In Ostdeutschland hat die «Alternative für Deutschland» (AfD) am 1. September einen beispiellosen Sieg bei den Regionalwahlen in Sachsen und Thüringen errungen. Doch dies ist nur der sichtbare Aufschwung der Rechtsextremen. Getarnt als Naturliebhaber·innen kaufen neonazistische Aktivist·innen Bauernhöfe und verbreiten ihre Ideologie. Diese «völkischen Siedler» sind auf dem Vormarsch. Ein Augenschein in Sachsen:
«Sie wollen ihr Gift überall verbreiten, in Schulen, Vereinen, überall», sagt eine Bewohnerin von Leisnig besorgt. Leisnig ist ein Ort mit 8.000 Einwohner·innen in Ostdeutschland. «Völkische Siedler» haben sich seit einem Jahrzehnt in dieser Kleinstadt und ihrem Umland niedergelassen. Leisnig liegt in Sachsen und ist mit seinen vielen verfallenen Gebäuden, dem Dönerladen gegenüber dem Rathaus und dem fast 1000 Jahre alten historischen Stadtkern typisch für die Region. Und genau hier haben sich Rechtsextremist·innen aus Westdeutschland niedergelassen – fünf bis sieben Familien, die zu den rechtsextremen Aktivist·innen in der Region hinzukommen.
Sie verlassen den Westen, wo sie die Anwesenheit von Immigrant·innen und Deutschen mit Migrationshintergrund nicht ertragen können, und lassen sich in ländlichen, «weissen» Gebieten im Osten nieder, um dort die «deutsche ethnische Substanz» zu erhalten. Die Aktivist·innen tarnen sich als Naturliebhaber·innen, die auf der Suche nach einer Verbindung mit dem Lebendigen sind.
«Hinter der harmlosen Fassade traditionsbewusster Biobauern und -bäuerinnen verbirgt sich in Wirklichkeit der Glaube an die angebliche Überlegenheit des deutschen Volkes und eine rassistische und antisemitische Weltanschauung», schrieb die Regierung 2021 über diese «völkischen Siedler». In der Praxis kaufen die Extremist·innen Bauernhöfe auf, bewirtschaften diese aber nicht unbedingt.
«Völkische Siedler» gibt es in fast allen Bundesländern, doch vor allem im Osten des Landes. Die extreme Rechte profitiert vom schwierigen Schicksal der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), dem heutigen Ostdeutschland, das seit der Wiedervereinigung eine grosse Abwanderung zu verzeichnen hat und in der viele verlassene Bauernhöfe und Häuser fast nichts kosten. Der Zuzug neuer Familien wird in den alternden Dörfern positiv wahrgenommen, zumal die neuen Nachbar·innen viele Kinder haben und sich um andere Bewohner·innen kümmern: Sie gehen zum Beispiel an Beerdigungen als Zeichen der Solidarität, bieten ihre Hilfe an, engagieren sich bei der Freiwilligen Feuerwehr usw. Was deren Ideologie betrifft, so ist diese im Osten des Landes nicht unbedingt ein Problem, wo die rechtsextreme Partei «Alternative für Deutschland» (AfD) ihre höchsten Ergebnisse erzielt, wie bei den Landtagswahlen am 1. September in diesem Jahr. In Sachsen und Thüringen erhielt sie mehr als 30 Prozent der Stimmen.
Germanische Traditionen
Hier können also die radikalsten Rechtsextremen gemütlich unter sich bleiben, nach «germanischen» Traditionen leben und eher in Generationen als in Wahlterminen denken. Wie die Journalist·innen Andrea Röpke und Andreas Speit in ihrem Buch über dieses Landgrabbing («Völkische Landnahme», Ch. Links Verlag, 2019) erklären, stehen diese Siedler in der Kontinuität der völkischen Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand und eine Vorläuferin des Nationalsozialismus war: Diese propagiert eine verwurzelte Identität, verbindet Volk, Blut und Boden in einem Elitarismus der Rasse und damit in einer Ablehnung des Fremden.
In Leisnig begann das Ganze vor einem Jahrzehnt: Die Familie Strauch richtete ihr Verlagshaus in einem Dorf am Stadtrand ein. Dort werden Plakate verkauft, die Soldaten der Waffen-SS im Einsatz an der Ostfront zeigen; Karten des Deutschen Reiches aus der Zeit vor 1945 oder Bücher über das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg. Im Jahr 2019 wurden die Räumlichkeiten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens durchsucht, das wegen «Aufstachelung zum Hass» eingeleitet worden war. Ein gewisser Christian Fischer liess sich ebenfalls mit seiner Familie im Ort nieder. Hinter seinem Aussehen als idealer Schwiegersohn verbirgt sich ein ehemaliger Funktionär der inzwischen verbotenen Organisation «Heimattreue Deutsche Jugend» (inspiriert von der Hitlerjugend) – er wurde 2010 wegen «Aufstachelung zum Hass» zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Bis 2023 war er noch Sprecher von «Zusammenrücken nach Mitteldeutschland», einer Initiative, welche die Ansiedlung rechtsextremer Familien auch im Westen fördern wollte und ein Netzwerk zur Unterstützung dieses Vorhabens anbot. Im Jahr 2023 löste sich diese Initiative auf, nachdem das Innenministerium eine andere ihr nahestehende Struktur, die «Artgemeinschaft», verboten hatte, laut Ministerium «ein neonazistischer, rassistischer, fremdenfeindlicher und antidemokratischer Verein mit etwa 150 Mitgliedern», zu dem auch sonstige Einwohner·innen von Leisnig gehörten.
Eine subtile politische Strategie
Zunächst hielten sich die Neuankömmlinge in Leisnig bedeckt und bevorzugten ein politisches Engagement in den nahe gelegenen Grossstädten Chemnitz oder Dresden. Lutz Giesen, der seit langem in der Neonaziszene aktiv ist und ebenfalls neu in Leisnig war, ist beispielsweise Mitorganisator der jährlich von Rechtsextremen organisierten Demonstration in Dresden zum Gedenken an die Bombardierung der Stadt durch die Alliierten im Februar 1945. In Leisnig selbst engagierten sich die Siedler zunächst im zivilen Leben: in Vereinen, Kindergärten, den Schulen ihrer Kinder oder beim Sammeln von Spenden für die Flutopfer im Ahrtal.
Im Zuge der Coronakrise 2021 begannen sie damit, den Hauptplatz von Leisnig zu besetzen. Unter dem Motto «Wir wollen leben» organisierten sie regelmässige Demonstrationen, die sich gegen die Anti-Covid-Massnahmen der Regierung richteten. In der Folge gründeten sie die Website Leisnig.info, die in den sozialen Netzwerken auftaucht und auch als gedrucktes Nachrichtenblatt erscheint. Als «unabhängiges» Medium angepriesen, ist diese Plattform in Wirklichkeit ein Instrument, das dazu dient, die Ideologie dieser Extremist·innen zu verbreiten und ihre politischen Gegner·innen mit Vor- und Nachnamen an den digitalen Pranger zu stellen.
Bündnis zwischen Nazis
«Die sind subtiler und klüger als die hiesigen Neonazis, die in den 1990er Jahren aktiv waren. Sie haben eine echte Strategie, um ihre Ideologie zu verbreiten und die Demokratie zu untergraben», bemerkt ein Einwohner von Leisnig. Er stammt aus der Region und hat in den sogenannten «Baseballschläger-Jahren» körperliche Gewalt durch Neonazis erlebt. Dieser Oppositionelle, der (wie alle befragten Personen) anonym bleiben möchte, weist darauf hin, dass die völkischen Siedler starke Kontakte zu den «hiesigen Nazis» aufgebaut hätten – insbesondere über die rechtsextreme Partei der «Freien Sachsen», welche die Unabhängigkeit des Bundeslandes Sachsen anstrebt und verschiedene extremistische und neonazistische Gruppen unter einem Dach vereint. Im vergangenen Juni wurden mehrere der erwähnten Protagonisten der Rechtsextremen bei den Kommunalwahlen unter der Ägide der «Freien Sachsen» gewählt: Lutz Giesen zog in den Kreistag von Mittelsachsen ein und Christian Fischer wurde, zusammen mit einem weiteren Kandidaten dieser Partei, in den Stadtrat von Leisnig gewählt. «Ihr Ziel wird es sein, die ordnungsgemässe Arbeit des Stadtrats zu behindern, wo sie nur können. Sie wollen nichts gewinnen, sondern zerstören», analysiert eine Einwohnerin von Leisnig.
Auf der anderen Seite hat sich eine Bürger·innen-Allianz gebildet, um die Bevölkerung und die Unternehmen über die Ideologie der Siedler aufzuklären. Das Bündnis, das aus einem Kern von etwa zehn Personen besteht, hat bereits kleine Erfolge erzielt (z. B. prüfen nun Immobilienverkäufer·innen die Profile der potenziellen Käufer·innen), aber das reicht nicht aus, um den in Gang gesetzten Prozess zu stoppen.
«Die deutschen Behörden nehmen das Problem der extremen Rechten nicht genügend wahr oder spielen es herunter», bedauert Kerstin Köditz, Abgeordnete der «Linken» im Sächsischen Landtag, und erklärt: «Für uns in den ländlichen Räumen wird es sehr kompliziert werden, wenn unsere fortschrittlichen Bewohner·innen aus dem Grund wegziehen, weil diese völkischen Siedler kommen oder da sind. In diesen Gegenden wird es uns zudem nicht gelingen, Menschen mit Migrationshintergrund anzuziehen. Aber wir brauchen Menschen, um die ländlichen Gebiete am Leben zu erhalten!»
Eine Feststellung, die von den Einwohner·innen, die wir befragt haben, geteilt wird. Eine von ihnen schlägt vor, sich von der Strategie der politischen Gegner·innen inspirieren zu lassen. «Wir werden das Problem nicht lösen, wenn wir hier weggehen oder uns verstecken», erklärt diese Person, die unter anderem aus militanten Gründen hier eingezogen ist. «Immerhin haben die Nazis den Westen verlassen, weil es dort für sie unbequem wurde. Wir müssen dafür sorgen, dass es auch hier so wird. Wenn wir das schaffen, wäre das doch ein schöner Grund, damit über Leisnig in der Zeitung berichtet wird.»
Adèle Cailleteau Journalistin von «Reporterre», Frankreich
*Erstveröffentlichung auf Französisch: «En Allemagne, des colons ethniques veulent blanchir les campagnes» www.reporterre.net, 7. September 2024