Pazifisten in Israel

de Mathieu Furet, Radio Zinzine, 29 août 2002, publié à Archipel 96

** Die Serie der Selbstmordattentate in Palästina geht weiter. Schlimmer ist, dass die Reportagen im Fernsehen das Gefühl von Unverständnis und Schwäche bei den oft muslimischen oder arabischen Jugendlichen aus den Vorstädten Frankreichs, die sich sofort spontan mit den Palästinensern identifizieren, verstärkt. In der israelischen Gesellschaft tauchen allmählich Ritze im Glauben an diesen „anderen“ Staat auf, der 1948 gegründet wurde, um den Juden nach den Greuel der Shoa ein sicheres Zuhause zu geben. Doch für viele, auch in Israel, kann selbst diese Geschichte die tragische Gegenwart nicht mehr rechtfertigen, in welcher das Opfer von gestern sich in den Unterdrücker verwandelt hat.

Um zu versuchen, diese Zweifel und die Wut eines Teils der Israelis zu verstehen, haben wir mit Oren Medix gesprochen, Produzent von Videofilmen und Mitglied einer kleinen Organisation, „Gush Shalom“, der Friedensblock. Er kam1 nach Frankreich, um hier an Informationsveranstaltungen mitzuwirken. Das Gespräch führte Mathieu Furet von Radio Zinzine.* Was kann man in der momentanen Situation tun? *
Vieles. Wir machen Demonstrationen, wir veranstalten gemeinsam mit Palästinensern Konferenzen, in Tel Aviv, wenn möglich, und auch in Palästina, das ist gefährlich, denn für einen Israeli ist es verboten, palästinensisches Gebiet zu betreten. Man könnte uns dafür einsperren, aber wir tun es trotzdem. Und es gibt Konvois mit Nahrungsmitteln und Medikamenten in das palästinensische Territorium, nicht nur von Gush Shalom. Es existieren viele Friedensbewegungen, radikalere und weniger radikale. Frauen organisieren Menschenketten, um die Palästinenser zu schützen, denn wenn die israelischen Soldaten die Frauen sehen, sind sie weniger brutal, weniger gewalttätig. Am 11. Mai fand eine große Demonstration in Israel statt, zwischen 60.000 und 80.000 Menschen, die das Ende der israelischen Besetzung und die Anerkennung eines Staates Palästina forderten. Die Botschaft dieser Demonstranten ist radikaler als früher. Seit der zweiten Intifada haben diese israelischen Bürger verstanden, dass es keinen gerechten Frieden geben kann, ohne einen palästinensischen Staat, auf dem Territorium von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt.

Und wie seid Ihr angesehen? Oft hört man, dass die Israelis Sharon weiterhin unterstützen. Sieht man Euch als Verräter an? Ja, aber immer weniger, denn jedem, der über dieses Problem nachdenkt, wird klar, dass es nur diese eine Lösung gibt. Wir haben zur Zeit eine eindeutige, sehr schlimme koloniale Situation in den besetzten Gebieten. Vor der Intifada konnte man die Lage auf diesem Territorium – wenn man wollte - noch als einigermaßen normal einschätzen, doch jetzt sieht die ganze Welt, dass hier eine schreckliche, gewalttätige Besetzung stattfindet, der weltweit letzte Kolonialkrieg.

Wie ist die Situation in der Armee? Wir haben von Deserteuren gehört. Ja, das ist sehr wichtig. Dies ist die moralische Stimme innerhalb der israelischen Gesellschaft. Bis jetzt haben sich 460 oder mehr Soldaten geweigert, in die besetzten Gebiete zu gehen, und dies ist für Sharon ein fürchterlicher Einschnitt in die Gesellschaft, denn die Fassade der inneren Einigkeit ist für ihn sehr wichtig. Die Armee ist ein ganz wichtiger Pfeiler Israels, wo der Militärdienst drei Jahre dauert. Dass Soldaten einen militärischen Befehl verweigern, das tut sehr, sehr weh. Die Art und Weise, wie darüber in den Medien berichtet wird, ist eigentlich lustig. Jeden Tag steht in den Zeitungen, dass man darüber nicht schreiben darf, denn der Militärdienst ist doch der wichtigste Beitrag, den jeder israelische Bürger für die Gesellschaft leistet. Es ist schrecklich, aber es ist so. Die Armee ist ein sehr starkes Symbol. Wenn jemand Eindruck machen will, sagt er nicht: „Ich bin Doktor oder Professor…“, sondern: „ich war zehn Jahre in der Armee…“ Viele Minister in der Regierung Sharons sind Generäle. Wenn jetzt 460 Personen NEIN sagen zu diesem Symbol, so ist das einfach schrecklich für sie.

Stimmt es, dass die meisten israelischen Bürger das Leben der Palästinenser nicht kennen? Ja, das ist nicht nur wahr, sondern auch sehr gefährlich. Wenn man jemanden kennt, wenn man sein Leben, seine Ängste und Hoffnungen kennt, so wird er menschlich. Für die meisten Israelis sind die Palästinenser nicht Menschen wie du und ich, die in Frieden leben und arbeiten wollen, sondern Terroristen, Teufel, Feinde.

Was passiert mit den arabischen Bürgern Israels? Sie leben in einer sehr gefährlichen Situation. Zu Beginn der zweiten Intifada hat die israelische Polizei 13 palästinensische Bürger Israels während Demonstrationen getötet. Unsere Gesellschaft entwickelt sich in Richtung einer Apartheid. Die Ungleichheit ist weniger gewaltsam als in den besetzten Gebieten, aber sie ist doch frappant. Die israelische Elektrizitätsgesellschaft beschäftigt 15.000 Arbeiter, davon sind nur sechs Araber. In den Städten gibt es keine neuen Stadtteile, werden keine neuen Häuser für Araber gebaut. Sie leben isoliert in schlechten Häusern. Die Israelis wollen sie nicht sehen, obwohl sie gerne die von ihnen zubereiteten arabischen Spezialitäten essen, und sie harte, schlecht bezahlte Arbeit verrichten lassen. Bei den Demonstrationen spüren wir den explosiven Zorn der arabischen Bevölkerung Israels, und der israelische Staat wird diesen Zorn auch bald zu spüren bekommen.

Wie erlebt die Jugend Israels diesen nur dreißig Kilometer entfernten Krieg? Die zweite Intifada hat der israelischen Bevölkerung die Augen geöffnet. Es stimmt, dass sich die israelische Jugend für Rockmusik, Kino und Konsumartikel interessiert, aber sie kann nicht einfach die Augen schließen und sieht, was wir alle sehen. Deshalb wächst die Friedensbewegung. Vor zwei Jahren gab es keine Demonstration mit 60.000 Teilnehmern, jetzt schon.

Du bist für eine Informationstournee nach Europa gekommen? Die Rolle des Auslands ist unglaublich wichtig. Es gibt internationale Delegationen, die bedeutende Arbeit in den besetzten Gebieten leisten. Jeder, der etwas tun will, kann sich einer solchen Gruppe anschließen. Dies ist das Erste, was zu tun ist. Das Zweite – es tut mir leid, das sagen zu müssen - ist der Boykott von allen Produkten aus Israel, um die israelische Regierung unter Druck zu setzten. Dieser Druck von außerhalb ist notwendig, weil wir das Problem nicht alleine lösen können. Man kann über die Medien Protestbriefe verbreiten, man kann Geld spenden, man kann mit Aufklebern oder bedruckten Taschen protestieren und für den Frieden eintreten, in Israel ist das sehr populär. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu tun.

Empfängt Gush Shalom die internationalen Delegationen? Wir machen Demonstrationen, wir waren einige Tage mit einer Delegation von Ausländern zusammen im Mukata Aramala, dem Hauptquartier von Arafat. Doch im Wesentlichen sehe ich unsere Rolle darin, die israelische Haltung gegenüber dem palästinensischen Volk und dessen Hoffnungen auf einen Staat und ein Leben in Würde und Frieden zu ändern. Arafat wird in Israel wie ein Monster betrachtet, wie eine Krankheit. Wir haben Aufkleber gedruckt mit dem Satz: „Arafat ist der Partner“, und mit dem Foto von Rabin, denn Rabin war wirklich ein Partner von Arafat. Und das hat Wirkung, denn wir erinnern so auch daran, dass die Rechten Rabin ermordet haben. Wir haben auch eine Konferenz veranstaltet gegen Kriegsverbrechen und versucht, damit ins Radio zu kommen, doch das ist nicht gelungen. Die israelische Armee hat alle Radio- und Fernsehstationen der Palästinenser zerstört.

Mehr Informationen unter www.solidarite-palestine.org