MIGRATION: Flucht und Exil - Diskussion in Schulen

de Dieter Alexander Behr, 17 juil. 2015, publié à Archipel 238

Seit Mai 2014 fanden im Zuge zahlreicher Lesereisen Lesungen mit Emmanuel Mbolela und seinem Buch «Mein Weg vom Kongo nach Europa» auch eine Vielzahl an Buchpräsentationen in Schulen statt.

Im Mai 2014 erschien im Wiener Mandelbaum-Verlag die erste Auflage des Buches «Mein Weg vom Kongo nach Europa – zwischen Widerstand, Flucht und Exil» des Autors und Aktivisten Emmanuel Mbolela. Seitdem ist nun ein Jahr vergangen – und die Zwischenbilanz ist durchaus beeindruckend: Das Buch musste mehrmals nachgedruckt werden, dutzende Rezensionen sind erschienen, des weiteren absolvierte der Autor über 50 Lesungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz.* Das anhaltende Interesse an Mbolelas Buch ist äusserst begrüssenswert, gleichzeitig aber auch bitter notwendig: steht doch die persönliche Fluchtgeschichte und politische Autobiographie des Autors quasi paradigmatisch für abertausende Flüchtlinge und Migrant_innen, denen heute der Zutritt zur Europäischen Union verwehrt wird.
Emmanuel Mbolela wurde 1973 in der Demokratischen Republik Kongo geboren und begann sich bereits als Schüler in seiner Heimatstadt Mbujimayi im Zentrum des Landes gegen den damaligen Langzeitdiktator Mobutu politisch zu engagieren. Als nach der Machtübernahme durch Laurent-Desiré Kabila Ende der 1990er Jahre die Hoffnungen auf Demokratisierung und Frieden schnell verflogen waren, setzte er seine Aktivitäten fort und begann, sich in der Jugendsektion einer Oppositionspartei, der UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt) zu engagieren. Der 17. April des Jahres 2002 sollte dem Leben Mbolelas eine drastische Wende geben: Im Zuge einer Grossdemonstration in Mbujimayi wurde er gefangengenommen, eingesperrt und gefoltert. Zwei seiner engen Mitstreiter starben an diesem Tag, getroffen von den Kugeln der Polizei. Mbolela musste Hals über Kopf fliehen und verliess das Land in Richtung Brazzaville. Aufgrund der Nichtexistenz von Aufnahmestrukturen für Flüchtlinge reiste Mbolela immer weiter, bis er in der malischen Hauptstadt Bamako vor der Entscheidung stand, entweder den äusserst gefährlichen Weg durch die Wüste anzutreten, oder aber in den Kongo zurückzukehren. Der Umstand, dass sich die politische Lage in seinem Heimatland nicht verbessert hatte und politische Oppositionelle nach wie vor verfolgt und ermordet wurden, zwang Mbolela dazu, sich nach Algerien und schliesslich nach Marokko durchzuschlagen. In seiner autobiographischen Erzählung schildert der Aktivist die Qualen und die Demütigungen, die Migrant_innen erleiden, wenn sie die Sahara durchqueren – immer wieder nimmt er explizit Bezug auf die Gewalt, die gegen migrantische Frauen ausgeübt wird, sei es von Seiten der Polizei, bewaffneten Gruppen oder männlichen Mitgliedern der eigenen Community.
Im Widerstand

Nach unzähligen Strapazen erreicht Mbolela Marokko – doch auch dort ist die Situation für subsaharische Migrant_innen gerade-zu unerträglich: von gesundheitlicher Versorgung und dem Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildung ausgeschlossen, werden sie oftmals Opfer von brutalen und lebensbedrohlichen Rückschiebungen ins Grenzgebiet zwischen Marokko und Algerien. Aus diesem Grund beschliesst Mbolela, den politischen Kampf für Menschenrechte wieder aufzunehmen, und gründet im Jahr 2005 gemeinsam mit anderen Reisenden die erste Organisation subsaharischer Migrantinnen und Migranten, die ARCOM (Vereinigung der kongolesischen Migrant_innen und Asylsuchenden in Marokko). Mit dieser Organisation führen sie entschlossene und zum Teil spektakuläre Aktionen durch: Sie mobilisieren die subsaharischen Flüchtlinge zu einer Blockade vor dem Sitz des UNHCR und besetzen in Rabat eine Kirche, um auf ihre unerträgliche Situation aufmerksam zu machen. Des weiteren vernetzen sich die Aktivist_innen mit marokkanischen und europäischen Menschenrechtsgruppen. Im Jahr 2008 endlich gelingt es Mbolela, mit einem Resettlement- Programm des UNHCR das Land zu verlassen und legal nach Europa zu reisen. Heute lebt er in Holland und ist im transnationalen Netzwerk Afrique Europe Interact (AEI) engagiert. Dieses Netzwerk kämpft für globale Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklungsperspektiven für Länder des globalen Südens. Mbolelas Vorträge und Lesungen sind in die Aktivitäten von AEI eingebunden und dienen dazu, auf die menschenrechtlichen Belange von (Transit-) Migrant_in-nen aufmerksam zu machen, breite Sensibilisierungsarbeit zu leisten und um Unterstützung zu werben.

Die Arbeit in Schulen

Von Wien bis Innsbruck, von Ried im Innkreis über Bruck an der Mur, Graz und Klagenfurt, aber auch in Bremen oder in Paderborn besuchten wir Schulen und sprachen über das Buch. In Tirol unterstützte uns das Kulturservice des Landes und nahm die Lesung in ihr offizielles Programm auf, das an alle Schulen im Bundesland verschickt wird. Nach den vielen Lesungen und Diskussionen mit den Schüler_in-nen, die wir stets zweisprachig durchführen (Emmanuel liest und erzählt auf französisch, ich übersetze seinen Vortrag sowie die Fragen der Schüler_innen) wurden uns mehrere Dinge unmissverständlich klar: Erstens bestand praktisch in sämtlichen Schulen ein grosser Diskussionsbedarf; in keiner einzigen Schule kamen wir in die Verlegenheit, dass die Schüler_innen nach der Präsentation von Emmanuel nicht gewusst hätten, was sie hätten fragen oder anmerken können. Zweitens beeindruckte uns der vielerorts vorhandene Wille zur Unterstützung der Aktivitäten von Afrique Europe Interact und dem Kampf der Flüchtlinge und Migrant_innen: So erklärten sich Schüler_innen mehrerer Schulen spontan dazu bereit, Geld für ein Rasthaus für migrantische Frauen in Rabat zu sammeln, das AEI ins Leben gerufen hat (mehr dazu weiter unten). Drittens schien die Erzählweise von Emmanuel und der unmittelbare Kontakt mit den Schüler_innen jeglichen Alltagsrassismus förmlich aus den Angeln zu heben: selbst in denjenigen Schulen, in denen die Lehrer_innen im Vorfeld die Sorge angemeldet hatten, dass es von Seiten der Schüler_innen zu einer Abwehrhaltung oder zu Unverständnis kommen könnte, passierte genau das Gegenteil: Oft entwickelte sich eine lange Diskussion über Wege und Möglichkeiten, das europäische Grenzregime und seine tödlichen Folgen zu überwinden. Anhand des Beispiels des Rohstoffs Coltan, der für die Herstellung von Mobiltelefonen unersetzlich ist und der im Kongo unter unvorstellbar brutalen Bedingungen gefördert wird, sprachen wir auch in vielen Schulen über Strategien, um Krieg und Ausbeutung im Kongo zu beenden. Und, last but not least, gelang es uns bei den Lesungen – oftmals mit Unterstützung der Lehrer_innen – das Thema der heutigen Dynamiken von Flucht und Migration mit der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert zu verknüpfen: Wir sprachen über Flucht und Verfolgung während der Zeit des Nationalsozialismus und wiesen auf die zentrale, ja lebensrettende Bedeutung von Asyl und aktiver Fluchthilfe damals und heute hin – Stichwort «Schlepperdiskussion».
Wir wollen in den nächsten Jahren unsere Bildungsarbeit mit dem Buch von Emmanuel Mbolela fortsetzen und so viele Schulen wie möglich besuchen. Nicht nur um politische Sensibilisierung zu leisten und über die Zusammenhänge zwischen politischer Unterdrückung, wirtschaftlicher Ausbeutung und Migration aufzu-klären, sondern auch um für Unterstützung für die Projekte von Afrique Europe Interact zu werben; so sei hier abschliessend noch in Kürze ausgeführt, was bereits weiter oben erwähnt wurde: Wir wollen mit dem Buch und den Lesereisen explizit für den Aufbau eines Schutzhauses für migrantische Frauen in Rabat werben, da diese auf der Reise vielfältigen Gewaltverhältnissen ausgesetzt sind und nach der Durchquerung der Wüste oft dringend einen Raum benötigen, in dem sie neue Kraft und Hoffnung schöpfen können. Astrid Mukendi, eine Mitstreiterin von Emmanuel, die ebenfalls aus dem Kongo kommt und in der Bewegung der ARCOM organisiert ist, betreut das Schutzhaus. Wir planen, sie gemeinsam mit Emmanuel gegen Ende des Jahres 2015 bzw. Beginn des Jahres 2016 für eine ausführliche Präsentationstournee durch die Schweiz, Österreich und Deutschland einzuladen und auch mit ihr eine Menge Schulen zu besuchen. Anfragen für Lesungen und Diskussionen mit Emmanuel Mbolela können gerne per email an uns gerichtet werden: da.behr(a)reflex.at, www.afrique-europe-interact.net