FRANKREICH:Keine Gerechtigkeit kein Frieden

21 janv. 2006, publié à Archipel 133

Wir veröffentlichen hier das Kommunique der Bewegung Mouvement Immigration Banlieu (MIB, Bewegung Immigration Vorstadt), das zu Beginn der der Unruhen der letzten Wochen in den französischen Vorstädten verfasst wurde, als diese Ereignisse die ganze Aufmerksamkeit der Medien auf sich zogen.

"Krepiert in Frieden, Brüder, aber krepiert leise, dass man nur von weitem das Echo eurer Leiden höre..." (1) Wer heute die Ursachen der Aufstände nicht versteht, ist vergesslich, blind, oder beides. Tatsächlich fordern die Vorstädte seit 30 Jahren Gerechtigkeit. 25 Jahre Aufstände, Revolten, Demonstrationen, Märsche, öffentliche Versammlungen, Wutschreie und präzis formulierte Forderungen.

Schon vor 15 Jahren wurde ein Ministerium für den städtischen Raum geschaffen, um Antworten auf Ausgrenzung und soziale Misere in den sogenannt benachteiligten Stadtvierteln zu finden. Ein Minister folgte dem anderen, jeder mit neuen Versprechungen: Marshall-Plan für die Vorstädte, steuerfreie Zonen für Unternehmen, die sich dort niederlassen, prioritäre Zonen, Jobs für Jugendliche, soziale Kohäsion usw. Die Vorstädte sind ein beliebtes Terrain für Minister, Volksvertreter und Medien mit Aussprüchen wie „rechtlose Zonen“, „verantwortungslose Eltern“ „mafiöse Umtriebe“ und „islamistische Tendenzen“.

Die Einwohner und Einwohnerinnen der Vorstädte und vor allem die Jugendlichen werden stigmatisiert und für alle Missstände unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht. Es kostet nicht viel, Lektionen zu erteilen, das „Gesindel“ dem öffentlichen Spott preiszugeben. Doch es kann viel einbringen. Die Vorstädte werden zu einem „Sonderproblem“, das man der Polizei und der Justiz überlässt. Heute präsentiert man uns die „Jugendlichen aus den Vorstädten“ (man verstehe Schwarze und Araber) als Fremde, die gekommen sind, um Frankreich unsicher zu machen.

Doch von den Aufständen in den Minguettes 1981, über Vaulx-en-Velin 1990, Mantes-la-Jolie 1991, Sartrouville 1991, Dammarie-les-Lys 1997, Toulouse 1998, Lille 2000 bis Clichy waren die Forderungen sehr klar:

Schluss mit ungestraften Polizeiübergriffen, Schluss mit Kontrollen aufgrund der Hautfarbe, Schluss mit den Schulen, die wie Mülldeponien aussehen, Schluss mit der vorprogrammierten Arbeitslosigkeit, Schluss mit den prekären Wohnbedingungen, Schluss mit den Gefängnissen, Schluss mit den Demütigungen! Schluss auch mit der Paralleljustiz, die korrupte Politiker schützt und systematisch die Schwächeren verurteilt.

Diese Schreie wurden ignoriert oder erstickt. Wie auch immer noch die Leiden von Millionen Familien kaschiert werden, von Männern und Frauen, die tagtäglich einer sozialer Gewalt ausgesetzt sind, die viel schlimmer ist, als einige brennende Autos.

Mit dem Ausnahmezustand reagiert die Regierung mit kollektiver Bestrafung und neuen Vollmachten für die Polizei. Man setzt einen Deckel auf den Dampfkochtopf. Dies wird für lange Zeit die Erinnerung in unseren Quartieren prägen.

Es wird in unseren Vorstädten keinen Frieden geben, solange nicht Gerechtigkeit und Gleichheit herrschen.

Keine „Befriedung“ und kein Ausnahmezustand werden uns daran hindern, weiterhin dafür zu kämpfen, auch wenn die Kameras nicht mehr auf uns gerichtet sein werden.

Keine Gerechtigkeit, also kein Frieden!

MIB

  1. Nov. 2005

  2. Auszug aus einem in Frankreich sehr bekannten Text eines Rap-Liedes