LESERBRIEF

de Peter Warta, Wien, 30 mars 2015, publié à Archipel 235

Die Ermordung mehrerer Redakteure von Charlie Hebdo und noch anderer Menschen, die das Pech hatten, zufällig dort auf der Strasse zu sein, ist ein schreckliches Verbrechen. Die technische und organisatorische Professionalität der Mörder und die religiöse Motivation, auf die sie sich beriefen, sind beängstigend. Aber deswegen bin ich noch lange nicht Charlie! Dass sich «Je suis Charlie» so locker reimt, kann doch kein hinreichender Grund dafür sein, sich mit den Mohammed-Karikaturen zu identifizieren, die die zentrale Figur des Islam auf primitive Weise lächerlich machen. Das, was ich unter einer Pointe, unter intelligentem Humor verstehe, etwas also, worüber ich lachen kann, fand ich in dem, was ich in der deutsch-sprachigen Presse von Charlie Hebdo zu sehen bekam, nicht. Das ist, meiner Ansicht nach, primitiver «Stürmer»-Stil. Die Franzosen haben es, vor den Morden, vielleicht ähnlich gesehen, die verkaufte Auflage von Charlie Hebdo war ja bis dahin sicher nicht nur zufällig mikroskopisch klein. Was dann nach den Morden, in Frankreich geschah, dieser Solidarisierungs-Hype «je suis Charlie», ist für mich so absurd, wie die Millionenauflage der nächsten Nummer – ein Geschäft, das sich die Leute von Charlie Hebdo natürlich nicht haben entgehen lassen. Bestürztes Schweigen wäre angebrachter gewesen. Deshalb bin ich entsetzt, dass etwa sympathische französische Lehrer, die (in einem veröffentlichten Text) ihr Leben und ihren Beruf selbstkritisch überdenken, es für nötig halten, vorher noch schnell zu bekennen, Charlie zu sein. (…) Mit dem humanitären Erbe Frankreichs, von dem im Text der Lehrer die Rede ist, haben diese Karikaturen aber schon gar nichts gemein. Sie verspotten Mohammed und den Islam, weiter nichts. In einer Demokratie mit Pressefreiheit haben sie selbstverständlich das Recht, das zu tun, und sie sind dabei vom Staat so gut wie nur möglich zu schützen. (…)

Ich halte es aber für ein Unglück und bin dagegen, dass «ich bin Charlie» zu «ich bin für Meinungsfreiheit» umgedeutet wird. Die Karikaturen von Charlie haben inhaltlich mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. Sie nützen diese nur - in diesem Fall zur Verhöhnung des Islam. Objektiv betrachtet hat sich jeder, der «ich bin Charlie» geschrien und dann noch dazu Charlie Hebdo demonstrativ gekauft hat, mit diesen Karikaturen identifiziert! Ich bin Agnostiker und nicht religiös, aber ich protestiere gegen Obszönitäten à la Charlie Hebdo!