AMERIKA: Widerstand in den USA

von Alexis Shotwell, Punch Up Colletive Ottawa, 14.07.2025, Veröffentlicht in Archipel 349

Als ich am Wochenende des 6. Juni im Zuge meiner Europareise mit Freundinnen und Freunden vom EBF über den Widerstand gegen Trumps autoritären Kurs sprach, sagte ich, dass ein Unterschied zwischen jetzt und seiner ersten Amtszeit darin bestehe, dass es 2017 Massenproteste gegeben habe und sich der Widerstand 2025 anders, stiller ausdrückt. Das stimmt nicht mehr!

Seit dem 8. Juni hat sich nämlich erheblicher Widerstand gegen Trumps Abschiebepolitik gebildet, der sich, während ich diese Zeilen schreibe, auf viele grosse und kleine Städte ausbreitet. Vieles von dem, was ich hier sage, wird daher, wenn Ihr diese Zeilen lest, bereits überholt sein. Am 14. Juni sind beispielsweise im ganzen Land 2.000 «No Kings»- Kundgebungen gegen Trumps riesige Militärparade zu seinem 79. Geburtstag und dem 250sten der Amerikanischen Armee geplant.[1]Trump hatte die Einwanderungsbehörde ICE[2] angewiesen, Festnahmen und Abschiebungen, insbesondere in den demokratisch regierten Metropolen Los Angeles, Chicago und New York auszuweiten. Die Beamten müssten «alles in ihrer Macht Stehende tun» für die «grösste Massenabschiebung in der Geschichte». Der Protest dagegen blieb nicht aus.

Einige der bisherigen Bewegungen, die den Kontext für das, was jetzt geschieht bilden, sind jedoch nach wie vor relevant für die Diskussion. Der aktuelle Widerstand steht im Zusammenhang mit drei grossen kollektiven Bewegungen der letzten Jahre.

Für die Freiheit der Schwarzen

Erstens die Black Lives Matter-Aufstände, die 2020 nach der Ermordung von George Floyd begannen. Diese waren Teil einer längeren Bewegung für das Leben und die Freiheit der Schwarzen. Damit wird ein Kampf fortgesetzt, der mit der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei begann und nun in zwei Forderungen weiterlebt: «Defund the police» Ein Slogan, der für die Umverteilung von Mitteln von Polizeibehörden auf nicht-polizeiliche Formen der öffentlichen Sicherheit und Gemeinschaftsunterstützung steht. Und «abolish prisons», also die Forderung nach der Abschaffung von Gefängnissen. Abolitionistische Bewegungen haben inzwischen eine ausgeprägte antistaatliche Ausrichtung und orientieren sich an der gegenseitigen Hilfe, auch wenn sie sich grösstenteils nicht als anarchistisch bezeichnen.

An zweiter Stelle standen Menschen, die die Bedeutung der kollektiven Selbstbestimmung in Bezug auf den Ort betonten: indigene Landbewegungen und Bewegungen für Gerechtigkeit für Migranten. Proteste gegen bestimmte Rohstoffförderungsprojekte wie die Dakota Access Pipeline sind Teil einer sehr langen antikolonialen Bewegung für die Selbstbestimmung der Indigenen, die sich in Form von Protesten und direkten Aktionen, aber auch in alltäglichen Lebenspraktiken manifestiert, die der US-Staat auslöschen wollte: indigene Zeremonien, Sprache und ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Land.

Antikolonial und antikapitalistisch

Bewegungen für Migrant·innenrechte sind in der einen oder anderen Form ebenfalls schon so lange aktiv, wie es die USA gibt. Auch wenn es den Anschein haben mag, dass Migrant·innen-Themen sich von denen der Indigenen unterscheiden oder ihnen sogar widersprechen, halte ich es für sinnvoll, die Widerstände gegen die Staaten als koloniale und kapitalistische Supermacht im eigenen Land als zwangsläufig miteinander verbunden zu betrachten. Die Kräfte, die die Grenze überwachen, sind dieselben, die versucht haben, die Indigenen dieses Kontinents zu vertreiben und auszulöschen, und dieselben, die die Sklaverei durchgesetzt haben. Viele indigene Völker Nordamerikas heissen Migrant·innen willkommen, und viele nach Nordamerika Immigrierte sind indigene Völker aus anderen Regionen. Auch diese Bewegungen sind nur manchmal explizit anarchistisch, obwohl sie generell gegen protektionistische Grenzregime sind, die den freien Kapitalverkehr ermöglichen, aber die Bewegungsfreiheit der Menschen einschränken. Sie haben auch zur Schaffung von «Zufluchtsstädten» und anderen lokalen Praktiken beigetragen, bei denen Menschen sicherere Zonen als Gegengewicht zu ICE und Grenzkontrollen geschaffen haben.

Solidarität mit den Palästinenser·innen

Drittens hat die Solidaritätsbewegung für Palästina seit der Verschärfung der israelischen Angriffe auf die Existenz Palästinas einen massenhaften Charakter angenommen, insbesondere an Universitäten, wo es viele studentische Camps gab, die einen Rückzug der Finanzmittel für die israelische Besatzung forderten. Die Palästinafrage ist ein polarisierendes Thema innerhalb der US-amerikanischen Linken. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern – wie bei den beiden anderen oben genannten Strömungen –, dass Trump zwar eine wesentliche Rolle bei der Verschärfung der Repression gegen alle diese Bewegungen gespielt hat, aber auch die Biden-Regierung eine stark auf Recht und Ordnung und polizeifreundliche Politik ausgerichtete Haltung einnahm. Auch sie stellte sich aggressiv gegen die Selbstbestimmung der indigenen Bevölkerung, praktizierte schreckliche Abschiebungspraktiken und unterstützte Israels Völkermordagenda unerschütterlich.

Umstrukturierung der US-Bundesregierung

Diese Massenbewegungen wurden sofort von der Trump-Regierung angegriffen. Ein Unterschied zwischen seiner ersten und zweiten Amtszeit besteht darin, dass letztere viel bewusster organisiert ist. Obwohl Trump sich während seines Wahlkampfs davon distanzierte, folgt seine Regierung faktisch dem Plan, der in dem 900-seitigen «Projekt 2025» der konservativen «Denkfabrik» Heritage Foundation dargelegt ist; dabei handelt es sich um ein Projekt zur Umstrukturierung der US-Bundesregierung. Viele von Trumps «Executive Orders» spiegeln den im Projekt 2025 festgelegten Plan wider. Executive Orders sind zwar keine Gesetze, aber sie leiten die Arbeit der Regierung selbst. Die Geschwindigkeit, mit der Trump begann, Anordnungen zu erlassen, und deren ungewöhnlich breite Anwendung auf Bereiche, die sie rechtlich gar nicht abdecken, war wahrscheinlich zum Teil auf den im Projekt 2025 festgelegten Plan zurückzuführen.

Jede der oben genannten sozialen Bewegungen wurde von Trump im Rahmen seiner politischen Neuausrichtung der USA ins Visier genommen, oft auf sich überschneidende Weise: Sein Engagement für Polizeiarbeit, Grenzkontrollen und das Militär passt gut zu seiner Aggression gegenüber Eingewanderten und Migrant·innen. Und beides, Polizei und Militär, wird gegen Menschen eingesetzt, die sich aktiv für die Solidarität mit Palästina einsetzen. Ich denke, es ist fair zu sagen, dass der Widerstand gegen seine Angriffe auch an diesen Fronten koaliert. Zu Recht weisen die Menschen darauf hin, dass die Polizei und das Militär der USA – eine koordinierte und fortwährende Besatzungsmacht zur Verteidigung des Kapitalismus – schon immer gegen Schwarze, Indigene und Migrant·innen gerichtet waren.

Trans-Personen

Der Widerstand gegen Trump kommt auch von einem breiten Spektrum der Menschen, die er am heftigsten angreift. Die Konservativen haben in den letzten Jahren Trans-Personen unerbittlich ins Visier genommen, unter anderem indem sie es ihnen verboten oder unmöglich gemacht haben, öffentliche Toiletten zu benutzen, in Sportmannschaften zu spielen oder geschlechtsangleichende medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Trump hat diese Angriffe noch weiter verschärft und versucht, Trans-Personen den Besitz von Pässen in ihrem gelebten Geschlecht zu verbieten und sie aus dem Militär zu vertreiben. Abgesehen von der Frage, ob jede·r im US-Militär dienen wollen sollte, bauen Trans-Personen und Eltern von Trans-Kindern Netzwerke auf, um ihr Grundrecht auf Selbstbestimmung zu schützen. Gleichzeitig verschärfen sich die Angriffe auf Trans-Personen, obwohl deren Rechtslage unklar ist und es viele Klagen gibt, die argumentieren, dass die Attacken verfassungswidrig oder unfair sind. So gibt es beispielsweise auf Bundesstaatsebene Gesetzesvorlagen, die die Verwendung eines Passes mit einem Geschlecht, das nicht dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht, als Betrug definieren, weshalb viele Menschen, die ich kenne, alle Pläne, die eine Überquerung der US-Grenze beinhalten, aufgegeben haben. Ärzt·innen und Kliniken haben als Reaktion auf Trumps Executive Order («Protecting Children from Chemical and Surgical Mutilation») abrupt Behandlungen eingestellt, da medizinischen Einrichtungen, die Transkinder versorgen, die Finanzierung entzogen wurde.

Angriffe auf Trans-Personen und ihre Rechte sind einer der Hauptpunkte bei konservativen Angriffen in Nordamerika. Aber weltweit, an Orten, an denen es zu einer autoritären Wende gekommen ist, von den USA bis Ungarn, sehen wir diese Opposition. Konservative bezeichnen das Engagement für Trans-Rechte, den Zugang zu Abtreibung, Feminismus und Geschlechts-Selbstbestimmung im Allgemeinen mit dem Begriff «Gender-Ideologie». In den USA hat die Aufhebung des Bundesabtreibungsurteils (Roe v. Wade) im Jahr 2022 dazu geführt, dass die Frage, ob Abtreibung unter Strafe gestellt wird, auf Bundesstaatenebene entschieden wird, und selbst in Bundesstaaten, in denen sie noch legal ist, unterliegt sie starken Einschränkungen. Bundesstaaten, welche Abtreibung unter Strafe gestellt haben, haben auch begonnen, Menschen zu verfolgen, die Fehlgeburten hatten (in der Regel mit der Begründung, sie hätten menschliche Überreste unsachgemäss entsorgt). Die Organisation zur Bereitstellung und Unterstützung des Zugangs zu Verhütungsmitteln und Abtreibung nimmt zu. Die feministische Organisation in den USA vereint am ehesten die Forderungen nach reproduktiver Gerechtigkeit mit Forderungen nach Selbstbestimmung der Geschlechter, da sie erkennt, dass die konservative Agenda beides ins Visier nimmt.

Koalition des Widerstands

Andere Formen des Widerstands gegen Trumps zweite Amtszeit haben sich auf vielfältige Weise verbreitet und sind dabei, sich zu entwickeln. Menschen in liberalen und sozialdemokratischen Kreisen versuchen, alle, die links von der Republikanischen Partei stehen, in einer «grossen Koalition» zusammenzubringen, die Menschen mit vielen unterschiedlichen Ansätzen Platz bietet. Dazu gehören Gruppierungen wie die Working Families Party, 50501 («50 Proteste, 50 Staaten, 1 Bewegung» – sie waren massgeblich an der Organisation der «No King»- Proteste beteiligt) und «Indivisible», die sowohl kleine Ortsgruppen organisieren als auch Lobbyarbeit und Wahlkampf betreiben. Zu Beginn von Trumps Amtszeit, als Elon Musk eine Gruppe organisierte, die massive Kürzungen bei Regierungsprogrammen und -abteilungen forderte, kam es zu ähnlich überraschend weit verbreiteten Protesten bei Tesla-Händlern. Das Spannende an diesen Ansätzen ist, dass eine sehr grosse Anzahl sehr kleiner Gruppen in kleinen Städten und Gemeinden in den gesamten USA aktiv wird, die normalerweise als konservative Enklaven gelten. Viele der Menschen, die sich engagieren, hatten noch nie an einer Demonstration teilgenommen; die Mobilisierung dieser «sanften Linken» oder Gemässigten könnte interessante Auswirkungen haben.

Dennoch finde ich die Proteste zur Unterstützung von Migrant·innen und Menschen ohne Papiere derzeit am inspirierendsten. Während Trump versucht, eine Krise herbeizuführen, die seinen Einsatz des Militärs gegen normale Menschen in LA rechtfertigen würde, zeigen die Menschen bei ihren Protesten im ganzen Land enormen Mut und Engagement. Die Inhaftierung und Abschiebung von Migrant·innen (nach El Salvador, Südsudan und Dschibuti oder in Offshore-Haftanstalten) sind Aktionen, an denen die Trump-Regierung ihre autoritäre Macht ausprobiert, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Bevölkerung dies massiv ablehnt und nicht als normal hinnimmt. Wir können hoffen, dass sich die Keime des Widerstands weiter ausbreiten und zu einem reichen Ökosystem des Widerstands in Nordamerika beitragen!

Alexis Shotwell*

*Alexis Shotwell ist Mitglied der anarchistischen Gruppe Punch Up Collective in Ottawa, Kanada, wo sie auch als Professorin für Soziologie an der Carleton University arbeitet.

  1. An den Protesten nahmen über 5 Millionen Menschen teil. (Anm. d. Red)

  2. Die «United States Immigration and Customs Enforcement» (ICE) ist eine Zoll- und Grenzschutzbehörde des Ministeriums für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten.