SCHWEIZ: Zur Ablehnung der Einbürgerungsvorlagen*

de Lukas Straumann, Florian Schmaltz, 9 nov. 2004, publié à Archipel 121

Seit Jahren ist die Schweizerische Volkspartei mit einer ausländerfeindlichen Medien- und Publizitätsschlacht mit Erfolg auf Stimmenfang. Nun hat sie es geschafft, mittels eines Referendums zwei Gesetzesvorlagen der Schweizer Regierung (Bundesrat) zu Fall zu bringen.

Die Gesetzesentwürfe sahen vor, für MigratInnenkinder der zweiten Generation die Einbürgerung zu erleichtern und jene der dritten Generation automatisch einzubürgern. Die Referendumskampagne richtete sich in ihrer Argumentation nicht gegen das Reformprojekt an sich, sondern hetzte einmal mehr pauschal gegen Ausländer. Die PR-Aktion enthielt bewusst rassistische und antisemitische Lügen und Verzerrungen, welche dank einem Millionenbudget und dank der Blauäugigkeit und der Sensationslust von Presse und Fernsehen in der deutschen Schweiz ungehindert in alle Haushalte gelangen konnte.

Obwohl die Einbürgerungsvorlagen vom Bundesrat und allen Regierungsparteien (außer SVP) unterstützt wurden, war keine der größeren politischen Instanzen in der deutschen Schweiz in der Lage, oder Willens, der Kampagne der Populisten ernsthaft etwas entgegenzusetzen. Deshalb möchten wir jetzt darauf verzichten das Abstimmungsverhalten des Volkes und seine diffusen Ängste näher zu analysieren. Analysiert werden muss die SVP. Der Parteipräsident gab nach der gewonnenen Abstimmungsschlacht sein erstes Interview in einem Schießstand, liegend hinter einem Sturmgewehr, von Zeit zu Zeit auf die Scheibe zielend. Das Schweizer Fernsehen begab sich auf sein Niveau und kniete sich zu ihm hinunter.

Wer sind diese Leute, woher kommt diese Partei? Laut Selbstdarstellung spielte 1918 «…die Überzeugung jüngerer Bauernpolitiker, der Freisinn trete zu wenig energisch gegen sozialistische, aber auch antimilitaristische und internationalistische Tendenzen auf, eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Gründung der Bauern- und Bürgerpartei », der Vorläuferpartei der SVP. Die Bauern- und Bürgerpartei war nach dem Generalstreik 1918 nichts anderes als der parlamentarische Arm der gleichzeitig gegründeten «Vaterländischen Vereinigung», ein Zusammenschluss von Bürgerwehren auf dem Land. Wer weiß, wie brutal der Generalstreik unter militärischer, freisinniger Führung niedergeschlagen wurde, kann sich vorstellen, was die Überzeugung «zu wenig energisch » heißen soll? Die Bürgerwehren auf dem Land bewaffneten sich und bereiteten den Bürgerkrieg gegen die Arbeiterschaft und die Sozialisten vor (vergleichbar mit der in Österreich gegründeten Heimwehr).

Ein Teil aus dem Umfeld der Bauern- und Bürgerpartei und der Vaterländischen Vereinigung wurde in den 1930er Jahren Sympathisant des Dritten Reiches. Ein anderer Teil Anhänger eines schweizerischen «Heer und Haus-Nationalismus» der sich seinerseits stark am reichsdeutschen Vorbild (Arbeit, Familie, Vaterland) orientierte. Da niemand in der Schweiz je ernsthaft Rechenschaft über seine Gesinnung in der Nazizeit ablegen musste, konnte dieser Geist nach dem Kriegsende ungehindert weiterwirken. Der Antisemitismus (gegen Juden und Muslime) blieb eine Konstante bei den Nationalkonservativen, oft verhüllt, manchmal unverfroren, je nach Gelegenheit (Dr. Christoph Blocher: «Den Juden geht es ja doch nur ums Geld»). Auch das Protestgeheul der SVP vom August 2004, als das Bundesgericht eine Veranstaltung von Neonazis aus Deutschland und der Schweiz, die als privater Anlass getarnt war, verbieten ließ, ist uns noch in frischer Erinnerung.

Laut Aussagen führender SVP-Mitglieder, sei das Ziel ihrer Partei, nicht einfach in Bern mitzuregieren, sondern das aktuelle Regierungssystem der Schweiz zu sprengen, um einem Rechtsblock Platz zu machen. Populistische Stimmenfänger pflegten schon immer ganz offen vorauszusagen, was sie vorhaben. Der Fehler der potentiellen Opfer ist lediglich, dass die Voraussagen ihr Vorstellungsvermögen übersteigen, oder dass sie jeweils glauben, ausgerechnet sie würden verschont. Unsere jüngere Geschichte ist viel zu wenig bekannt. So kommt es, dass heute viele über die politische Entwicklung nur noch staunen, statt endlich wieder zu handeln.

Hannes Reiser

EBF Schweiz

Das dunkelste Kapitel in Blochers Ems-Chemie Zum Ausgang der Abstimmung publizieren wir eine Analyse, nicht über das Stimmvolk, sondern über die Herkunft des Reichtums des Ziehvaters des heutigen SVP-Bundesrates Christoph Blocher, Werner Oswald, vormals Besitzer der Emser-Werke. Der Artikel wurde 2002 vom Historiker Dr. Lukas Straumann, Co-Autor der Bergier-Studie und Florian Schmaltz, Historiker in Berlin, verfasst. Leider fand er bisher in der Schweizer Presse keine Beachtung.

Seit fünf Jahren kämpft SVP-Nationalrat Christoph Blocher gegen jede Entschuldigung oder Wiedergutmachung der Schweiz für ihre Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus. Jetzt decken Recherchen von OnlineReports auf: Ausgerechnet Blochers Ems-Chemie, die frühere Holzverzuckerungs AG (Hovag), profitierte nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich vom Know-How eines Mannes, der unter den Nazis Manager in Auschwitz war.

«Wie ein Feldherr» sei er in der Firma aufgetreten, sagt ein ehemaliger Ems-Mitarbeiter über Johann Giesen. Ein anderer beschreibt ihn als «sehr gebildete, anständige und stilvolle Persönlichkeit». Ob Haudegen oder gediegener Industriekapitän, in einem Punkt sind sich alle Befragten einig: Der deutsche Chemiker spielte nach dem Krieg als Forschungsleiter eine zentrale Rolle in Ems.

Giesen war Manager in Auschwitz In die Schweiz geholt wurde Johann Giesen durch den Ems-Firmengründer und Blocher-Ziehvater Werner Oswald. Diesem half er, die Emser Fabrik vom kriegswirtschaftlichen Treibstoffwerk zu einem modernen Chemieunternehmen umzubauen. Dabei kam ihm seine Erfahrung beim deutschen Chemiekonzern IG Farben zustatten. Giesens bedeutendste Aufgabe während des Krieges: die Planung und Überwachung neuer Produktionsanlagen in Auschwitz, wo IG Farben ein gigantisches neues Chemiewerk errichtete. Beim Werksbau an der größten Mordstätte der Nazis ging der Chemiekonzern über Leichen: Mehr als 30.000 KZ-Häftlinge fanden auf der IG Farben-Baustelle den Tod.

Als Direktor des ostdeutschen IG Farbenwerks Leuna besuchte Giesen Auschwitz in den Jahren 1941-1944 häufig und nahm dort an zahlreichen Bausitzungen teil. Giesen war Experte für die Herstellung von Methanol, das von der deutschen Wehrmacht für die Herstellung von Flugzeugtreibstoff sowie als Vorprodukt für Sprengstoffe benötigt wurde. Für diesen Teil des neuen Werks lag die Federführung bei den Chemikern und Ingenieuren von Leuna.

Zur Feier war auch Auschwitz-Kommandant Höss geladen Im Sommer 1942 machte sich Johann Giesen für eine beschleunigte Produktionsaufnahme von Methanol in Auschwitz stark, um von den Nazi-Behörden mehr Baumaterialien und Arbeitskräfte zu erhalten. Das Protokoll der Baubesprechung vom 24. August 1942 hält fest: «Auf Wunsch von Dr. Giesen ist zu prüfen, ob Auschwitz Mitte nächsten Jahres die Produktion von Methanol mit zunächst einem und 2 Monate später mit einem weiteren Aggregat aufnehmen kann. Wäre dies möglich, so ist mit stärkerer Unterstützung von höherer Stelle zu rechnen.» Mitte Oktober 1943 war es dann soweit: Der erste Tankwagen mit Methanol verliess Auschwitz - für IG Farben Grund zu einer Feier, zu der auch der KZ-Kommandant von Auschwitz Rudolf Höss geladen war.

Im wenige Kilometer entfernten Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau lief zu diesem Zeitpunkt die Vernichtungsmaschinerie der Nazis auf Hochtouren: Bis zur Räumung des Lagers im Januar 1945 wurden mindes- tens 1,1 Millionen Menschen ermordet, die meisten von ihnen Juden. Auch Johann Giesen roch bei seinen Besuchen in Auschwitz den süsslichen Geruch, mit dem der Rauch der Krematorien von Birkenau die Gegend überzog. Dies gab er nach dem Krieg in Nürnberg zu Protokoll, wo ihn im IG Farben-Prozess ein amerikanisches Militärgericht befragte. Doch Giesen behauptete, vom mörderischen Wirken der Nazis nichts gewusst zu haben: «Von Menschenvernichtungen oder ähnlichen Untaten an den Konzentrationslager-Häftlingen habe ich in Auschwitz nie- mals etwas erfahren, weder durch eigene Wahrnehmungen noch durch Mitteilungen anderer Personen.» Giesen hatte allen Grund, den Unwissenden zu mimen: Seit 1944 hatte er die Aufsicht über den Bau und Betrieb des gesamten Treibstoffwerks in Auschwitz. Damit war er mitverantwortlich für den Einsatz von KZ-Häftlingen auf der IG Farben-Baustelle.

Kriegswirtschaftlich war der von Giesen aufgebaute Methanolbetrieb von großer Bedeutung: Die Wehrmacht war auf ihrem Rückzug nach der Kriegswende dringend auf Treibstoff und Munition angewiesen. 1944 produzierte IG Farben in Auschwitz rund 29.000 Tonnen Methanol - das entsprach 15 Prozent der gesamten deutschen Produktion. Giesens Erfolg zahlte sich aus, er erhielt im September 1944 ein Angebot für die Gesamtleitung der Methanolproduktion in der Nazi-Kriegswirtschaftsorganisation. Giesen erklärte sich für «selbstverständlich bereit», den Job zu übernehmen. Er setzte seine Karriere im Dritten Reich auch fort, als Hitlers Ende nur noch eine Frage der Zeit war.

Leuna-Connection: Wirtschaftsspionage

für Ems

Die Wende nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 schaffte Giesen problemlos. Die Alliierten hielten ihn für politisch unbelastet und betrauten ihn mit der Leitung des ehemaligen IG Farben-Werks Uerdingen bei Düsseldorf, das unter britischer Kontrolle stand. In dieser Funktion traf Giesen im Februar 1947 erstmals den Schweizer Werner Oswald, der 1936 die damalige Holzverzuckerungs AG (Hovag) und spätere Ems-Chemie gegründet hatte.

Oswald war auf der Suche nach technischem Know-How zur Umrüstung seiner Bündner Produktionsanlagen. Giesen vermittelte nicht nur chemisches Fachwissen zur Kunststoffherstellung, sondern auch eine Reihe von hochspezialisierten IG Farben-Fachleuten aus Leuna. Die britischen Besatzungsbehörden ließ er über seine Vermittlungsdienste im Dunkeln.

Ende 1949 kamen die Briten Giesens Kontakten mit der Hovag auf die Spur. Die Affäre flog auf, weil Giesen zwei Techniker nach Ems geschickt hatte, die dort «ohne irgendeine Gegenleistung» eine Produktionsanlage in Betrieb setzten. Giesen wurde wegen Bilanzfälschung und des Verrats von Fabrikationsgeheimnissen fristlos entlassen. Doch für den 53jährigen Industriellen war gesorgt. Er siedelte bald in die Schweiz über und wurde von Oswald auf dem firmeneigenen Schloss Haldenstein bei Chur fürstlich einquartiert. 1952 wurde Giesen in den Verwaltungsrat des Unternehmens gewählt, das 1960 in Emser Werke umbenannt wurde und später in der Ems-Chemie Holding aufging. Erst 1967 trat Giesen aus dem Verwaltungsrat zurück - zwei Jahre bevor der junge Jurist Christoph Blocher in die Firma eintrat.

Nazi-Know-How rettet Emser Werke Für Oswalds Unternehmen zahlte sich die Zusammenarbeit mit Giesen aus. Die Treibstoffherstellung war nach dem Krieg überflüssig und unrentabel geworden. Durch die Umstellung auf neue Produkte gelang es, die Emser Fabrik trotzdem weiterzuführen. Von besonderer Bedeutung war die mit Hilfe ehemaliger Leuna-Chemiker aufgebaute Produktion der Kunstfaser Perlon, einem Konkurrenzprodukt zu Nylon. In Anlehnung an den Standort in Graubünden wurde diese «rein schweizerische» Polyamidfaser Grilon genannt. Noch heute vertreibt die Ems-Chemie verschiedene Kunststoffe auf Polyamidbasis unter der Marke Grilon.

Dank der Unterstützung durch Giesen und andere in der Nazi-Kriegswirtschaft geschulte Fachleute schaffte die Emser Fabrik den Umbau vom staatlich gestützten Treibstoffwerk zum modernen Chemieunternehmen. 1983 wurde sie vom langjährigen Oswald-Vertrauten Christoph Blocher erworben. Eine der wenigen Publikationen zur Firmengeschichte erwähnt denn auch «die wertvolle Mitarbeit» von Johann Giesen bei der Betriebsumstellung als «der geborene Praktiker und Vollender». Über seine Tätigkeit bei IG Farben schweigt sich Blochers Ems-Chemie bis heute aus.

Lukas Straumann *

*Lukas Straumann ist Historiker und freier Journalist in Bern. Er ist Co-Autor der Bergier-Studie «Schweizer Chemieunternehmen im Dritten Reich». Florian Schmaltz ist Historiker in Berlin und Verfasser verschiedener Publikationen zu IG Farben. Heute ist er beim Forschungsprojekt der Max-Planck-Gesellschaft über die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus tätig.

Christoph Blocher wortkarg: «Vor meiner Zeit» So wortkarg ist Ems-Chemie-Eigentümer Christoph Blocher selten. Konfrontiert mit der Auschwitz-Vergangenheit des ehemaligen Ems-Forschungsleiters Johann Giesen, lässt sich Blocher nur ein kurzes Statement entlocken: «Dr. Giesen ist vor meiner Zeit bei EMS in der Polymerchemie tätig gewesen, welche sich damals mit Synthesefasern und Synthesefaserrohstoffen beschäftigte. Ich trat 1969 als Halbtagsangestellter in die damaligen Emser Werke ein, und kann deshalb zu Ihren Vorwürfen nicht Stellung nehmen.» Ansonsten verweist Blocher darauf, dass ihm die vorgelegten Fakten über Giesen nicht bekannt seien.

Wesentlich mehr Neigung, sich mit der Geschichte zu beschäftigen, zeigte Blocher im März 1997 anlässlich der Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen und die Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz zum nationalsozialistischen Deutschland. Damals bezeichnete er es im Nationalrat als «erfreulich, dass die Politiker finden, man sollte endlich über die Vergangenheit diskutieren». Das sei «eine so großartige Zeit», dass man gar nichts anderes tun könne, «als sich immer damit zu beschäftigen». Blocher gab auch zu verstehen, dass er als Industrieller an der Wirtschaftsgeschichte interessiert sei. Eine selbstkritische Beschäftigung mit der Geschichte seines Unternehmens sucht man bei Blocher freilich vergebens.

In seiner vielbeachteten Rede «Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg - Eine Klarstellung» wetterte Blocher gegen die «sogenannte ‘Aufarbeitung’ der Geschichte» und gegen «Selbstgerechte, Heuchler und andere Moralisten» - gemeint waren die kritischen Intellektuellen und die «jüdischen Organisationen, die von uns Geld verlangen». Blocher wandte sich auch gegen den Holocaustfonds zugunsten der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.

Für einen Wirbel sorgte ein kurz vor den Nationalratswahlen 1999 bekannt gewordenes Schreiben Blochers, in dem er sich für die Zusendung der revisionistischen Publikation «Vom Untergang der schweizerischen Freiheit» bedankte. Blocher kommentierte das Werk des Holocaust-Lügners Jürgen Graf mit den Worten «Wie recht er doch hat» - angeblich ohne es gelesen zu haben. Blocher distanzierte sich darauf öffentlich vom Revisionismus. Dick trug der SVP-Politiker auch im Frühjahr 2000 in seiner Kampfschrift «Freiheit statt Sozialismus» auf, in der er der Sozialdemokratie ideologische Affinitäten zum Nationalsozialismus unterstellte.

Christoph Blocher lehnt jede Art von Schuldeingeständnis oder finanzieller Wiedergutmachung der Schweiz für ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg ab. Daraus erklärt sich sein Widerstand gegen die Solidaritätsstiftung, die 1997 vom damaligen Bundespräsidenten Arnold Koller konzipiert wurde. Blochers Antwort war die SVP-Goldinitiative, die am 22. September zur Abstimmung kommt.

Lukas Straumann

IG Farben in Auschwitz Der auf 776 Millionen Reichsmark veranschlagte Bau eines neuen Chemiewerks der IG Farben in Auschwitz gilt bis heute als Inbegriff der Beteiligung der deutschen Wirtschaft an den Verbrechen der Nazis. Beim Bau der riesigen neuen Fabrik zur Produktion von Treibstoffen, synthetischem Kautschuk («Buna») und Giftgas arbeitete IG Farben seit 1941 eng mit der SS zusammen. Als erstes deutsches Unternehmen setzte IG Farben in großem Umfang KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte ein. Zu deren Unterbringung finanzierte der Konzern ein Konzentrationslager auf seinem Werksgelände: das KZ Monowitz (Auschwitz III).

Chronischer Hunger, extrem harte Arbeitsbedingungen und die mangelnde medizinische Versorgung machten das Leben in Monowitz zur Hölle. Über 30.000 Monowitz-Häftlinge bezahlten ihren Einsatz bei IG Farben mit dem Leben; ihre durchschnittliche Überlebensdauer betrug nur wenige Wochen bis Monate. Auf Veranlassung von IG Farben führte die SS in Monowitz regelmäßig Selektionen durch, bei denen Häftlinge mit ungenügender Arbeitsleistung ausgeschieden wurden. Für die Betroffenen bedeutete dies den sicheren Tod: Sie wurden nach Auschwitz-Birkenau verbracht und in der Gaskammer ermordet.

Das IG Farben-Werk blieb bis zum Vordringen der Roten Armee nach Auschwitz im Januar 1945 unvollendet. Methanol wurde als einziges Produkt je in nennenswerter Menge hergestellt. Für den Aufbau des Methanolbetriebs war der Chemiker und spätere Ems-Forschungsleiter Johann Giesen verantwortlich.

Nach Kriegsende zog ein amerikanisches Militärgericht in Nürnberg das Topmanagement von IG Farben wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft. Einer der zentralen Verhandlungspunkte vor Gericht war die Verantwortung des Konzerns für den Tod von KZ-Häftlingen beim Bau des Werks Auschwitz. Am 30. Juli 1948 wurden mehrere IG Farben-Manager, darunter Giesens unmittelbarer Vorgesetzter Heinrich Bütefisch, zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt.

Lukas Straumann, Florian Schmaltz *