Eine rachsüchtige Diktatur

8 mars 2002, publié à Archipel 92

Am 2. Februar 2002 erschienen Hamma Hammami, Sprecher der Kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens (PCOT) und drei seiner Gefährten nach vier Jahren Untergrund vor Gericht, um gegen das Urteil, das sie 1999 in ihrer Abwesenheit verurteilt hatte, Einspruch zu erheben. Der Prozess hat nicht stattgefunden, die Angeklagten wurden brutal aus dem Gerichtssaal entführt. Dies bewies wieder einmal die Verachtung des Regimes von General Ben Ali für die Justiz in seinem Land.

„Sie sitzen auf der Anklagebank. Was braucht es mehr? Warum hat man sie im Gerichtssaal geschlagen? Dieses System ist nachtragend. Das ist Rachsucht,“ empörte sich der Richter Mokhtar Yahiaoui über den Pseudo-Prozess gegen Hammami. Er selbst ist entlassen worden, nachdem er die Unabhängigkeit der tunesischen Justiz in Frage gestellt hatte, und weiß daher, wovon er spricht. Am 13. Januar 2002 wurde eine Ausreisesperre über ihn verhängt. Am selben Tag wurde der „Tunesische Nationale Rat für die Freiheit“ durch eine Polizeisperre gehindert, sich zu versammeln. Seine Sprecherin, Sihem Besedrine, denunzierte den Druck und die Polizeirepression. Es war ein gewöhnlicher Tag. Man musste sich also darauf gefasst machen, dass der Prozess gegen Hammami am 2. Februar keinen gewöhnlichen Lauf nehmen würde.

Zuerst aber, am 30. Januar, erreichte uns die gute Nachricht von der Freilassung Mohamed Moadas, ein „Zentrumspolitiker“, der die Absicht Ben Alis kritisiert hatte, im Jahr 2004 ein viertes Mal für das Präsidentenamt zu kandidieren. Und noch eine angenehme Überraschung: Als die etwa 40-köpfige internationale Beobachterdelegation aus dem Flugzeug stieg, wurde sie nicht sofort ganz offen von zivilen Polizisten beschattet.
Am selben Abend wollten Mitglieder der Delegation dem Präsidenten des Unterstützungskomitees für Hammami, dem Soziologen Hamzaoui, einen Besuch abstatten. Doch hier war das ganze Quartier von Polizisten umzingelt, die den Zutritt zu seinem Haus verwehrten. Die etwa dreißig Personen, die trotzdem versuchten, die Polizeisperre zu durchbrechen, wurden unsanft zurückgewiesen, die Filme der Fotografen beschlagnahmt.
Am nächsten Tag sollte der Prozess stattfinden. Am Morgen kamen die vier Männer der PCOT nach vier Jahren Untergrund beim Gerichtsgebäude an: Hama Hammami, Abdeljabbar El Madouri und Samir Taamallah, die 1999 wegen Zugehörigkeit zu einer verbotenen Vereinigung und Verteilung subversiver Flugblätter zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden waren, und Amar Amroussia, der in eine andere Affäre verwickelt gewesen war. Da standen sie, auf den Treppen des Gerichtsgebäudes, Hammami umarmte seine Töchter und seine Frau, die bekannte Anwältin Radhia Masraoui, inmitten von etwa 100 Personen, die alle große Hoffnungen hatten.
Die vier erklärten, dass sie den Zeitpunkt für günstig hielten, sich wieder aktiv am politischen Leben zu beteiligen und dass ihre Anwälte Einspruch gegen das in ihrer Abwesenheit über sie verhängte Urteil erhoben hatten. Was das Gesetz theoretisch ermöglicht. Es war ein außerordentlicher Morgen. Doch am frühen Nachmittag geschah, was zu befürchten war: Die vier Angeklagten wurden von einem Polizeikommando aus dem Gerichtssaal entführt, noch bevor die Verhandlung begonnen hatte. Die Polizisten gingen sehr brutal vor: Die Anwälte wurden beiseite geschoben, eine Tochter Hammamis zu Boden geworfen, die Journalisten verfolgt und ihre Filme beschlagnahmt, der Kameramann von Arte wurde sogar geschlagen. Zu guter Letzt setzte sich ein Polizist auf den Richterstuhl und forderte die Menge auf, sich zu beruhigen.
Ziel der Entführung war es wahrscheinlich, die Angeklagten hinter verschlossenen Türen abzuurteilen. Doch man hatte nicht mit der heftigen Reaktion der Anwälte und des Publikums gerechnet. Schließlich bestätigte der Richter die Verurteilung zu neun Jahren Gefängnis für die drei Angeklagten von 1999, Madouris Strafe wurde um zwei Jahre verlängert. Er wurde zur Urteilsverkündung nicht einmal mehr in den Saal zurückgeführt. Der Schweizer Abgeordnete Christian Grubet stellte fassungslos fest, dass die Justiz in diesem Land wohl noch nie so mit Füßen getreten worden war. Die Anwälte riefen zu einem Proteststreik am 6. Februar auf, der massiv befolgt wurde.
Drei Tage vor dem Pseudoprozess gegen Hammami hatte bereits eine andere Farce am Militärgericht von Tunis stattgefunden. 34 Tunesier waren „terroristischer Aktivitäten in Verbindung mit dem Netzwerk Bin Ladens“ angeklagt, 31 von ihnen waren abwesend. Als ausländische Beobachterin war nur die Vertreterin von Amnesty International da. Trotz mangelnder Beweise wurden die drei anwesenden Angeklagten zu jeweils acht Jahren Gefängnis verurteilt. Der Richter Yahiaoui meinte dazu, dass die Dossiers leer seien und dass man die Terroristen erfunden habe. Das tunesische Regime will als erstes der arabischen Welt einen Akt der Justiz gegen Al Khaida setzen, aber seine Vorgehensweise ist äußerst plump.
Noch eine dunkle Affäre war die des hohen Funktionärs des Außenministeriums, Ali Saidi, der am 30. Dezember 2001 in Gafsa tot aufgefunden wurde. Offiziell erstickte er während eines Raubüberfalls. Seinen Freunden zufolge ist diese Version völlig unwahrscheinlich, er hatte hingegen den Kontakt mit einem Teil der Opposition aufrecht erhalten.
General Ben Ali spekuliert mit den Auswirkungen des 11. September in einer Art Flucht nach vorne, die durch ein internationales Entgegenkommen erleichtert wird. In Digne, im französischen Departement Alpes de Haute Provence, steht Salah Karker, ein politischer Flüchtling aus Tunesien, weiterhin ohne offensichtlichen Grund und vor allem ohne ein Gerichtsurteil unter Hausarrest, und das aufgrund eines Abkommens, das zwischen Ben Ali und Charles Pasqua vor acht Jahren getroffen wurde! Ein anderer Politiker der Opposition, Mouldi Gharbi, wird in Paris seit 1998 unter ähnlichen Bedingungen festgehalten. Im Dezember ließen die französischen Behörden einen Asylbewerber, der gefoltert worden war, zwei Wochen auf dem Flughafen von Roissy warten, wie um ihn zur Umkehr zu bewegen. Zum „Prozess“ gegen Hammami kam kein französischer Diplomat, während Vertreter der schweizerischen und der amerikanischen Botschaft anwesend waren. Diese Tatsache überrascht umso mehr, als der französische Außenminister, Hubert Vedrine, kurz danach im Parlament erklärte, dass er sehr besorgt sei über den Verlauf der Gerichtsverhandlung und dass er die französischen Botschaft in Tunis beauftragen würde, die Affäre aufmerksam zu verfolgen...
In den letzten Monaten konnte sich Ben Ali auf eine Reihe von Persönlichkeiten stützen, die nach Tunis gereist sind: Jacques Chirac, der Pariser Bürgermeister Delanoe, Philippe Seguin und andere Mitglieder der RPR. Der ehemalige Innenminister Charles Pasqua ist seit kurzer Zeit stolzer Besitzer einer Villa in Sidi Bousaid, die ihm nützlich sein könnte, falls es der französischen Justiz endlich gelingen sollte, ihm aus seinen allen bekannten Machenschaften einen Strick zu drehen. Der Kandidat für die französischen Präsidentschaftswahlen, Jean-Pierre Chevènement, hat sich besonders damit hervorgetan, dass er sich weigerte, Vertreter der Opposition zu treffen. Andere sind diskreter, aber ebenso nützlich, wie zum Beispiel der Rechtsprofessor Roussillon, der kürzlich aus Toulouse anreiste, um dem tunesischen Staatschef zu helfen, eine ihm auf den Leib geschneiderte Verfassung für die Präsidentenwahlen von 2004 auszuarbeiten.
Die Opposition hat also noch einiges zu tun. Es handelt sich vor allem um Vereinigungen der zivilen Gesellschaft, Anwälte, demokratische Frauen, Menschenrechtsliga, unabhängige Aktivisten und Verwandte, die vom Ausland aus Klage gegen die Folterknechte erheben.
Innerhalb der Opposition spürt man aber auch Spannungen. Am 8. Februar kam es zu einem Tauziehen innerhalb der Gewerkschaft UGTT, von der ein Teil versucht, sich vom Regime zu distanzieren, während andere eine neue Organisation gründen wollen. Schließlich wagte es die Mehrheit der UGTT nicht, sich offen gegen das Regime zu stellen und begnügte sich damit, die Tatsache zu kritisieren, dass der tunesischen Menschenrechtsliga ihre Autonomie verweigert wurde.
Die soziale wie auch die wirtschaftliche Situation verschlechtern sich zusehends, darüber können auch nicht die schönen Auslagen in der Avenue Bourgiba hinwegtäuschen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in den nächsten Jahren zu Unruhen unter den Arbeitern und den Ausgegrenzten kommt.
Die Zukunft von Hammami und seinen Freunden hängt nun von der internationalen Mobilisierung ab. Der nächste auf der schwarzen Liste ist der Richter Yahiaoui, der vom Staatsanwalt für den 14. Februar vorgeladen wurde. Sein Dossier ist umfangreich, denn das Regime ist rachsüchtig. Und abstoßend.

Salah M’bo
Französische Menschenrechtsliga