DEUTSCHLAND: Jedes Lager ist ein Lager zuviel

von Herma Ebinger (EBF-Deutschland), 09.11.2004, Veröffentlicht in Archipel 121

Tour von der holländischen zur polnischen Grenze gegen die Lager in Deutschland

Crivitz ist ein kleines Städtchen im bundesdeutschen Land Mecklenburg-Vorpommern. Es liegt an einem See und ist für die sehnsüchtig erwarteten Gäste niedlich herausgeputzt. Die rund 200 nicht erwarteten Gäste, die etwa acht Kilometer weit weg vom Städtchen in einer ehemaligen Kaserne mitten im Wald in Tramm angekommen sind, können diese Schönheiten nur bewundern, teilhaben können sie nicht. Es sind «Asylbewerber», von denen manche schon länger als acht Jahre auf einen Bescheid warten. Am Ende des Wartens steht oft die Abschiebung.

Ende August diesen Jahres wurde das kleine Städtchen etwas durcheinander gebracht, da Flüchtlinge aus Tramm mit Flüchtlingen aus anderen «Asylbewerberheimen» und UnterstützerInnen mit dem «richtigen» Papier auf einer Wiese vor der Stadt ein Zeltlager aufschlugen und die BewohnerInnen einluden zu einem afrikanischen Essen und zur gemeinsamen Demonstration.

Seit Jahren schon versuchen Flüchtlinge, auf die Aushöhlung des Asylrechts, im Rahmen der Flüchtlingsorganisation «The Voice » oder der Karawane «Kein Mensch ist illegal/no border » (siehe Kasten) aufmerksam zu machen. In diesem Jahr organisierten sie mit UnterstützerInnen eine Tour von der holländischen hin zur polnischen Grenze, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und gegen die Verhältnisse in Asylbewerberunterkünften und so genannten Ausreisezentren zu protestieren. In der BRD leben rund 600.000 Flüchtlinge und papierlose MigrantInnen in Lagern. An jedem Haltepunkt der Tour gab es für mehrere Tage Camps, von denen aus verschiedene Aktionen durchgeführt wurden.

Über Bramsche, Hannover, Neuss und Halberstadt kamen sie am 27. August 2004 in das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, wo be- reits an der Zentralen Aufnahmestelle (ZASt) in Horst Flüchtlingen durch ein massives Polizeiaufgebot die Teilnahme an der Kundgebung verwehrt wurde. In diesem Bundesland wurden zum ersten Mal seit Beginn der Tour Leute kontrolliert, die äußerlich nicht ins mitteleuropäische Schema passen. Und in dem Bundesland, in dem die Politiker stolz auf die Lockerung der Residenzpflicht sind, gab es die ersten zwei Anzeigen wegen Verletzung der Residenzpflicht *.

Das Camp bei Crivitz wäre fast nicht zustande gekommen, da die Gemeinde ihre Zusage für einen Platz kurz vorher zurückzog. Ein Bauer stellte daraufhin seine große Wiese zur Verfügung. So konnten die Zelte der Volxküche, die Versammlungs-, Presse- und Schlafzelte aufgebaut werden. Die Köchinnen und Köche aus Hannover und Weimar waren erstaunt über die vielen, sehr guten Lebensmittel, die Bauern (biologische und konventionelle) des Landes diesem Camp gespendet hatten. Fast 150 Menschen aus Flüchtlingsheimen und verschiedenen Unterstützergruppen des Landes waren auf dem Platz, sowie die rund 50 TeilnehmerInnen, die die Tour von ihrem Beginn an mitgemacht hatten.

Streng überwachtes Camp Wer zu dem Zeltplatz oder von ihm weg fahren wollte, wurde angehalten, die Polizisten sagten: «Verkehrskontrolle» und kontrollierten alle MitfahrerInnen. Auf die Frage, wieso Verkehrskontrolleure auch alle Papiere wollen, antworteten die Uniformierten, dass der Verdacht bestehe, auf dem Gelände seien Leute ohne gültige Papiere. Nach dieser Kontrolle fuhren zwei bis drei Polizeiautos oder -kleinbusse als «Begleitschutz» mit.

Etwa einen Kilometer vor dem Lager in Tramm war ein Kontrollposten aufgebaut. In dem Waldstück scheinen sich sogar die Uniformierten gefürchtet zu haben, denn sie installierten mit Hilfe eines LKW-Krans ein Licht wie in einem Fußballstadion. Im Lager selbst, hinter dem hohen Gitterzaun, standen ebenfalls ständig vier bis fünf Polizeiautos. Für die Dauer des Anti-Lagers in Crivitz verhängte das Ordnungsamt Parchim Besuchsverbot. Weder die Polizisten noch die private Wachmannschaft zeigten sich bereit, die Flüchtlinge, die jemand besuchen wollte, zu informieren. Man stand vor dem verschlossenen Tor und konnte mit den Flüchtlingen keinen Kontakt aufnehmen.

Auf den Platz des Zeltlagers schob sich am zweiten Morgen ein Konvoi von mehreren Autos verschiedener Einheiten, darunter die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Diesem Konvoi stellten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Anti-Lagers entgegen. Aus den Autos konnte man die Stimme eines Polizisten über Funk hören: «Rückzug, Strafverfolgung später». Videoaufnahmen und ständige Personenkontrolle geben dafür allerhand Material her.

Ob beim Spiel mit dem Fußballclub aus Zapel, der Demonstrationen in Crivitz, Schwerin und Parchim – das riesige Aufgebot von 140 bis 180 uniformierten und zivilen Polizisten war immer dabei, um rund 150 Menschen zu begleiten. So erweckten sie den Anschein, dass es sich bei den Flüchtlingen und ihren Unterstützergruppen um gefährliche Leute handle.

«Dschungelheime» In einem Erlass hatte die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns festgelegt, dass die «Dschungelheime» (Flüchtlingslager in Waldgebieten, meist in ehemaligen Armeekasernen) bis zum 31. Dezember 2003 zu schließen seien. Die Flüchtlinge sollten in den nahe gelegenen Kleinstädten wie Parchim oder Ückermünde untergebracht werden. In Ückermünde organisierte eine neonazistische «Kameradschaft» «Bürgerproteste» gegen die Unterbringung der Flüchtlinge in der Stadt. In Parchim hetzten rechtsextreme Kreise ebenfalls dagegen. Das verhinderte oder verzögerte die Umsetzung des Erlasses. In Parchim wird im Moment im Gewerbegebiet ein Bau hochgezogen, in dem 200 Aufnahmeplätze geschaffen werden. Der Landkreis hat aber etwa 450 Flüchtlinge unterzubringen.

Die Aussichten sind nicht gut, nicht für Menschen, die versuchen, in die reichen Länder dieser Welt zu kommen und nicht für die, die sich vor diesen Menschen verschließen. Das riesige Polizeiaufgebot während der Anti-Lager-Tour sorgte dafür, dass viele sich das Bild «kriminelle Ausländer» suggerieren ließen, um nicht handeln zu müssen. Dennoch bewirkte diese Tour, dass die Probleme der Flüchtlinge im Norden der BRD wieder ins Blickfeld gerieten. In Mecklenburg-Vorpommern lernten sich die Leute besser kennen, die in dem rar besiedelten Land gegen Rassismus aufstehen. Und mit den Flüchtlingen entstanden Kontakte, die sich von den Sonntagspredigten der Politiker und anderer «Menschenfreunde» wohltuend unterscheiden.

Ungleiche Behandlung Viele Ungereimtheiten gibt es in Mecklenburg-Vorpommern. Und das nicht erst in den letzten Monaten, sondern nun schon länger als ein Jahrzehnt. Rostock-Lichtenhagen kennt man seit den Brandanschlägen von 1992 weltweit. Nie wurde in der Öffentlichkeit wirklich aufgeklärt, wie es dazu kommen konnte, wer welche Verantwortlichkeit dabei innehatte. Dieser Anschlag war einer von einer ganzen Serie, die der Asylgesetz-Änderung 1993 in der BRD vorausging. Inzwischen ist der Verfassungsgrundsatz derart ausgehöhlt, dass die Anerkennungsquote aller Anträge auf Asyl nun unter fünf Prozent liegt.

Der deutsche Innenminister redet seit geraumer Zeit von neuen «humanitären Maßnahmen» und meint Flüchtlingslager vor den Grenzen der EU. Die italienische Regierung lässt Flüchtlinge vor allem aus Afrika und Asien nach Libyen fliegen, deren Herkunft dann die Libyer herausfinden sollen, um sie abzuschieben. Immer mehr wird versucht, die Festung Europa abzuschotten. Offiziell werden all diese Maßnahmen begründet mit dem Kampf gegen Kriminalität und Terror. Unterbunden werden sollen Schlepperbanden und Menschenhandel.

Zur gleichen Zeit verleiht der Bundeskanzler der BRD dem ungarischen Pater Imre Kozma das Große Bundesverdienstkreuz, vom Papst gibt es einen Ehrentitel und verschiedene Orden. Der Pater übernahm die Leitung des Hilfswerkes Ungarischer Malteser Caritasdienst kurz nach dessen Gründung im Februar 1989. Das Hilfswerk wurde zu diesem Zeitpunkt mit Hilfe deutscher Malteser und der in Ungarn geborenen Adligen Csilla von Boeselager errichtet. Wochen später richtete der Malteserorden unter Leitung des Paters ein Zeltlager ein, um die ersten Flüchtlinge aus der DDR aufzunehmen. Heute erinnert eine Marmortafel mit der Aufschrift: «Auf halbem Wege zum freien Teil Deutschlands» auf dem Platz daran.

Flüchtlinge verschiedener Klassen...

Herma Ebinger

EBF-Deutschland