Zum ersten Mal wurde ein Multi in Den Haag vor ein internationales Gericht gestellt. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es handelte sich nicht – noch nicht! – um den Internationalen Strafgerichtshof, sondern um ein Meinungstribunal, das vom 14. bis zum 16. Oktober 2016 in Den Haag tagte: Monsanto vor einem Gericht der Zivilgesellschaft.
Hochqualifiziert waren jedoch die fünf Richter_innen am Monsanto-Tribunal. Sie kamen aus vier Kontinenten und sind international anerkannt aufgrund ihrer früheren Ämter am Internationalen Strafgerichthof, am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder an nationalen Gerichten. Auch die Anwält_innen waren weltweit gewürdigte Grössen. Die Zeug_innen kamen zum Teil aus weit entfernten Ländern wie Argentinien, Australien, Sri Lanka oder Kanada, um die durch Pestizide und GVO verursachten Schäden in ihren Ländern anzuklagen. Die Vorbereitungsarbeiten für das Monsanto-Tribunal dauerten mehr als zwei Jahre. Zahlreiche Freiwillige waren involviert, darunter auch Jura Studierende an den Universitäten Yale (USA), Louvain (Belgien) und Bordeaux (Frankreich). Begleitet wurden sie von prominenten Jurist_innen, wie Olivier de Schutter, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, Valérie Cabanes, Autorin des Buchs «Un nouveau Droit pour la Terre» oder Corinne Lepage, ehemalige französische Umweltministerin.
Die Tage in Den Haag waren ein unvergessliches Ereignis. Eine bunte Mischung mit über 750 Menschen aus 30 Ländern fand sich in ihrem Widerstand gegen Monsanto zusammen, aber auch gegen die Industrielandwirtschaft mit all ihren verheerenden Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt. Der nigerianische Schriftsteller Nnimmo Bassey fand an der Eröffnungspressekonferenz die treffenden Worte dazu: «Dieses Treffen ist nicht nur ein Kampf gegen eine multinationale Firma, es ist ein Kampf für das Leben, es ist ein Kampf für die Freiheit. Es ist ein Kampf, um die grossen Unternehmen zu stoppen, die unser Ernährungssystem kolonisieren, unsere Landwirtschaft kolonisieren, indem sie unsere Mutter Erde für ihre Profite versklaven. (…) Es ist ein Kampf für die Menschheit und die Zukunft des Planeten.»
Tod durch Roundup
Die Zeug_innen legten in ihren Aussagen die weltweit fatalen Auswirkungen der Produkte von Monsanto offen. Kolon Saman und Channa Jayasumana aus Sri Lanka berichteten über die Geschichte des Unkrautvernichters «Roundup» mit der wichtigen Komponente des Glyphosats in ihrem Land. Seit 1984 wurde Roundup in den Reiskulturen verwendet, ohne dass die notwendigen Vorsichtsmassnahmen auf den Verpackungen erwähnt wurden. Einige Jahre später traten erste Fälle von bis dahin in der Region unbekannten Nierenkrankheiten und Leberschäden auf. Das Trinkwasser war durch das Versprühen von Roundup in den Reiskulturen verseucht. Seit seiner Erstanwendung sind in Sri Lanka 24’800 Personen an den Folgen von Roundup gestorben und mehr als 69‘000 vergiftet worden. Wissenschaftliche Untersuchungen vor Ort belegen das Monsanto-Produkt als Ursache dieser Katastrophe. In der Folge verbot Sri Lanka als erstes Land der Welt den Import, den Vertrieb und die Benutzung von Roundup auf seinem Territorium.
Schwere Erkrankungen
Sabine Grataloup aus dem französischen Departement Isère behandelte ihren Pferdeauslauf von 700 m2 mit Roundup, als sie im ersten Monat schwanger war. Ihr Kind Theo kam mit einer zu kurzen Speiseröhre und einem deformierten Kehlkopf auf die Welt. In seinen ersten neun Lebensjahren musste Theo bereits 50-mal operiert werden. Die 51ste Operation ist schon geplant. «Ich hatte Vertrauen in die Reklame, die Glyphosat als «erstes biologisch-abbaubares Herbizid» anpries, ein Produkt, das ich also gerade wegen seiner Unschädlichkeit ausgewählt hatte», erklärt Frau Grataloup den RichterInnen.
Maria Liz Robledo aus Argentinien berichtete von einem ähnlichen Leidensweg mit ihrer Tochter: auch sie wurde während der Schwangerschaft durch Roundup vergiftet, das mit Flugzeugen über den Kulturen versprüht wird, wobei das Pestizid auch immer wieder auf angrenzende Wohngebiete fällt. Damian Verzeñassi, ein argentinischer Arzt, bezeugt die unzähligen Vergiftungen durch Roundup in der Nähe von Soja- und Maiskulturen. Er stellt fest, «dass in gewissen Provinzen des Landes die Menschen heute an anderen Ursachen sterben als früher und dass dieser Wechsel zeitlich korreliert ist mit der Umsetzung eines industriellen, auf gentechnisch veränderten Produkten basierenden Landwirtschaftsmodells, das von Toxinen abhängig ist.(…) Hauptsächliche Erkrankungen sind Schilddrüsenunterfunktion, Allergien, Hautprobleme, neurologische Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und Krebs. (…) Schon 1985 wies die amerikanische Agentur zur Genehmigung von Pestiziden auf ein mögliches Krebsrisiko von Glyphosat hin».
Der amerikanischer Anwalt Timothy Litzenburg vertritt in den USA – von Hawaii bis Pennsylvania und Florida – zirka 1‘000 Opfer von durch Monsanto hergestellten Pestiziden. Ab 1995 benutzte eine seiner Mandantinnen, Christine Sheppard, Roundup während acht Jahren auf ihren Kaffeeplantagen. Sie erkrankte an einer besonders gefährlichen Form von Krebs, dem Non-Hodgkin-Lymphom (LNH), mit nur 10 Prozent Überlebenschancen. Nach zahlreichen Spitalaufenthalten leidet sie weiterhin an chronischen Schmerzen.
Raubbau durch Gentech-Kulturen
Die ersten Zeug_innen berichteten ausführlich über die Wirkung von Roundup auf die menschliche Gesundheit. Die Richter_innen werden auch die Auswirkung der Machenschaften von Monsanto auf die Menschenrechte, auf eine gesunde Umwelt und auf eine gesunde Nahrung beurteilen. Auch werden sie abklären, ob sich das Unternehmen des Ökozides, eines bisher noch nicht anerkannten Völkerrechtsverbrechens, schuldig gemacht hat. Weiter werden sie offenlegen, in welchem Masse Monsanto das Recht auf freie Meinungsäusserung und wissenschaftliche Forschungsfreiheit verletzt und, als einer der Produzenten von Agent Orange, an Kriegsverbrechen in Vietnam beteiligt war.
Die Aussagen der an die 30 ZeugInnen waren sehr ergreifend und umfassten die ganze Bandbreite der Auswirkungen von Roundup und anderen Pestiziden auf Mensch, Tier und Natur. Mexikanische Bienenzüchter aus der Region Campeche in Yucatan können ihren Honig nicht mehr verkaufen, weil er durch gentechnisch veränderte Mais- und Sojakulturen, die mit Glyphosat behandelt werden, verseucht ist. Ein Bauer aus Burkina Faso klagt über Ernteeinbussen seit der Einführung von gentechnisch veränderter Baumwolle (GVO-Baumwolle). Ein Delegierter einer Bauerngewerkschaft aus Indien denunziert den Aufkauf von traditionellem Baumwollsaatgut im ganzen Land durch Monsanto, wodurch die Bauern gezwungen werden, auf GVO-Baumwolle umzustellen. In nur zehn Jahren stieg der Anteil der GVO-Baumwolle in Indien von 5 Prozent auf 95 Prozent und die Preise für das Saatgut erhöhten sich um 7‘000 Prozent. Eine Bäuerin aus Bangladesch bezichtigt Monsanto des Raubes von lokalem Auberginen-Saatgut. Der Konzern wolle so sein eigenes Saatgut durchdrücken.
Nicolas Defarge, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des französischen Forschungsinstituts Criigen, klärt die Richter_innen über die Zusammensetzung von Roundup auf. Neben dem Wirkstoff Glyphosat enthält dieses Unkrautvernichtungsmittel auch 1‘000mal giftigere Beistoffe, wie Arsenik, Kadmium und weitere Schwermetalle. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen werden aber nur über Glyphosat gemacht. Die genaue Formel von Roundup ist nicht öffentlich zugänglich, sie ist ein Firmengeheimnis von Monsanto. Die wissenschaftlichen Arbeiten vom Criigen zeigten, dass Roundup, auch in geringeren Dosen als in den für den landwirtschaftlichen Gebrauch zugelassenen Mengen, giftig ist.
Massiver Druck
Wissenschaftler und Institutionen, die Monsanto-Produkte anprangern, werden von Monsanto als unseriös und inkompetent bezeichnet und stehen unter massivem Druck. Dr. Shiv Chopra, Kadermitglied in der kanadischen Gesundheitsbehörde «Santé Canada», beschreibt den Druck von Monsanto auf Institutionen, um die Kommerzialisierung eines Wachstumshormons in der Milchproduktion in Kanada durchzusetzen. Weil er auf gesetzlich vorgeschriebenen Tests bei der Zulassung dieses Produktes bestanden hatte, wurde er schlussendlich wegen Ungehorsam gefeuert. In Kanada, wie auch in zahlreichen anderen Staaten, beeinflusst der lange Arm von Monsanto direkt oder indirekt die Beschlüsse der Regierungen. In Europa, berichtet Peter Clausing, ist die EFSA (European Food Safety Agency), welche erst kürzlich über eine Verlängerung der Zulassung von Glyphosat bis Ende 2017 entschieden hat, der chemischen Industrie unterworfen. Denn diese beschliesst, in welchem Land die entscheidenden Analysen für die Zulassung eines Produktes gemacht werden.
Wie skrupellos Monsanto über die Unschädlichkeit seiner Produkte lügt, zeigt sich unter anderem darin, dass deren Beschriftung von einem zum anderen Land variieren. So wurde beispielsweise das Herbizid «Lasso» in Belgien bis 1991 und in Frankreich sogar bis 2007 vermarket, obwohl es in Kanada schon 1985 verboten wurde. Allfällige Gefahren bei der Handhabung wurden auf der Produktverpackungen nicht explizit beschrieben, erklärt Paul François, ein Landwirt der in Frankreich Opfer der Ausdünstungen von Lasso wurde. Der Anwalt William Bourdon qualifiziert in seinem Plädoyer das Verhalten von Monsanto als «weltumfassende, intellektuelle Betrügerei – durchgeführt von organisierten Banden, die das Recht auf freie Information mit Füssen treten».
Ein gemeinsames Ziel
Das Tribunal vereinte Menschen aus der ganzen Welt mit einem gemeinsamen Ziel: Der multinationale Konzern Monsanto soll zur Verantwortung gezogen werden. Die durch seine Pestizide entstandenen Schäden und seine unlauteren Machenschaften sollen öffentlich bekannt werden. Die Zeugenaussagen legten klar dar, dass die am Tropf von giftigen Produkten hängende industrielle Landwirtschaft eine Plage für die Menschheit ist, sowohl heute wie auch für künftige Generationen. In einigen Monaten, wahrscheinlich im April 2017, werden die Richter_innen die juristischen Gutachten bekanntgeben. Diese können Klagen gegen multinationale Konzerne, welche die Menschenrechte verletzen und die Umwelt zerstören, weltweit unterstützen und werden sicher noch viele Nachwirkungen haben.
Raymond Gétaz,
Longo maï, Schweiz
P.S. Die Abschlusserklärung der Präsidentin des Tribunals und zahlreiche Zeugenaussagen finden Sie auf der Website www.monsanto-tribunal.org und auf vimeo.com
Abschlusserklärung der Präsidentin des Tribunals (Auszüge)
«Sie wissen, dies ist ein Meinungstribunal. Es soll der Zivilgesellschaft ermöglichen, Zeug_innen zu Wort kommen zu lassen, damit die Öffentlichkeit die Auswirkungen der Aktivitäten von Monsanto versteht. (…) Wir werden die Aktivitäten von Monsanto prüfen in Bezug auf das Recht auf eine gesunde Umwelt, auf Ernährung, auf Gesundheit, auf Information. Deshalb mussten wir diese Punkte klären. Aber auch in Bezug auf das, was in Vietnam passiert, in Bezug auf die neue Frage des Ökozids. Wir werden also prüfen, ob die Tätigkeiten von Monsanto mit den genannten Rechtsinstrumenten konform sind oder nicht.
Rechtsinstrumente bereitstellen
(…). Dann geben wir eine «Advisory Opinion» ab. Was ist eine «Advisory Opinion»? (…) Die beratende Stellungnahme einer fachlichen Autorität. Eine beratende Stellungnahme dieses Tribunals, dieses Meinungstribunals, das legitim ist – denn diese Frage wird oft gestellt – weil es von der Zivilgesellschaft gebildet wurde.(...) Generell wird sie, wie jede «Advisory Opinion», Feststellungen, aber wahrscheinlich auch Empfehlungen enthalten.
Welche Wirkung, welche Tragweite wird diese «Advisory Opinion» haben? Sie soll zuerst einmal Instrumente bereitstellen. Rechtsinstrumente, denn das ist unser Bereich. Das Recht ist nicht alles auf der Welt, absolut nicht, aber wir sind hier in einem Gericht und das Ziel ist, juristische Stellungnahmen abzugeben, die Anwält_innen, Richter_innen, Gerichten Massnahmen ermöglichen werden. (...) weiter zu gehen in Sachen Haftung und Entschädigung. Diese Themen müssen natürlich angesprochen werden, das ist unumgänglich.
Das Recht voranbringen
Das zweite Ziel ist damit verknüpft. Das zweite Ziel ist, die internationalen Menschenrechtsnormen weiterzuentwickeln. Das ist ein Punkt, der uns aufgefallen ist bei all dem, was wir hier gehört haben: Es ist absolut notwendig, die internationalen Menschenrechtsnormen weiterzuentwickeln. Wenn Sie es nicht tun, wer wird es dann tun? Sie müssen es tun, die Zivilgesellschaft. Das Recht folgt den Ereignissen. ( ….) Das Recht wird für Sie gemacht, nicht für die Juristen oder die Gesetzbücher. Das Recht wird für die Menschen gemacht, die leben, die leiden. Das ist das zweite Ziel dieser «Advisory Opinion»: die Menschenrechtsnormen weiterzuentwickeln. Denken wir an unsere Debatte über das Verbrechen des Ökozids, von dem wir möchten, dass es in das Römische Statut aufgenommen wird. Aber man wird nichts tun können, wenn es keine genaue juristische Definition des Verbrechens des Ökozids gibt. Damit müssen wir vorankommen. Im Recht muss man geduldig und ungeduldig zugleich sein. Geduldig, weil es nicht von heute auf morgen geht. Und ungeduldig, weil man es wollen muss. (…). Wir müssen das internationale Recht über die Haftung von Unternehmen voranbringen, das haben wir in den letzten zwei Tagen gesehen. Bei Verletzungen der Menschenrechte steht nicht nur der Staat den Bürger_innen gegenüber, sondern, auf horizontalere Weise, die Bürger_innen auch den Unternehmen. Man sieht, dass wir in diesen Bereichen das internationale Recht voranbringen müssen. Das ist unser doppeltes Ziel. Instrumente schaffen, damit Rechtsanwält_innen, Richter_innen, Gerichte weiter gehen können, und gleichzeitig das internationale Recht weiterbringen. Wenn Sie dies eines Tages erleben, (…) haben Sie es sich selbst zu verdanken (…).
Richterin Françoise Tulkens
Verantwortungslosigkeit der Behörden
Wäre es an der Zeit, eine Klage für die Nichteinhaltung des Vorsorgeprinzips gegen das Bundesamt für Landwirtschaft einzureichen? Der folgende Bericht geht dieser Frage nach.
Kaum zurück aus Den Haag, gehe ich an einem Feld von einem Nachbarn vorbei, wo die Weizenschösslinge auf einem von Roundup vergilbten Feld spriessen. Wie ist es möglich, dass ein Landwirt, der sich auch um seine Böden und um die Nahrungsgrundlage kommender Generationen sorgen sollte, seine Felder dermassen vergiftet? Fehlen ihm die notwendigen Informationen? Geht es um kurzfristige Profitgier oder hat er blindes Vertrauen in die Direktiven des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW)? Denn das BLW unterstützt und subventioniert weiterhin mit 250 Franken pro Hektar Kulturen, deren Boden nicht gepflügt, sondern mit Herbiziden abgebrannt wurde. Das ist eine indirekte Subvention für die Fabrikanten von Roundup! Die aktuelle Subventionsregelung ist umso skandalöser, da doch die Weltgesundheitsorganisation Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend eingestuft hat! Wo bleibt das Vorsorgeprinzip, das mit so viel Unerbittlichkeit bei kleinen Metzgereien oder Käsereien angewendet wird? Ich möchte vehement dagegen protestieren und die Behörden für ihre Verantwortungslosigkeit anklagen!
Raymond Gétaz