AKTUELL :Es macht Spaß, im Schlamm zu waten

de Anne O’Nim Radio Zinzine, Frankreich, 18 mars 2013, publié à Archipel 212

Vom 10. bis 17. Dezember 2012 war ich eine Woche lang in der inzwischen berühmten ZAD (Gestaffelte Ausbauzone), ungefähr einen Monat nach der Wiederbesetzungsdemonstration vom 17. November1. Ich werde hier weder darauf eingehen, warum ein großer Teil der Bevölkerung sich gegen den Bau des in Notre-Dame-des-Landes bei Nantes geplanten Flughafens wehrt, noch auf die Argumente dafür und dagegen. Ich will mich darauf konzentrieren, was ich dort in den wenigen Tagen erlebt und mit anderen geteilt habe.

Die erste Materie, mit der man konfrontiert ist und mit der man leben lernen muss ist:

Der Matsch

Besonders wenn man aus der trockenen Provence kommt, ist der Matsch zunächst eine Substanz, mit der man nicht gewohnt ist umzugehen. In dem Feuchtgebiet dieser Region ist Matsch überall präsent, dazu kommt, dass die Niederschläge der letzten Wochen außergewöhnlich stark waren. Obwohl ich hohe Gummistiefel trug, musste ich bei jedem Schritt befürchten, den festen Boden unter den Füßen erst zu spüren, nachdem der Schlamm den oberen Rand meiner Stiefel erreicht hatte. Ohne zu übertreiben: Dieser außergewöhnlich flüssige und klebrige Matsch erreicht an manchen Stellen fünfzig Zentimeter Dicke, nachdem hunderte Menschen bereits durchgewatet sind.
Anfangs ist man zunächst überrascht bis abgestoßen, aber im Laufe der Zeit lernt man schnell, sich sogar mit einem gewissen Vergnügen in diesem faszinierenden Element fortzubewegen, jedenfalls mit sehr viel mehr Freude als die Polizisten, denen man regelrecht ansieht, wie schwer sie damit zurecht kommen …genauso wie die Putzfrauen im Hotel, wo die Polizisten untergebracht sind, die gegen den eingeschleppten Schlamm einen Streik begonnen haben.

Die Polizei, hier eher «Bullen»

Einige Worte über diese blau uniformierten hoch aufgerüsteten Einsatzkräfte: CRS (Republikanischer Sicherheitskorps) oder mobile Gendarmerie, mein Herz schwankt zwischen beiden. Tägliche «Check Points» mit oder ohne Ausweiskontrolle haben dazu geführt, dass hier die Schulbusse nicht mehr fahren. Manchmal, ohne dass man versteht warum und wer den Befehl dazu aus welchem Grund gegeben hat, blockieren sie den ganzen Verkehr selbst für Menschen, die hier schon seit zwanzig Jahren leben ... oder sie machen keine Kontrolle oder kontrollieren nur die Autos oder die Fahrräder oder die Fußgänger oder alle oder niemanden.
Während meines Aufenthaltes gab es drei Erlasse der Präfektur, um das Leben in dem Gebiet angeblich zu regeln: Verbot von Sprengstoff, «Knallern» und anderen Feuerwerken, Verbot, Benzin zu transportieren und das Verbot, Baumaterial zu transportieren. Die Einsatzkräfte wissen ganz genau, wie sinnlos diese Erlasse sind und sagen selbst: «Es wird sowieso alles zu Fuß durch den Wald transportiert», und genau so geschieht es. Es kommt aber auch vor, dass jemand die Unsinnigkeit der Erlasse und der quasi militärischen Besetzung des Gebietes aufzeigen will und bewusst das Material vor den Augen der mobilen Einheiten transportiert, die verblüfft sind und, wie soll es anders sein, mit Gas reagieren. So war das zum Beispiel am 15. Dezember, als ein Traktor eine Kinderkrippe in Einzelteilen transportierte.
Wenn man die Uniformen vermeiden will, geht man querfeldein und stapft durch den Schlamm. Gefriert dieser, verrenkt man sich dabei die Fußgelenke.
Die starke Präsenz der Polizei hat viele Verwundete innerhalb der Bewegung verursacht, auf die ich noch zurückkommen werde. Als Reaktion auf die Störmanöver der Polizei sind sozusagen Gegenstörmanöver entstanden, angefangen von den älteren und sehr redefreudigen Einwohnern, die stundenlang auf die Polizisten einreden und wissen wollen, weshalb sie da sind und ob sie sich nicht schämen, bis hin zu offensiveren Aktionen durch die Jüngeren.
Die Polizeieinheiten verbreiten ein Klima der Unsicherheit, aber sobald sie weg sind, oder wenn man sich von ihrem Bereich entfernt, entsteht eine ruhige Stimmung, rund um ein Leben außerhalb der Gesellschaft wie in einem Laboratorium menschlichen Zusammenlebens.
Es ist nicht einfach, dieses wuselnde Leben in der «Zone ZAD» zu erfassen und zu beschreiben, ja sogar unmöglich, alles zu wissen, was auf diesem zweitausend Hektar großen Feuchtgebiet geschieht.
Offensichtlich ist, dass gebaut wird, gebaut wird und noch mal gebaut wird … Hütten aus Paletten, Jurten, Caravans … und Kinderträume wie zum Beispiel eine Pfahlhütte mitten in einem Teich, die man nur mit einem Boot erreicht.
Ein wichtiger Ort ist das Lebensmittellager, mit dem treffenden Namen «Außer Kontrolle». Es wird regelmäßig durch die Großzügigkeit und Solidarität von überall her gefüllt. Mehrere Großküchen sind rund um die zentralen Punkte des kollektiven Lebens entstanden: die Küche der «Chat-Teigne», ein Wortspiel zwischen widerständiger Katze und Kastanie, die Küche von «Außer Kontrolle» und die der «Schwarzen Gräben».

Der Tag beginnt mit Radio Klaxon

Der Tag beginnt um sechs Uhr mit dem Radiosender « das Piratenradio von Piraten, die niemals Radio gemacht haben», Radio Klaxon, das die Frequenz von Radio Vinci-Autobahn besetzt hat. Die Verkehrsnachrichten wurden zu Nachrichten über Polizeimanöver: «Sie hören Radio Klaxon 107,7. Heute Nachmittag findet um siebzehn Uhr eine Versammlung über Tierhaltung und Gemüseanbau in der «Chat-teigne» statt. Wir wiederholen, dass noch immer fünf Einsatzwagen der Mobilen Polizei in Ardillère stehen und zurzeit nur Fahrzeuge, nicht aber die Fußgänger und Fahrräder kontrollieren.
Eine medizinische Betreuung wird regelmäßig durch ausgebildete Ärzte und Ärztinnen sowie Krankenschwestern garantiert, was bei den vielen durch die demokratisch-militärischen Einsatzkräfte Verletzten kein Luxus ist. Ebenso ist eine Gruppe von Anwälten zur juristischen Unterstützung der Bewegung ständig telefonisch erreichbar, dazu gehört auch die Vertretung derjenigen, die angeklagt werden.
Dann muss man natürlich noch über die Barrikaden sprechen. Wenn Kenntnisse und Geräte der Bauern mit den politischen Erfahrungen der Aktivisten zusammenkommen, ist das Ergebnis beeindruckend. Aus Rundballen und Wellblech lassen sich Barrikaden bauen, die hoch und stabil sind, besonders an den Orten, wo Zeit genug war, um den Bau zu durchdenken und auszuführen. Diese Barrikaden sind der Ausdruck des Willens, das Gelände zu verteidigen, und sind wirkliche Hindernisse, welche die Räumung durch die Polizei beeinträchtigen. Dadurch bleibt im Fall eines Polizeieinsatzes mehr Zeit für die Mobilisierung der Unterstützer_innen von außerhalb des Geländes. Die Wache auf den Barrikaden beginnt sehr früh am Morgen, wobei die Wachsamkeit sich auch nach der juristischen Lage richtet, obwohl es mehrmals vorgekommen ist, dass die Polizei gewaltsam vorgerückt ist, ohne Rücksicht auf die rechtliche Lage. Im Moment herrscht ein ziemlich bizarrer Status quo.
Die Barrikade löst Begeisterung und Energie aus, denn endlich ist man in einer Situation, in der Barrikaden wirklich möglich sind und nicht mehr nur eine historische Referenz an die Pariser Kommune und Mai 68 darstellen, oder exotisch sind (Beispiel Oaxaca). Hier und jetzt erleben wir eine historische Situation, wo dieses Mittel notwendig und möglich ist. Andererseits löst der Mythos von Barrikaden und die eher kriegerische Dynamik, die darum entsteht, eine Stimmung aus, die sehr von Männlichkeit geprägt und nicht unbedingt sehr angenehm ist. Mehrere Frauen, die auf den Barrikaden waren oder an Kämpfen um die Barrikaden teilgenommen haben, wollen wegen dieser Stimmung nicht mehr daran teilnehmen. Das ist eigentlich schade.
Um nicht das Leben in der «Zone» zu idealisieren muss man auch sagen, dass menschenfeindliche und sexistische Verhaltens– und Ausdrucksweisen manchmal die Stimmung stark belasten. Man kann also auch gegen den Flughafen sein, ohne für gesellschaftliche Veränderungen einzutreten.

Die Gefahren

Während bei den ersten Räumungen die Gewalt noch relativ gering war, so hat der verstärkte Druck der Polizeikräfte inzwischen viele Schäden angerichtet. Gummigeschoße und betäubende Granaten verursachen viele Verletzte. Diese explodieren in unzählige kleine Teile aus Plastik oder Metall, die glühend heiß in das Fleisch eindringen und Wunden einbrennen. Es ist sehr kompliziert, diese Teile aus dem Fleisch wieder zu entfernen. Darüber hinaus werden selbstverständlich Tränengasgranaten und spezielle Granaten zur Auflösung von Versammlungen direkt auf die Demonstrant_innen abgeschossen.
Der Wille zur Unterdrückung der Bewegung scheint in der letzten Zeit immer stärker zu werden, und die Anzahl der Prozesse sowie der Verhaftungen steigt. Nach der letzten Bilanz gab es bereits 80 Verhaftungen mit Gerichtsverfahren, da viele der Festgenommenen den Richtern unmittelbar vorgeführt werden. Die Strafen sind meistens auf Bewährung mit zusätzlichen Bußgeldern wegen Verweigerung eines DNA-Tests oder Fingerabdrücken angesetzt, verbunden mit einem Aufenthaltsverbot in den fünf Gemeinden rings um die Zone ZAD. Zwei Personen sind aber für fünf bzw. sechs Monate inhaftiert worden, was sehr schwer wiegt. Solidarität wird immer mehr gebraucht. Da die Prozesse nur langsam begonnen haben, war die Mobilisierung gegen die Repression bisher eher schwach. Inzwischen ist die Anzahl der Prozesse aber stark gestiegen, und die Solidarität beginnt sich glücklicherweise konkret zu organisieren.2

  1. Siehe Archipel Nr. 210, Dezember 2012, Lautsprecher und Archipel Nr. 201, März 2012 Räumung bedeutet massive Wiederbesetzung! www.forumcivique.org.
  2. Mehr Informationen unter zad.nadir.org.