SCHWEIZ: Schwarze Zeiten für besetzte Häuser in Genf

de Flore-Anne Bürger (Genf/Limans), 21 nov. 2007, publié à Archipel 152

Genf, Sinnbild für eine sehr direkte Demokratie, beschloss noch vor kurzem, das Recht auf Wohnen der Immobilienspekulation vorzuziehen (Genfer Verfassung von 1994). Die Toleranz, welche den Bewohnern besetzter Häusern entgegengebracht wurde, ermöglichte die Entstehung zahlreicher autonomer Projekte mit politischem oder künstlerischem Charakter, wohl bekannt in allen alternativen Kreisen in Europa. Nun aber verleugnet Genf seine Originalität, um in die Rangliste der alles unterdrückenden und zur Ordnung rufenden Städte einzutreten.

Geradezu einmalig, nur in Genf zu sehen, waren die legendären Polizeibrigaden, welche als Vermittler zwischen den Besitzern und Bewohnern besetzter Häuser fungierten, und es war in Genf, wo besetzte Häuser den prekären Status ablegen konnten, welcher oft die Squats * in anderen Städten charakterisiert. Nun aber passt sich die Gemeinde dem allgemeinen Sicherheitszwang anderer Städte an. «Zum Ursprung der neuen Situation: Die von Oberstaatsanwalt Daniel Zappelli Anfang 2006 dekretierte Nulltoleranz, wurde von der Polizei tadellos umgesetzt. Zappelli hat dazu einen einfachen Standpunkt: Egal mit welcher Motivation, Hausfriedensbruch ist strafbar, was das Besetzen eines Hauses mit einem Verbrechen gleichstellt.» (Le Courrier de Genève ).

La Tour ist gefallen …

Wir wurden erst von unseren Freunden aus La Tour darauf aufmerksam gemacht. La Tour war eines der besetzten Häuser in Genf, welches seit 1999 Platz für freie Gemeinschaften bot. Es lebten etwa 15 Erwachsene und Kinder dort. Außerdem beherbergte es eine selbst verwaltete Kinderkrippe und einen Infokiosk, mit frei zugänglicher Video- und Bibliothek. Dieser Ort des Austausches und gemeinschaftlicher Kreativität war offen für jede und jeden und ermöglichte Lektüren, Projektionen und den Austausch von Ideen und Meinungen. Noch im Januar bestätigten die Bewohner ihren Willen zum Widerstand gegen die Unterdrückungspolitik des Oberstaatsanwalts vom Genfer Kantonsgericht, Daniel Zappelli, und seinen Verbündeten.

Nun ja, La Tour ist gefallen! Am Dienstag den 10. Juli stürmte die Polizei das Haus unter dem Vorwand einer einfachen Personenkontrolle und lud die Bewohner auf das Kommissariat vor. Während ein Gerichtsvollzieher feststellte, dass das Haus verlassen war, räumte eine Auszugsfirma auf Anordnung des Besitzers das Haus und warf alles weg, was in ihren Augen keinen Wert besaß. Als Reaktion auf diese hinterlistige Vertreibung versammelten sich spontan etwa 200 Personen vor dem Gebäude. Die Sympathiekundgebung schlug in einen Aufruhr um (Barrikaden wurden verbrannt, Pflastersteine geworfen, Fensterscheiben eingeschmissen und ein Polizeiauto zerstört). 19 Personen wurden verhaftet und es wurde ihnen gegen ihren Willen eine DNA-Probe entnommen, ein Bewohner wurde während 36 Stunden festgehalten und mehrere Demonstranten wurden wegen Aufruhr, Übergriff auf Ordnungskräfte, Zerstörung von fremdem Eigentum und Störung der öffentlichen Ordnung verurteilt.

Der Bürgermeister von Genf bezog dazu Stellung, verurteilend sagte er: «Ganz besonders anstößig ist es, Menschen in unsicheren Situationen auf die Strasse zu werfen, so waren unter ihnen auch schwangere Frauen und Kinder.» Weiter fragte er sich nach der «Legitimität dieses Vorgehens ». Er unterstrich außerdem noch, dass «gerade diese Vorgehensweise zu den darauf folgenden Unruhen in der Öffentlichkeit geführt hat» .

Dieser Eingriff war nicht nur völlig unberechtigt, sondern auch schlicht und einfach illegal. In der Schweiz kann niemand ohne richterlichen Beschluss aus seiner Wohnung vertrieben werden, und Daniel Zappelli ist kein Richter! Der Oberstaatsanwalt hat also einen illegalen Eingriff angeordnet. So haben die Bauarbeiter, als sie zu arbeiten beginnen sollten, gestreikt. Sie weigerten sich, illegal und auf Anweisung der Polizei zu arbeiten.

Das Collectif de la tour en exil provisoire (Das Kollektiv La Tour im provisorischem Exil) reichte eine Klage gegen den Besitzer des Gebäudes, José Otero, ein wegen «Entreissung der Wohnung, Zerstörung von Eigentum und Entwendung von Mobiliars. Es wurde nie ein richterlicher Räumungsbefehl gegeben, was nach der Schweizer Gesetzgebung unbedingt notwendig ist, um jemanden aus seiner Wohnung zu vertreiben».

…und RHINO auch

Nach der Räumung eines der letzten autonomen Plätze von Genf, geschah mit dem Haus RHINO nach einigen Tagen Aufschiebefrist ähnliches. RHINO, Retour de Habitants dans les Immeubles Non Occupés (- Rückkehr der Bürger in nicht bewohnten Gebäude), eines der ältesten besetzten Häuser der so genannten friedlichen internationalen Stadt, ist sicher das bekannteste. 100 Meter entfernt von La Tour erlitt es am 23.Juli ein ähnliches Schicksal. Dieser Ort bestand aus 3 Häusern, seit 19 Jahren geöffnet. Bewohnt von 70 Personen, darunter etwa 10 Kindern, hatte es das Bistr’ok und La Cave 12 gegründet, welche nicht einmal mit der Unterstützung in Form von Demonstrationen gerettet werden konnten.

Zu beklagen ist, dass RHINO sich vom Aufruhr wegen der Räumung von La Tour distanzierte, so erklärte ihr Wortführer: «Der Störung der öffentlichen Ordnung und Zerstörungen dieses Tages und dieser Nacht haben weder mit dem Kollektiv RHINO zu tun, noch entsprechen sie seiner Philosophie . Wir bedauern wie alle diese übertriebenen Reaktionen.»

Dagegen unterstreicht ein Journalist vom Courrier de Genève : «Die Squatter müssen sich gemeinsam mobilisieren, wenn sie nicht durch die Unterdrückungswelle verschwinden wollen». Diese Stellungnahme bezeugt, dass alle Squatter von Genf gemeinsam in Gefahr sind, so auch RHINO. Schade!

Das Projekt RHINO hat sich vielleicht ein wenig zu sehr etabliert, das heißt, es orientierte sich vielleicht fast ein wenig zu sehr an einer sozialen und künstlerischen Schiene, als Politik zu betreiben. Dies erklärt vielleicht eine gewisse Frostigkeit in Bezug auf radikale Aktionen.

Auch wenn ich mit kritischem Blick diese Entwicklung betrachte, möchte ich den Konflikt, welcher von den Medien, Politikern und Ordnungshütern geschaffen wurde, indem sie zwischen den guten und den bösen Squattern und zwischen friedlichen und den 'in Schwarz gekleideten Ganoven' wie eine gewisse Presse beschrieb, unterscheiden, nicht weiter fördern. Bei der Sympathiekundgebung mit den beiden geräumten Squats gab es eine Handvoll gewaltbereiter Demonstranten, die eine Scheibe des Büros der PRD einschlugen, dies ist die Partei von Staatsanwalt Daniel Zappelli. Während Laurent Moutinot, Sozialist und Berater der Ordnungskräfte erklärt:«Ich stelle fest, dass sich immer mehr gewaltbereite Demonstranten auf friedlichen Demonstrationen einfinden. Das ist ein Problem für die Polizei und genauso für die Organisatoren der Demos, von welchen noch einige scheinheilig tun. Dieses Risiko der Eskalation ist übrigens der Grund für die sozialistische Partei, diese Demonstrationen nicht zu unterstützen .» Auch wenn sie fanden, dass das Gesetz zur Zerstörung, Umwandlung und Renovierung, welches vom Bundesrat zur Ausführung einer Räumung benutzt wurde, missbraucht worden ist. Eine Anordnung zur Räumung kann nicht beordnet werden, außer wenn die Baufälligkeit des Gebäudes oder die Gesundheitsschädigung eine zu große Gefahr darstellen. Der ehemalige Wortführer von RHINO, Maurice Pier, aus seinem Haus vertrieben, gelangt wieder zu Bewusstsein «Ärger hat verschiedene Formen sich auszudrücken. Eine von ihnen ist Gewalt. Wenn sich Politik und Justiz verbinden, um das Recht der Bürger zu beschneiden, sich frei auszudrücken, muss man sich nicht wundern, dass andere Mittel gewählt werden».

Fortsetzung folgt

Die Welle der Unterdrückung, welche die selbstverwalteten Zentren in Genf überrollt, könnte andauern. Oberstaatsanwalt Zappelli hat zu bemerken «Als ich 2002 mein Amt antrat, gab es 120 Squats in Genf. Nun sind es nur mehr 27. Ich handle seit dem Anfang so, und ich werde es auch weiterhin tun» . Und dies ist nur eine kleine und traurige Illustration einer allgemeinen Tendenz.

In den anderen Schweizer Städten wie Basel (Räumung im Steingraben 51 im Mai) oder Bern (siehe auch Kasten) wurden die Squats auch Opfer von Räumungen und Angriffen.

Und um von dem zu reden, was wir kennen, in Frankreich sieht es um kein Haar besser aus. Mehrere Räumungen fanden in Paris und in ganz Frankreich statt, sogar mit Hilfe des Militärs. Der Squat von Dijon, Les Tanneries konnte dank einer großen Mobilisierung gerettet werden.

Man kann also sagen, dass es eine europaweite Tendenz zur Schließung dieser Freiräume gibt. Seit der Räumung des berühmten Ungdhomshuset in Kopenhagen im Winter, bei der sogar Helikopterkommandos zum Einsatz kamen, macht sich die Unterdrückung überall in Europa bemerkbar. Die Aufzählung wäre langwierig und demoralisierend, aber man könnte von Barcelona, Madrid, Berlin, Liège reden und ja auch von Paris und Genf. Die Schließung dieser Orte nimmt der Bevölkerung Platz zur freien Kreation und alternativen Reflexionen, den Bewohnern der besetzten Häuser ihr Leben und ihre Hauptaktivität und bringt manchmal unangenehme juristische Konsequenzen.

Aber die Flamme des Widerstands erlischt nicht durch einen Kärcherstrahl. Vielleicht kann sie sich sogar von Tränengas ernähren? Respekt und Solidarität für vertriebene Squatter, wie die Bewohner von La Tour, versammelt zu einem Kollektiv im Exil, die ihre Wut im Bauch behalten, aber auch ihre Projekte und ihre Hoffnung.