Bislang gibt es nur wenige illegale Grenzübertritte nach Bulgarien. Doch die Regierung in Sofia schürt Angst, dass nach der Schließung der Westbalkanroute Flüchtlinge Bulgarien als Ausweichroute nutzen.
Kolonnen von Geländewagen dröhnen über die Autobahn, dann sind Soldaten zu sehen. Sie tragen Helme und Schilde vor sich her. Das bulgarische Fernsehen zeigt täglich gemeinsame Einsätze von bulgarischen und mazedonischen Grenzpolizisten, Polizisten und Soldaten. In spektakulären Übungen proben sie derzeit, einen massiven Migrantenandrang abzuwehren und Schlepper aufzuspüren. Nach dem Beitrag spricht der Verteidigungsminister im Fernsehen über mögliche Terroristen unter den Flüchtlingen.
Bislang gibt es nur wenige illegale Grenzübertritte nach Bulgarien. Nur 3.160 Migrant_innen – vor allem Iraker_innen und Afghan_innen – suchten im Januar und Februar Schutz in dem Balkanland. Doch die Regierung in Sofia schürt Angst, dass sie wegen der Schließung der Westbalkanroute nun massenweise nach Bulgarien ausweichen könnten. Sie plant verschärfte Aufenthaltsbedingungen für Ausländer und änderte unlängst die Verteidigungsgesetze.
Nach der Schließung der Westbalkan-Route gebe es nun ein Potenzial von 1,1 Millionen Menschen, die sich auf den Weg Richtung Bulgarien machen könnten, warnte auch die österreichische Innenministerin Mikl-Leitner. Die Vorzeichen seien bereits erkennbar.1
«Die Lage an den Grenzen hat sich nach dem EU-Türkei-Deal entspannt.», sagt dagegen Iliana Savova vom Helsinki-Komitee in Sofia. Auch die Grenzpolizei berichtet über erfolgreiche Rückführungen in die Türkei. «Vielleicht haben die Politiker in Österreich bessere Fernrohre als wir hier», scherzt Savova.
Die Angst vor der angeblichen Millionenzahl ist längst in Bulgarien angekommen. Einwohner der Stadt Kresna unweit der mazedonischen Grenze wehren sich mit bulgarischer Flagge auf der Straße gegen eine hypothetische Aufnahme von Flüchtlingen.
Obwohl die Bulgaren die Politik der Abschottung begrüßen, ist ihr Misstrauen in die Institutionen groß. «Umstrukturierungen und Geldmangel haben das Potenzial der bulgarischen Grenzpolizei beschnitten. Die Leute wissen das», meint der ehemalige Chef des Grenzschutzes Valeri Grigorov. Das Gefühl des Ausgeliefertseins verbindet sich mit Fremdenfeindlichkeit, die von Politik und Medien geschürt wird.
Es kommt zu Formen der Selbstjustiz. Der Bürgermeister Boschin Boschinov von Topolovgrad an der türkischen Grenze bot unlängst dem Verteidigungsministerium in Sofia an, selbst freiwillige Helfer_innen zu schulen, die in den Wäldern verirrte Flüchtlinge ausfindig machen sollten. Er wolle mit der Aktion gefährliche Brandfeuer vermeiden, mit denen die Migranten Signale an Schlepper geben. Helfer_innen hat Boschin Boschinov schon gefunden.
Den Vaterlandschutz selbst in die Hand nehmen – diese Tendenz findet zunehmend Befürworter in Bulgarien, besonders in den Grenzgebieten. Die Staatsanwaltschaft schaut weg. Juristen erörtern in den Zeitungen nur, wie weit der Bürger dabei gehen darf. In welchen Teilen des Grenzgebietes wäre es ein Verbrechen, Migrant_innen zurückzudrängen? Wo wäre es dagegen unter Anwendung von Gewalt sogar erlaubt?
Als Dinko Valev, ein junger vierschrötiger Autoliebhaber aus Jambol im Südosten Bulgariens unlängst mit seinem Quad in die Berge fuhr, um dort Flüchtlinge aufzuspüren, konnte er innerhalb von drei Tagen Dutzende Gleichgesinnte für die nächste «Safari» zusammentrommeln.
«Faschismus macht sich breit», stellt Iliana Savova fest, «verantwortlich dafür ist der militante und xenophobische Kurs bulgarischer, aber auch anderer EU-Politiker wie in Österreich. Er schafft einen Nährboden. Damit sollen eigene Korruption und Inkompetenz vertuscht werden.»
Diljana Lambreva, Sofia, n-ost-Korrespondentin2, 22. März 2016
Quellen: Gespräch mit Iliana Savova vom Helsinki Komitee in Sofia, Interview mit dem ehemaligen Chef der Grenzpolizei Valeri Grigorov, verschiedene Medien.
- Die österreichische Innenministerin Mikl-Leitner verkündete im März: «Wir müssen an einer Festung Europa bauen, ohne besseren Schutz der EU-Außengrenzen ist die Situation mittelfristig nicht in den Griff zu bekommen.»
Der Begriff «Festung Europa» stammt eigentlich aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und bezeichnete jene Gebiete, die von Nazi-Deutschland besetzt waren. In den vergangenen Jahren wurde der Begriff allerdings verwendet, um die Abschottungsstrategien der EU gegenüber Drittstaaten zu kritisieren. «Festung Europa» als Ziel zu definieren und damit positiv zu besetzen, war bisher kaum gebräuchlich. (Anm. d. Archipelredaktion)- Das Korrespondenten-Netzwerk für Ost-europa-Berichterstattung n-ost besteht aus Journalisten und Journalistinnen in mehr als 20 Ländern Europas. Sie liefern Reportagen, Porträts und Hintergrundberichte. Weitere Informationen unter: http://www.n-ost.org/