BOSNIEN: Kein österreichisches Guantanamo!

von Amnesty International Oesterreich, 17.07.2024, Veröffentlicht in Archipel 338

Ein Jahr nachdem SOS Balkanroute ein illegales Gefängnis im bosnischen Camp Lipa aufdecken und dessen Inbetriebnahme bis heute verhindern konnte, empfing der dortige staatliche Minister für Menschenrechte und Geflüchtete, Sevlid Hurtić, eine Delegation bestehend aus Amnesty International Österreich, SOS Balkanroute, dem österreichischen Menschenrechtsaktivisten Daniel Landau und dem Völkerrechtsexperten Ralph Janik.

«Ich werde niemals zulassen, dass dieses illegale Gefängnis, bekannt geworden als österreichisches Guantanamo, in Betrieb geht. Jeder Mensch ist gleich an Würde, Freiheit und Rechten geboren. Auch Geflüchtete und Migrant•innen haben diese Rechte», so der bosnische Menschenrechtsminister Hurtić vor versammelter Presse.(1) Das Gefängnis wurde Anfang 2023 ohne Baugenehmigung und Rechtsgrundlage vom «Internationalen Zentrum für Migrationspolitik» (ICMPD), mit Sitz in Wien und unter dem Vorsitz von Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger, errichtet. «Stellen sie sich vor, ich würde bei euch auf der Mariahilferstrasse in Wien einen illegalen Verkaufsstand aufbauen? Würde das gehen? Natürlich nicht!», so der Minister, der zugleich «endlich Transparenz über die Geldflüsse der Hilfsgelder» forderte. Das Camp Lipa wurde zu Zweidritteln bzw. mit 1,1 Millionen Euro österreichischen Steuergeldern gebaut.

Das Lager muss offen bleiben!

«Auch wenn das Lipa-Camp abgelegen ist und die Menschen fünf Stunden Fussweg bis zur nächsten sozialen Infrastruktur gehen müssen: Es ist ein Riesenerfolg, dass trotz offensichtlich anderer politischer Vorstellungen das Camp Lipa bis heute ein offenes Lager geblieben ist und das Gefängnis nicht in Betrieb gegangen ist. Auch der Camp-Leitung bzw. dem Vertreter der Fremdenpolizei war es im Gespräch mit uns wichtig, die Offenheit des Lagers zu betonen», sagt Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

Völkerrechtsexperte Ralph Janik stellt nach dem Augenschein vor Ort die Frage der Souveränität. «Nach den Gesprächen ist klar, dass sich der Staat bzw. Teile der bosnischen Regierung übergangen fühlen. Was hier mit österreichischen und europäischen Steuergeldern passiert, geschieht offensichtlich nicht in vollem Einverständnis mit Teilen der bosnischen Regierung», sagt Janik. «Ich wünschte mir ein Österreich und eine EU, die viel mehr Geld in Potenziale und Talente dieser jungen Menschen investieren würde und auch in eine Entwicklungshilfe vor Ort, die diesen Namen verdient», sagt Menschenrechtsaktivist Daniel Landau.

Die Pushbacks sind verheerend

«Alle Geflüchteten, die wir getroffen haben, berichten ausnahmslos von massiver Gewalt bei den Pushbacks durch die kroatische Grenzpolizei. Auch wenn diese Gewalt seit Jahren gut dokumentiert wird: Es ist für einen selbst bedrückend, die jungen Menschen – darunter auch Minderjährige – mit ausgeschlagenen Zähnen und Schnittverletzungen am Hals und im Gesicht zu sehen», zeigt sich Hashemi erschüttert über die Pushbacks. «Diese Massnahmen verstossen gegen internationale Abkommen und die Menschenrechte von Geflüchteten. Jeder Mensch hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen, und auf Sicherheit.»

«Die Spirale der Gewalt und das Leid der Menschen sind hier vor Ort chronisch geworden. Für uns geht es hier seit Jahren darum, dieses Feuer der Menschenrechtsverletzungen so gut wie möglich zu löschen und das Allerschlimmste zu verhindern. Die Schliessung des Horror-Camps Vučjak 2019, die Rettung der Menschenleben nach dem Brand des Camps Lipa 2020 und die Verhinderung der Inbetriebnahme des illegalen Gefängnisses zeigen: Das Hinsehen und der Widerstand der österreichischen und bosnischen Zivilgesellschaft wirken», so Petar Rosandić, Obmann der SOS Balkanroute, abschliessend.(2)

Presseteam Amnesty International Österreich, 28. Mai 2024

  1. In Bosnien-Herzegowina haben 3 nationale TV-Sender, 1 regionaler TV-Sender, fast alle Zeitungen und News-Portale über den Besuch der österreichischen Delegation und die Kritik des Menschenrechtsministers am Lager und dem Einsatz & der Intransparenz österreichischer Hilfsgelder berichtet.

  2. Siehe auch «Gefängnisbau im Lager Lipa» von Petar Rosandić, SOS-Balkanroute, 13.05.2023, Veröffentlicht im Archipel 325