SCHWEIZ: Agrarpolitik 2011

21 janv. 2006, publié à Archipel 133

Der Verein Laines d’ici (Wolle von hier) lehnt es ab, sich mit einem Gesetzesvorschlag auseinander zu setzen, der in letzter Konsequenz die Zahl der Bauernhöfe auf die Hälfte reduziert. Deshalb verwirft Laines d’ici den Gesetzesvorschlag für die Agrarpolitik 2008-2011 in seiner Gesamtheit (AP 2011).

Der Bundesrat selbst bestätigt ohne Umschweife, dass diese Politik die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe von heute 64.000 auf weniger als 32.000 verringern wird. Es geht eigentlich vor allem darum, Landwirtschaftsprodukte immer billiger zu verkaufen und sich so den europäischen Preisen anzupassen. Wettbewerbsfähigkeit und Rationalisierung sind die Schlagworte. Freier Wettbewerb ist angesagt, unter Missachtung der sozialen und ökologischen Aspekte. Die kleinen Betriebe sind von der AP 2011 am stärksten betroffen, obwohl gerade sie Leistungen im öffentlichen Interesse erbringen.

Diese Bauern betreiben oft Schafzucht. Sie erfüllen voll und ganz die Rolle, die der Landwirtschaft in der Bundesverfassung zugeteilt wird, das heißt: Produktion von Nahrungsmitteln, Vielseitigkeit und dezentrale Besiedlung des Landes. Zusätzlich ermöglicht dies auch die Erhaltung von Schafrassen, die vom Aussterben bedroht sind. Diese Form von Landwirtschaft ist die Grundlage für eine Veredlung der einheimischen Wolle.

Seit mehr als einem Jahr bemüht sich der Verein Laines d’ici, die notwendigen Strukturen zur Nutzung des erneuerbaren Rohstoffes Wolle zu schaffen. Der Verein Laines d’ici hat sich zum Ziel gesetzt, Verbindungen zwischen Züchtern, Wollproduzenten, Wollverarbeitungsbetrieben, Handwerkern und der Öffentlichkeit im allgemeinen zu knüpfen, um die Wolle in der Jurakette von neuem auf wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Ebene aufleben zu lassen. Ein „Regionalzentrum für die Wolle“ wurde eröffnet, das über zahlreiche nützliche Informationen rund um die Wolle verfügt, Kurse, Lehrgänge und Ausstellungen organisiert, Schulklassen empfängt und pädagogische Lehrmittel für Jüngere vorbereitet. Viele an der Verarbeitung der Wolle interessierte Menschen wurden kontaktiert, um Überlegungen und Aktionen zu diesem Thema zu organisieren.

Der Bund und zwei Kantone im Jura beschlossen, dieses Vorhaben finanziell zu unterstützen. Die ersten von Laines d’ici angepeilten Ziele wurden erreicht, aber die AP 2011 stellt all diese Aktivitäten in Frage und schließt für die Zukunft alle Türen für neue Initiativen zur Nutzung der Wolle.

Kurzer historischer Rückblick

In den 1950er Jahren war die Textilindustrie ein Kleinod der Schweizer Wirtschaft. Die Wolle war ein dermaßen begehrtes Produkt, dass es damals verboten war, aus Wolle Teppiche zu knüpfen. Sie wurde allesamt für Kleider und Decken benutzt. Innerhalb von weniger als fünfzig Jahren wurde die wollverarbeitende Textilindustrie vollständig liquidiert, erst durch Zusammenschluss von Industriebetrieben, dann durch Standortverlagerung. Heute wird unsere Wolle in der Schweiz kaum mehr genutzt, obwohl ihre Qualität von Händlern und Verarbeitungsbetrieben europaweit anerkannt ist.

Während der Diskussion über die AP 2002 im Jahre 1999 beschloss das Parlament, die Subventionen für die Wollverwertung allmählich zu reduzieren und ab 2004 gänzlich zu streichen. Dies führte dazu, dass die Wollsammlung merklich schrumpfte und ein großer Teil dieses Rohstoffes auf problematische Weise entsorgt wurde (Verbrennung auf freier Flur, wilde Lagerstätten im Wald oder anderswo usw.).

Im Frühjahr 2002 lancierte die Europäische Kooperative Longo Maï eine Petition, unterstützt von den Kleintierverbänden der Kantone Jura und Bern und der Bauerngewerkschaft Uniterre . Sie verlangte vom Bundesrat die notwendigen Mittel, um die Nutzung des wertvollen Rohstoffes Wolle zu sichern. In wenigen Monaten kamen über 20.000 Unterschriften zusammen. Gleichzeitig reichte Ständerat Theo Maissen ein Postulat ein: Er verlangte Maßnahmen, um die Wolle zu nutzen. Trotz ablehnender Haltung des Bundesrates Pascal Couchepin stimmte der Ständerat dem Postulat von Theo Maissen zu. Anlässlich der Diskussion des Parlaments über die AP 2007 wurde der „Artikel 51 bis“ ohne Gegenstimme genehmigt. Er eröffnet neue Wege, um die Verarbeitung der Wolle zu fördern. Im Rahmen einer Verordnung beschloss nun das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), jährlich Fr. 600.000.- für die Verwertung der Wolle und Fr. 200.000.- für innovative Projekte zur Verfügung zu stellen. Knapp zwei Jahre später will das BLW eine neue Kehrtwende machen und den „Artikel 51 bis“ in der AP 2011 ersatzlos streichen. Sowohl durch die Streichung des „Artikels 51 bis“ als auch im allgemeinen beschleunigt die AP 2011 das Verschwinden von traditionellen Kenntnissen und widerspricht der Bundesverfassung, die „die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen“ verlangt.

Es ist unmöglich, innerhalb von zwei bis vier Jahren neue Strukturen zur Nutzung und Verarbeitung der Wolle aufzubauen. Die Schaffung von menschlichen und wirtschaftlichen Beziehungen für eine sinnvolle Nutzung der Wolle benötigt viel Zeit und eine langfristige Politik. Das BLW muss dafür die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Umso mehr als die Erdölindustrie und mit ihr die Textilindustrie, die mit synthetischen Produkten arbeitet, neulich ihre Anfälligkeit gezeigt haben.

Der beschleunigte und brutale Abbau der landwirtschaftlichen Substanz wird schwerwiegende Konsequenzen für die ganze Gesellschaft nach sich ziehen. Der Verein Laines d’ici unterstreicht die Bedeutung einer Landwirtschaft mit menschlichem Antlitz und lokaler Ausstrahlung. Nur mit wirtschaftlichen Kriterien kann dies aber nicht erreicht werden. Der „Artikel 51 bis“ des Landwirtschaftsgesetzes ist eine Hauptstütze für eine dauerhafte Dynamik im Wiederaufbau der Wollveredlung, wir verlangen seine Aufrechterhaltung.

VereinLaines d'ici

  1. November 2005