EU versus NATO in Osteuropa

de Nicholas Bell und N. Bardos-Feltoronyi, 25 nov. 2002, publié à Archipel 99

Im Rahmen des Ost-West-Festivals in Die (Departement Drôme, Frankreich) fand vom 4. bis 6.Oktober 2002 das 13. Europäische Treffen statt zum Thema „Osterweiterung der EU – Kosten und Erträge, für welche Projekte?" Nicholas Bell vom EBF traf dort N. Bardos-Feltoronyi, emeritierter Professor der Katholischen Universität von Leuwen in Belgien und Gastprofessor an den Universitäten von Pecs und Miskolc in Ungarn. Im folgenden Interview spricht er über den Konkurrenzkampf zwischen Europäern und Nordamerikanern um den Einfluss in Osteuropa. N. Bell : In Ihrem Vortrag wiesen Sie darauf hin, dass zwischen der EU und der NATO ein regelrechter Konkurrenzkampf besteht.

N. Bardos: In diesem Wettlauf zwischen Europa und den Vereinigten Staaten Amerikas sind letztere vorläufig führend. Im Laufe der letzten 12 Jahre gelang es ihnen, in allen Ländern Mittel- und Osteuropas enorme Militärstützpunkte einzurichten. Man könnte das natürlich positiv sehen und meinen, die Ausweitung der NATO auf diese Länder wäre sinnvoll für die Gesamtsicherheit. Kürzliche Erklärungen der Amerikaner zeigen jedoch deutlich, dass sie nicht beabsichtigen, dieser Organisation zukünftig eine wichtige Rolle im internationalen Sicherheitsbereich zukommen zu lassen. So wurde auch bald nach dem Attentat vom 11.September 2001 das Angebot Europas, gemeinsam gegen den internationalen Terrorismus zu kämpfen, ganz einfach abgelehnt. Und einige Monate später trat Russland de facto der NATO bei.

N. Bell: Abgesehen von Bondsteel im Kosovo gibt es kaum öffentliche Informationen über diese neuen Militärstützpunkte der NATO.

N. Bardos: Die Militärbasis in Tuzla in Bosnien wurde auch über die Presse bekannt. Und gerade diese Stadt hat ein sehr positives Image. Diese Basis verfügt über einen Flughafen und eine vollständige Infrastruktur, bis zu 8000 Soldaten sind hier aktiv. Aber andere Stützpunkte sind weit weniger bekannt, wie z.B. Kumanovo in Mazedonien, die größte Kaserne, die jemals in Jugoslawien bestanden hat mit dem größten Militärflughafen auf dem ganzen Balkan. In Ungarn wurde die erste Militärbasis in Taszàr eingerichtet, und zwar offiziell für die Überwachung Jugoslawiens. Irgendeine Begründung wird immer gefunden, doch das Resultat ist die Präsenz amerikanischer, und nur amerikanischer Soldaten. In Bulgarien haben sie sich in Plovdiv niedergelassen, in einer riesigen Kaserne, die an einer 2-3 km langen Militärtrasse in Richtung Süden gebaut ist. In Rumänien sind sie in Konstanza und in Ploiesti. Eine dritte Basis ist bereits geplant.

Über die Lage weiter im Norden haben wir weniger Informationen. Im Süden Polens und in Szczecin an der Ostseeküste dürften Stützpunkte existieren. Zeugenaussagen zufolge patrouillieren amerikanische Soldaten an der russisch-estischen Grenze, also muss sich auch irgendwo eine Kaserne befinden, um diese zu beherbergen....

Was die tschechische Republik betrifft, habe ich keine genauen Informationen. Die Medien berichteten jedoch über einen Bahnunfall, bei welchem einer der beiden Züge mit amerikanischen Panzern beladen war. Woher sie kamen weiß ich nicht, es waren jedoch Fotos davon zu sehen, und es wurde über die Entschuldigungen der tschechischen Regierung gegenüber der amerikanischen berichtet.

N. Bell: Versuchen einige Länder nicht, internationale Anerkennung zu erlangen, indem sie der EU oder der NATO beitreten? Wie wird ihr Bemühen aufgenommen?

N. Bardos: Zusammenfassend kann man sagen, die EU bringt die Entscheidungsträger der mittel- und osteuropäischen Länder in Schwierigkeiten, während die NATO vorgibt, ihnen diese aus dem Weg zu räumen. Die EU schwenkt drohend ihren 80.000 Seiten dicken Grundsatztext als Beitrittsbedingung, der von rechts wie von links auf - meiner Meinung nach - dumme Art und Weise kritisiert wird. Diese Texte haben schließlich zum Ziel, in unserer komplett „neoliberalisierten" Wirtschaft ein Minimum an Regeln einzuführen. Seit 1980 hat sich in den mittel- und osteuropäischen Ländern ein vollkommen unkontrollierter Kapitalismus mehr und mehr durchgesetzt. Dies hat nicht erst 1989 begonnen. Jegliche Reglementierung brächte daher die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Führungskräfte in Schwierigkeiten. Sie leben in einer extrem korrumpierten Wirtschaft, wo die Mafia zügellos unter legalem Mantel Prostitution, Waffen- und Drogenhandel betreibt. Und die 80.000 Seiten Gesetzestext könnten da einiges verändern.... Würden die Gerichte anders funktionieren, dann wären der Korruption Schranken gesetzt, obwohl ja auch in Westeuropa ziemlich viel Korruption betrieben wird. Deshalb diese Skepsis gegenüber einem EU-Beitritt.

Ein NATO-Beitritt hingegen brächte die Anerkennung durch das große Amerika mit sich, unter der einzigen Bedingung, die Ansiedlung amerikanischer Militärbasen zu akzeptieren. Nicht zu vergessen ist hier auch der Abgang der sowjetischen Militärberater aus den Satellitenländern zu Beginn der neunziger Jahre. In den Verteidigungsministerien aller dieser Länder wurden sie ausnahmslos durch amerikanische Offiziere ersetzt.

Doch was wollen die Amerikaner mit dieser Politik, die übrigens meistens zu finanziellen Lasten der Gastgeberländer geht, eigentlich bewirken? Ich denke, sie wollen vor allem eine Annäherung zwischen Brüssel und Moskau verhindern.

N. Bell: Wieso streben die Regierungen der Länder Mittel- und Osteuropas dann alle den Beitritt zur EU an?

N. Bardos: Eine seit 12 Jahren kontinuierlich wachsende Mehrheit in der Bevölkerung bevorzugt eine Annäherung zur EU gegenüber jener zur NATO. In der Debatte über die NATO melden sich Befürworter der Neutralität oder der Blockunabhängigkeit. Aus diesem Grund werden in keinem dieser Länder Volksbefragungen zu dem Thema durchgeführt. Die EU hingegen ist Europa – so spüren es die Leute. Sie denken, dass eine Zugehörigkeit zu Europa unleugbare Vorteile mit sich bringt. Die Regierungen können in ihren offiziellen Erklärungen daher keine andere Position einnehmen. Eine Ausnahme bildet hier nur eine national-konservative Fraktion, Überbleibsel der Regime, die bis 1848 in diesen Ländern geherrscht haben.

N. Bell : Die USA drohen neuerlich mit einem Krieg gegen den Irak. Werden die osteuropäischen Länder in diesem Konflikt Stellung beziehen, oder gar in irgendeiner Form daran teilnehmen müssen?

N. Bardos: Meine Antwort bezieht sich auf etwas bereits Geschehenes, so muss ich nicht Prophet spielen. Die drei ersten osteuropäischen Länder (Polen, Ungarn und Tschechei) sind der NATO drei Wochen nach Beginn der US-Bombardierungen in Serbien beigetreten. Ich war zu der Zeit in Budapest und habe das Unverständnis der Bewohner mitbekommen: Unzufriedenheit mit dieser Entscheidung der Regierung und Angst, zur Zielscheibe in einem Konflikt zu werden, mit dem sie nichts zu tun haben. Hier trennt ein tiefer Graben Regierung und Bevölkerung. Und sollte sich das Volk mobilisieren, wird man den Polizeiapparat einsetzen, der seit dem Ende der kommunistischen Regierungen verdoppelt wurde.

N. Bell: Man hört vom Aufkommen einer Oppositionsbewegung in Slowenien, gegen den NATO-Beitritt. Gibt es in anderen Ländern eine ähnliche Entwicklung?

N. Bardos: Die Bevölkerung ist oft sehr gespalten, so wie die meisten von uns Europäern. Unsere Meinungen und Vorstellungen bezüglich unserer Beziehung zu den USA sind voll von Widersprüchen. Einerseits repräsentierte Amerika während dem gesamten 19.Jahrhundert eine Hoffnung für arme und landlose Menschen Europas. Im Laufe des 20. Jahrhunderts fanden linke Sozialisten, Gewerkschaftler, Juden dort Asyl. Die USA verteidigten Europa erst gegen Hitler und dann gegen Stalin. Und schließlich sind sie Vertreter aller Besitzenden, die Hochburg der Inhaber von Produktionsmitteln, stehen sie doch deutlich an der Spitze des Kapitalismus, so wie vor ihnen England. Man kann Tausende von Gründen finden, pro-amerikanisch zu sein.

1996, als einige hundert Amerikaner in Ungarn ankamen – heute sind es mehrere tausend – berichtete die sozialistische Presse begeistert darüber. Nach der Befreiung 1945 wurden sie erwartet und dann 1956, nach der Revolte in Budapest. ...Sie sehen, das ist eine komplexe Frage.

N. Bell: Wie könnte Europa dem amerikanischen Einfluss entgegensteuern?

N. Bardos: Im Laufe des 20.Jahrhunderts hat Europa harte Zeiten durchgemacht. Zwei Weltkriege, die Gaskammern, der Algerienkrieg.... Ich glaube, dass es nach diesen schrecklichen Erfahrungen weiser geworden ist und heute legale Wege des Gesprächs, der Verhandlung und Versöhnung vorzieht, eine Politik der kleinen Schritte, Konsequenz des Pluralismus und der Vielfalt. Ich bin nicht pessimistisch und interpretiere die europäische Vorgangsweise nicht als Resignation vor der amerikanischen Vormacht.