Eugenik - eine alte, überholte Geschichte? 1. Teil

de Tristan Merlhiot (Longo Mai), 29 août 2002, publié à Archipel 96

Im französischen Lexikon „Petit Robert“ steht: „Eugenik - Wissenschaft zur Erforschung und Anwendung von Methoden, die ermöglichen, die Gattungsmerkmale der Volksgruppen zu verbessern. Sie stützt sich dabei auf das erworbene Wissen über die Erbanlagen. Siehe auch Genetik. Eugenik befürwortet die Sterilisierung von Degenerierten. Ungefähr 1870 begründete Francis Galton, ein Cousin von Darwin, die wissenschaftliche Eugenik, die ihm zufolge zwei Ziele hat: die Vermehrung von Unfähigen einzuschränken... und die Rasse zu verbessern. (J. Rostand).

“Mit Hilfe von Texten mehrerer wissenschaftlicher Autoren beschränke ich mich bewusst darauf, anhand von Tatsachen und Zitaten aufzuzeigen, welche modernen Entwicklungsprozesse dafür verantwortlich sind, dass die Gedanken und Theorien der Eugenik in praktische Anwendung gemündet haben, ohne deshalb viel Entrüstung hervorzurufen.

Der Ausgangspunkt im ersten Teil dieses Artikels ist die Entwicklung der Galtonschen Theorie in wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kreisen bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ich könnte mit dem historischen Rückblick einige Jahrhunderte früher beginnen, denn Galton war nicht der erste, der eine Theorie zur Selektion der Individuen aufstellte, d.h. die musterhaften Menschen zu behalten und die weniger Leistungsfähigen auszumerzen, indem man ihre Fortpflanzung verhindert. Das einzige, was Galton von seinen Vorgängern unterschied, war die Ausarbeitung einer systematischen Doktrin, die er „eugenics“ nannte. Ihm zufolge verdiente diese Theorie den Rang einer Wissenschaft und erhärtete seine Anerkennung in einer Gesellschaft mit dem Hang, alles „Wissenschaftliche“ aufzuwerten. „Die Eugenik ähnelt einer wissenschaftlichen Vorgehensweise, denn sie greift auf zahlreiche Theorien und Ergebnisse der Biologie, der Anthropologie, der Demographie, der Psychologie etc. zurück. Es ist jedoch klar, dass das grundlegende Projekt der Eugenik in erster Linie ein soziales und politisches ist. Das Endziel ist die Erhaltung der begabtesten „Rassen“, der nationalen Eliten etc.“ 1.
In einem zweiten Teil werde ich die Tatsachen und Theorien untersuchen, die auf eine neue Form der sozialen Selektion hinauslaufen und auf biotechnologische Thesen abgestützt sind.

Im Zeitgeist
Warum stellt Galton derartige Theorien auf? Sie fallen nicht vom Himmel und entstammen keinem dunklen, zeitlosen Geist. Galton lebt in einer Gesellschaft, die nur auf den Fortschritt schwört und an den Mythos des perfekten, konkurrenzfähigen, intelligenten und gesunden Menschen glaubt. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich England in großer industrieller Expansion. Die Städte wachsen, Millionen von Menschen arbeiten unter den abscheulichsten Bedingungen in der Industrie (12 Arbeitsstunden pro Tag etc.), ein Großteil der Bevölkerung lebt in heruntergekommenen Vorstädten, in denen sich Krankheiten und Seuchen verbreiten. In Riesenschritten entwickeln sich gleichzeitig die Erforschung und Anwendung künstlicher Selektionsmethoden für Pflanzen und Tiere in Landwirtschaft und Viehzucht.
Galton sagt sich: „Warum könnten wir nicht die menschliche Gattung durch das Ausmerzen der schlechten Subjekte verbessern, um die Besten, deren Qualitäten man fördern und festlegen will, zu bewahren, auf dass sie sich miteinander fortpflanzen.“ 2 So einfach ist das. Das Erscheinen des Hauptwerkes von Charles Darwin „Vom Ursprung der Arten mit Hilfe der natürlichen Selektion“ im Jahr 1859 hatte die biologischen Theorien revolutioniert. Diese Arbeiten waren teilweise von den künstlichen Selektionspraktiken in der Landwirtschaft und den momentan herrschenden Wirtschaftstheorien angeregt und beeinflusst, wie Darwin persönlich eingesteht.
„Was hat Darwin mit dieser Sache zu tun?“ werden Sie fragen. Gute Frage! Darwin schrieb ein Werk, das alles und sein Gegenteil aussagt. Außerdem bestreitet Darwin nie die Thesen seines Cousins Galton. Er bejaht und greift sie in „Die Vorfahren des Menschen“ (1871) auf und zitiert wiederholt Ideen aus Galtons Buch „Das erbliche Genie“. 3
Die Ideen von Galton hingegen finden nicht sofort Anhänger. Es gibt sogar heftige Kritiken, vor allem in katholischen Kreisen. Nur hat er die Büchse der Pandora geöffnet. Er hat sie so weit aufgemacht, dass sie Aufsehen erregen sollte.
In den Jahren 1880-90 sieht sich die Industrie mit sozialen und wirtschaftlichen Problemen konfrontiert: Streikbewegungen in den Unternehmen, die Ausbreitung von Krankheiten, etc. Wie soll man diese Übel lindern, ohne das dafür verantwortliche System in Frage zu stellen? Wenigstens muss es weißgewaschen werden, um das Fortschreiten der Industrialisierung nicht zu behindern. Andererseits sind die Wissenschaftler im Zusammenhang mit den darwinistischen Theorien in eine Sackgasse geraten. Stehen tonangebende Tendenzen einer Gesellschaft Komplikationen gegenüber, ergibt sich die Frage: Welcher Weg soll beschritten werden? Sollen sie durch grundsätzliches Infragestellen und Nachdenken gelöst werden oder umschleicht man sie gemeinsam auf Umwegen? Lesen Sie folgendes Zitat: „ Die sozialen Schwierigkeiten und die Verschlechterung der öffentlichen Gesundheit waren schreiend und verlangten nach Lösungen und Abhilfe. Ihre Ursachen (Industrialisierung, Proletarisierung und Urbanisierung) waren zu diesem Zeitpunkt offensichtlich und bestens bekannt. Die Versuche einer sozialen Gesetzgebung bezeugen dies. Sie werden aber regelmäßig von jenen gekontert, deren Gewinn dadurch vermindert werden könnte. Man zieht vor, eine „Entartung“ der Menschheit und vor allem der armen Klassen dafür verantwortlich zu machen. So verschleiert man die sozialen Ursachen und entbindet die Industriezivilisation von ihrer Verantwortung. Diese Zivilisation sollte den Fortschritt darstellen, folglich konnte man ihr nicht dieses Übel anlasten. Also wurden Biologie und medizinische Wissenschaften zu Hilfe gerufen.“ 4
Wir haben es in diesem Moment nur mit rein theoretischen Regeln, Thesen und Redeweisen zu tun, die keine praktische Anwendung finden. „Der Mangel einer ernsthaften, wissenschaftlichen Grundlage verhindert nicht den Erfolg der Eugenik. Aber wie der des Darwinismus ist es ein gänzlich ideologischer Erfolg. Die Eugenik wird als Lösung für das angebliche Problem der Entartung angesehen und ist gleichzeitig eine Art Gegenstück zur darwinistischen Evolution: Wenn Evolution und Fortschritt dank der Selektion gesichert sind, liegt es nahe, dass die Abwesenheit einer Selektion eine Entartung mit sich bringt (und weil man in der Natur keine Evolution-Fortschritt-dank-der-natürlichen-Selektion findet, benutzt man die Entartung-mangels-natürlicher-Selektion in der Gesellschaft, um zur Eugenik zu greifen). In gewisser Weise schließen diese sich aufeinander stützenden Begriffe einen Kreis, fußen aber auf nichts Konkretem. Auf die soziale oder medizinische Praxis hat dies alles fast keine Auswirkung. Keine Regierung erläßt wirklich eugenische Gesetze.“ 5
Politisch ist die Eugenik den Ideen von Fortschritt verbunden, welche ihrerseits im Zentrum des Industrialisierungsbestrebens sind. So „ist es nicht die alte katholische und reaktionäre Rechte, um die es hier geht, sondern im Gegenteil ein eher laizistisches und progressiv gesinntes Milieu. Mit progressiv meine ich nicht ‚links‘, sondern die Verfechter einer industriellen und wirtschaftlichen Revolution, die als Fortschritt und zukunftsweisend verstanden wird. Dieses Denken findet man links und rechts wieder, in den kapitalistischen, wie den sozialistischen Doktrinen.“ 6

Von der Ideologie zur Anwendung
Obwohl die militanten Befürworter der Eugenik in wissenschaftlichen Kreisen in Europa sehr aktiv sind, vor allem in England und Deutschland, konkretisiert sich diese Ideologie zum ersten Mal in den Vereinigten Staaten.
Die Arbeiten über die Selektionstheorien waren keine versteckten Taten von einigen verrückten Gelehrten in geheimgehaltenen Laboratorien. Anerkannte Genetiker nahmen aktiv an der Forschung, an Studien und der Anwendung dieser Thesen teil. Das wichtigste wissenschaftliche Eugenikinstitut in Übersee hieß „Station for the Experimental Study of Evolution“ in Cold Spring Harbor (Long Island, New York), existiert heute noch, ist ein sehr schickes Zentrum für Molekularbiologie und wird von der Elite dieser Disziplin besucht (vor einigen Jahren wurde es noch von J. Watson geleitet, und am Ende dieses Artikels werde ich Sie mit einem seiner Zitate bekannt machen). Das Institut wurde 1904 von Davenport dank einer Finanzierung der Carnegie-Stiftung gegründet.7 C.B. Davenport ist Autor einer Arbeit über den Nomadismus, die als ziemlich wahnsinnig bezeichnet werden kann. Hier ein Auszug aus der Schlussfolgerung: „Der Instinkt des Vagabundierens ist tief im menschlichen Instinkt verankert, wird aber indessen von den intelligenten Erwachsenen der zivilisierten Völker typischerweise unterdrückt.“ 8
1918 besaß dieses Institut eine 500.000 Karten umfassende Kartei. Es wurden z.B. Familien aufgeführt, in denen Fälle von Nomadismus, Epilepsie, Alkoholismus etc. auftraten. Diese Kartei war 1935 auf eine Million Karten angewachsen. Vor allem für die europäischen Forscher auf dem Gebiet der Eugenik wurde sie zu einer erstklassigen Bezugsquelle. Die Gelder für ihre Arbeit hörten erst 1940 auf zu fließen. 9
Nicht erstaunlich also, dass zum allerersten Mal 1907 im Bundesstaat Indiana einem eugenischen Gesetz zugestimmt wird. 1909 folgen andere Staaten dem Beispiel: Washington, Connecticut und Kalifornien.
Die angewandten Methoden, um sogenannte Krankheiten zu bewältigen (vor allem Geisteskrankheiten oder Geistesschwäche, Veranlagungen zu Verbrechen, besonders zu sexuellen), waren die Sterilisierung und in den Vereinigten Staaten und Dänemark sogar die Kastration. In den Vereinigten Staaten wurden zwischen 1907 und dem 1. Januar 1949 mindestens 50.000 Personen sterilisiert.
In Europa tauchten die ersten eugenischen Gesetze Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre auf: im Schweizer Kanton Waadt 1928, in Dänemark 1929, in Deutschland 1933, in Norwegen 1934 und in Schweden 1935 etc.10 Das zeigt ziemlich gut, inwieweit diese Philosophie in den Industriestaaten Anklang gefunden hat. Man sollte sich ebenfalls ins Gedächtnis rufen, in welcher Periode diese Gesetze beschlossen wurden. Anzunehmen ist, dass die Wirtschaftskrise von 1929 ein ausschlaggebender Faktor für die Willensbereitschaft war, eine „biologische Selektion“ an Menschen vorzunehmen, deren Fortpflanzung das „Wohl der Menschheit beeinträchtigt“ hätte.

Theoretischer Rassismus
Ich greife einige Zitate eminenter Wissenschaftler auf, um die Stimmung der damaligen Epoche mit ihrem herrschenden Wahnsinn, der die verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Milieus umgab, ansatzweise zu vermitteln. Zuerst Charles Richet, Nobelpreisträger für Physiologie und Medizin: „Vor allem muss jedes Vermischen höher entwickelter menschlicher Rassen mit weniger entwickelten Menschenrassen vermieden werden (…). Ich verstehe nicht, durch welchen Irrtum man einen Neger einem Weißen angleichen will“. Und auch: „Wir erschaffen eine wirkliche Aristokratie unter den Völkern, die auf der Erde leben: die Rasse der Weißen, die rein und frei ist von den abscheulichen ethnischen Elementen, die von Afrika und Asien zu uns eindringen.“ 11
Als zweites möchte ich Sie einen Auszug aus einem Gemeinschaftswerk von 28 Autoren lesen lassen, das in den zwanziger Jahren veröffentlicht wurde. Folgende Passage aus dem Vorwort schrieb Edwin Embree, der verantwortlich für die europäischen Stipendien der Rockefeller-Stiftung ist: „In Anbetracht der Mittel, die wir im Bereich der Physik, der Medizin, der Biologie, der Psychologie und den Sozialwissenschaften besitzen,… kommt man zu dem Punkt an dem man sich fragt, ob es nicht möglich ist, einen erneuten Vorstoß in der menschlichen Entwicklung zu machen… Es ist an der Zeit, darüber zu diskutieren, in welchem Verhältnis Vererbung und Erziehung, die Natur mit dem Umfeld, stehen; jeder große Fortschritt muss gleichermaßen die biologischen und sozialen Aspekte einbeziehen. Zum Beispiel müssen wir einen Weg finden, der Kriege verhindert. Auf Grund ihres immer größeren Wissens in Physik und Chemie ist die Rasse fähig, sich selbst zu zerstören. Dieses Wissen kann für das gemeinsame Wohl, als auch für die Zerstörung der Welt benutzt werden… Die grundsätzliche Frage stellt sich: Können wir in irgendeiner Weise kontrollieren, in welcher Richtung sich die Rasse entwickelt?“ 12
Unter den 28 Autoren dieses Werkes befinden sich: A. Carrel, W.B. Cannon, C.S. Sherrington, Ch. Davenport, R.A. Milikan, J. Dewey.12
Vor allem mehrere Eugenikforschungszentren in Europa wurden großzügig von der Rockefeller-Stiftung finanziert (in Deutschland unterstützte sie beispielsweise Otmar Von Verschuer13, einen der Hauptvertreter der Eugenik der Nazis) und im selben Streich die damit einhergehenden Experimente. Die Geldmittel für die Forschungsarbeiten in Deutschland wurden erst 1939 eingestellt.14 Ein Kommentar erübrigt sich. Andere Stiftungen haben ähnliche Forschungsarbeiten mit Geldern unterstützt: Krupp (Stahl und Waffen), Harriman (Eisenbahn), Carnegie (Stahl), Wickliffe (Textil).15
Das Banalisieren einer sozialen Doktrin
Deutschland verabschiedet 1933 eugenische Gesetze. Die gedankliche Grundlage dazu lieferten unter anderem die Theorien und Praktiken des Wissenschaftlers Laughlin (eine Größe im Bereich der eugenischen Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten), der später seine Sympathie für den Nationalsozialismus nicht verbarg, sondern im eigenen Land dafür Propaganda betrieb. Hunderttausende von geistig Behinderten oder von Alkohol abhängigen Menschen wurden sterilisiert und später dann umgebracht. Und obwohl William L. Shirer im Juni 1941 in einer bekannten amerikanischen Zeitschrift einen Artikel darüber publizierte, löste das keinerlei offiziellen Protest in den großen westlichen Demokratien aus. Nur die Hartnäckigkeit der Familienangehörigen der geistig Kranken, einiger Ärzte (Kurt Schneider) und besonders die Proteste der evangelischen und katholischen Kirche und deren Vertreter (Karl Bonhoeffer und der Bischof von Münster…)16, beendeten 1941 zeitweilig diese Welle der Ausmerzung. Aber 1942 nimmt sie ungeheure Ausmaße an mit der sogenannten Endlösung.
Vergessen wir aber nicht, dass während dieses Zeitabschnitts eine soziale Doktrin banalisiert wird, die in wissenschaftliche Theorien eingebettet ist; die nicht nur in Nazideutschland Anwendung findet (ich meine damit Sterilisierungen, denn kein anderes Land ging damals bis zur physischen Ausmerzung). Schweden z.B., das sein erstes eugenisches Gesetz 1934 verabschiedete, ließ vor allem in dem Zeitraum zwischen 1941 und 1974 mehr als 60 000 Menschen sterilisieren17 eine höhere Anzahl als in den Vereinigten Staaten.
Auf diese Art paarten sich ein Gedankenschema mit gewissen Vorstellungen von einer Gesellschaft, aus der menschliche Mängel und Entartungen verschwinden sollten; obwohl zahlreiche Wissenschaftler aus dieser Zeit nicht an die Stichhaltigkeit ihrer eigenen Theorien glaubten. Es galt aber, Argumente zu finden, um die großen, durch die Industrialisierung hervorgerufenen Übel, unter denen die armen ausgebeuteten Klassen litten, zu erklären.
Manche sahen auch wirtschaftliche Gründe hinter den Sterilisierungen. Der Major Leonard Darwin (Leiter der Eugenic Education Society (18) ) schrieb 1922: „Die politischen Machthaber müssten sich im Klaren sein , welche enorme Last die Entarteten für die Nation sind. Es werden 48.000.000 Pfund pro Jahr für die Gesetzgebung, die Justiz und Polizei ausgegeben. Und damit nicht genug. Der Taugenichts zahlt keine Miete,… Jede Steuererhöhung ist ein Schritt zur größeren Entartung der Rasse.“ 19

Die Nachkriegszeit Die eugenische Versuchung verschwand nicht sofort nach dem Krieg. Japan verabschiedete 1948 eine eugenische Gesetzgebung, der amerikanische Oberste Gerichtshof befand 1947, dass Sterilisierung nicht grausam und ungewöhnlich sei, und dass die eugenische Gesetzgebung nicht der Verfassung widerspreche.20
Hingegen verschwindet die Eugenik nach und nach aus dem wissenschaftlichen Diskurs; an ihre Stelle tritt die Molekulargenetik: „Die Entwicklung der Molekulargenetik vertrieb die phänomenalistischen und mathematischen Methoden und somit die darauf aufbauende Geschichte von der Entartung der menschlichen Gattung. Die Genetik und der Evolutionismus waren vom wissenschaftlichen Standpunkt aus besser gewappnet und konnten die ideologische Verstärkung der sozialdarwinistischen Doktrinen entbehren.“ 21
Der Begriff der Eugenik verschwand, so dass Wissenschaftler, Historiker und Politiker jegliche Anspielung darauf in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 vergaßen.22 Der Grund dafür ist einfach: Mehr oder weniger alle damaligen Größen der Genetik wären auf der Anklagebank gesessen, wie z.B. Julian Huxley, erster Generaldirektor der UNESCO (1946). In seinem Buch „Essay eines Biologen“ deklariert er: „Wenn die Eugenik allgemein praktiziert ist, wird ihr Einwirken (…) zuerst gänzlich der Anhebung des Mittelmaßes gewidmet sein. Das Verhältnis der guten und der schlechten Abstammung soll verändert werden und dabei möglichst die untersten Schichten in einer genetisch gemischten Bevölkerung vernichten.“ 23
Ich biete ihnen noch eine letzte Kostprobe von Francis Crick, dem Nobelpreisträger von 1962 für seine gemeinsame Entdeckung, das DNA mit J.Watson: „Kein einziges neugeborenes Kind dürfte als Mensch gelten, bevor nicht seine genetische Ausstattung in einer Testreihe geprüft wurde (...). Wenn es diese Prüfung nicht besteht, verliert es sein Recht auf Leben.“ 24 Kein Kommentar!
Das industrielle System benötigt für seinen Fortgang Theorien, die es untermauern und seine Weltanschauung objektiveren. Ihre Rolle ist es, die von ihm hervorgerufene empirische Entfremdung wissenschaftlich zu erklären.
Für alle soll nur noch das gleiche Ziel erstrebenswert sein. Die Ideologie der Wissenschaft gibt vor, nur den Bedürfnissen des Wissens zu dienen und neutral zu sein. In Wirklichkeit ist die private, wie auch die öffentliche (staatliche) Forschung ein Rad im sozialen und wirtschaftlichen Getriebe; unabhängig handeln die Betroffenen allenfalls von ihrem Gewissen.
Zum Abschluss dieses ersten Teils möchte ich sagen: Es sind nicht so sehr die einzelnen Akte, sondern viel eher die Welt, die sie hervorbringt, die radikal kritisiert werden muss.

Alle Zitate stammen aus den Büchern von André Pichot (La Société Pure, de Darwin à Hitler, éditions Champs, Flammarion) und Pierre Thuillier (Les passions du savoir, editions Fayard). Deshalb führe ich nur den Namen des Autors als Fußnote an.
Zitate aus P. Thuillier: 1-3, 11, 21, 22
Zitate aus A. Pichot: 4-10, 12-20