnomaden

Spanien wirbt mit Zeitarbeitsverträgen international Erntehelfer an – neuer-dings auch in den Heimatländern der Bootsflüchtlinge. Nach Vorstellungen der Regierung in Madrid sollen diese Zeitarbeitskontrakte das Problem des illegalen Massenexodus (jährlich 6000 Personen registriert) lösen. Staatliche Fördergelder sollen helfen, die abenteuerliche und mörderische Flucht der Menschen über das offene Meer in hochseeuntauglichen Booten in geregelte staatliche Bahnen zu lenken. Zur Lösung der humanitären Krise auf den Kanarischen Inseln und an seiner Südküste verhandelt Madrid mit mehreren westafrikanischen Herkunftsländern über solche Entsendeabkommen.

Mit dem Senegal ist diese Zusammenarbeit bislang am weitesten gediehen. Die Arbeitsministerien beider Länder begannen mit der Auswahl und Entsendung der ersten Arbeitskräfte. Zur Ernteperiode 2007/08 steht dem florierenden ost-andalusischen Agrobusiness nun probeweise erstmals dieser neue Typus von vorselektiertem Saisonarbeiter zur Verfügung - willig und billig. Im Gegenzug können die einheimischen Großbauern auf den bislang üblichen Typus des illegalen Arbeitsnomaden aus Nordafrika verzichten, immer öfter, vielleicht künftig auch ganz. Geht die Rechnung auf, werden dann wohl auch irgendwann die armseligen Hüttendörfer der Wanderarbeiter «abgerüstet». Schon heute praktisch kaum sichtbar, gut versteckt inmitten der großflächigen Gewächshauskulturen. Ihre praktisch rechtlosen Bewohner können bestenfalls rechtzeitig verschwinden - wohin auch immer - oder dem rassistischen Mob überlassen werden. Oder staatlicherseits abgeschoben, wie bereits geschehen - auch ohne Papiere möglich, in das Niemandsland zwischen Algerien, Marokko und Mauretanien.

* W. Kemmer ist Deutscher, Arzt für Orthopädie/Traumatologie. Er wurde vom Hospital de Poniente , El Ejido, nach Spanien geholt und arbeit dort seit mehreren Monaten