Saatgutkonzerne wollen EuGH-Urteile aushöhlen um einfacher abzukassieren. Drohen auch in Österreich Nachbaugebühren?
Bäuerinnen und Bauern in Europa: Aufgepasst! Nachbau, das jahrhundertalte Recht der Bauern und Bäuerinnen, einen Teil der Ernte aufzubewahren, um diesen im folgenden Jahr auszusäen, soll beseitigt werden. Erneut versuchen die Züchter, die Nachbauregelung beim Saatgut zu ihren Gunsten zu gestalten und für die Bauern und Bäuerinnen zu verschärfen. Dank des entschlossenen Widerstands der IG Nachbau und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Deutschland mussten sie in den vergangenen Jahren Niederlagen einstecken. Wie hat alles angefangen? Die Interessengemeinschaft gegen Nachbaugebühren haben 15 Bauern und Bäuerinnen am Rande der AbL-Bundesversammlung 1998 gegründet. Diese Bauern und Bäuerinnen weigerten sich damals einer von den Saatgutfirmen eingesetzten Treuhandgesellschaft Auskunft darüber zu erteilen, was sie auf ihren Feldern anbauten, ob und mit welchem Saatgut sie Nachbau betrieben. Die Saatgutfirmen verklagten sie und bekamen vor den unteren Instanzen Recht. Die Bauern und Bäuerinnen gaben jedoch nicht auf, gründeten die IG-Nachbau und zogen die Verfahren bis vor das höchste Europäische Gericht, den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH). Über 1000 Gerichtsverfahren haben die Pflanzenzüchter gegen uns geführt, aber das höchste deutsche Gericht, der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, gab uns in neun Verfahren sowie der EuGH in vier Verfahren in wesentlichen Punkten Recht.
Was wir erreicht haben: Die Bauern und Bäuerinnen müssen den Pflanzenzüchtern nicht pauschal Auskunft über ihren Anbau geben, nur wenn sich diese Anfragen auf die Sorten der Saatgutfirmen selbst beziehen. Die Nachbaugebühren müssen auf höchstens 50 Prozent der Lizenzgebühren gesenkt werden. Auch die Aufbereiter, also Genossenschaften, die sich um Reinigung und Trocknung des Saatguts kümmern, sind nicht verpflichtet, pauschal die Adressen und Sorten ihrer bäuerlichen Kunden preiszugeben. Die Saatgutfirmen versuchen nämlich auch, die Bauern und Bàuerinnen über die Aufbereiter auszuspionieren.
Diese Erfolge sind nur möglich mit Glück und Mut, vielen unterstützenden MitstreiterInnen und guten RechtsanwältInnen, die für die Bauern und Bàuerinnen kämpfen. Die IG-Nachbau zählt mittlerweile tausend Mitglieder, über 40.000 Bauern und Bäuerinnen verweigern in Deutschland die Auskunft.
Was haben die Züchter vor und was steht uns mit der Neuverordnung des EU-Sortenschutzes ins Haus?
Nachdem sie in den letzten Jahren auf politischer und rechtlicher Ebene mit ihren Plänen nicht durchgekommen sind, wird jetzt hinter verschlossenen Türen in Brüssel eine Gesetzesänderung beim EU-Sortenschutzrecht ausgedealt mit dem Ziel, die Nachbauregelung «effektiver, einfacher und gerechter» zu gestalten. Übersetzt heißt das, dass die Züchter einfacher an die Nachbaugebühren und an das Geld der Bauern und Bäuerinnen kommen wollen. Die Brüsseler Türen sind auch nicht ganz geschlossen, denn – so eine EU-Kommissionsvertreterin gegenüber einer Delegation der IG Nachbau - sitzen Vertreter der Europäischen Bauernverbände (COPA) und der Europäischen Genossenschaften (COGECA) wieder mit am Tisch. Das hatten wir in den 1990er Jahren bei der Reform des EU-Sortenschutzgesetzes schon einmal. Auch damals haben sich der Bund der Deutschen Pflanzenzüchter und der Deutsche Bauernverband auf höchster Ebene verständigt, wie man das Nachbaurecht der Bauern beschneiden und jedes Jahr abkassieren kann. Sie hatten die Rechnung ohne die IG Nachbau und ohne die AbL gemacht. Seitdem haben wir für das Recht auf Nachbau gekämpft, sowohl politisch als auch auf dem rechtlichen Wege.
Die Züchter fordern derzeit:
- allgemeine Auskunftspflicht für Landwirte und Saatgut-Aufbereiter;
- Unterstützung durch öffentliche Stellen, z.B. Streichung der EU-Förderung bei Auskunftsverweigerung;
- Aufbereitung des Saatguts nur zulässig bei Sortenkenntnis bzw. Musterziehung;
- Zahlungspflicht für Kleinlandwirte (sie waren bisher von Nachbaugebühren ausgenommen);
- Einschränkung der nachbaufähigen Arten;
- Mengen- und flächenmäßige Begrenzung des Nachbaus;
- Volle Lizenzgebühr für Nachbau.
All die Errungenschaften der IG Nachbau – erkämpft durch Urteile vor dem Europäischen Gerichtshof und dem Bundesgerichtshof – sollen durch ein neues, europaweit wirksames Gesetz ausgehöhlt werden. Es soll darin keine national unterschiedliche Umsetzung und keine Schlupflöcher mehr geben. Wenn das durchgeht, drohen Nachbaugebühren auch in Ländern, wo es diese bisher nicht gab, wie in Österreich. Dahinter stecken die großen Konzerne wie Monsanto und Co. die bei den Plänen zur Reform in einer Arbeitsgruppe der Europäischen Züchterverbände kräftig mitmischen. Bei einer Konferenz in Brüssel im Oktober 2011 wurde von den Ergebnissen dieser Arbeitsgruppe berichtet. Zu unserem Erstaunen ignoriert sie die von uns erstrittenen Gerichtsurteile.
In einem aktuellen Bericht des Gemeinschaftlichen Sortenamtes in Brüssel an die EU-Kommission finden sich die Vorschläge der Saatgutfirmen wieder. Darin wird z.B. Handlungsbedarf zur Verbesserung der Auskunftspflicht über Nachbau betont. Die Bauernverbände COPA und COGECA haben dabei mitgemacht.
Die IG Nachbau ist im Oktober mit einer zehnköpfigen Delegation nach Brüssel gefahren, hat in Gesprächen mit EU-Abgeordneten diese «wachgeküsst», denn sie haben bislang nichts von den konkreten Änderungsplänen mitbekommen. Wir haben sie aufgefordert, an die EU-Kommission Anfragen zu stellen, wie die Nachbauregelung in den EU-Ländern derzeit gehandhabt wird, welche Pläne die EU-Kommission hat, wie hoch die Einnahmen durch Nachgebühren sind und vor allem wofür sie verwendet werden. In einem Gespräch mit Frau Mannerkorpi, der zuständigen Beamtin der EU-Kommission für das EU-Sortenschutzrecht, wurde deutlich, dass dort die Züchterargumente für einen einfachen Gebühreneinzug schon auf offene Ohren gestoßen sind. Wir haben dagegen klar gemacht, dass wir politisch und rechtlich mit allen unseren Mitteln für das Recht auf freien Nachbau kämpfen werden. Wir haben erklärt, warum Saatgutzüchtung eine Aufgabe der Gesellschaft ist und deshalb ein Fonds eingerichtet werden sollte, in dem der Staat, die Züchter, Bauern und der Handel einzahlen. Es soll in einem aus diesen Interessengruppen paritätisch zusammengesetzten Gremium demokratisch entschieden werden, für welche Züchtungsprojekte Geld ausgegeben wird.
Ich hatte auf dem Internationalen Saatgut- Treffen von Via Campesina Europa und Uniterre am 20.u.21.Oktober 2011 in Genf die Gelegenheit, den Bauern-Delegationen von der Auseinandersetzung in Deutschland zu berichten. Wir waren uns in der Diskussion einig, dass die Erfahrungen aus Deutschland wichtig für andere Länder sind und dass wir gemeinsam auf europäischer Ebene für das Recht auf Nachbau durch Informationsaustausch und gemeinsame Aktionen streiten müssen. Die Bauern-Sprecher der IG Nachbau sind auch bereit zu Veranstaltungen zu kommen, um über unsere Erfahrungen in Deutschland zu berichten. Der Kampf geht weiter: Für das Recht auf freien Nachbau, für eine gentechnikfreie Landwirtschaft und gegen Patente auf Pflanzen und Tiere.
Georg Janßen, Geschäftsführer der IG Nachbau und der AbL in Deutschland
c/o AbL- Büro, Heiligengeiststr. 28, D -21335 Lüneburg, Telefon: 0049- 4131-407757, Fax: 0049 -4131-407758, Email: janssen@abl-ev.de