Mit Rechtsradikalismus wird häufig ein gewaltbereiter Mob identifiziert, der sich in zahlreichen Städten und Regionen Deutschlands mit rassistischen Übergriffen oder martialischen Aufmärschen unter nationalistischen, aufwieglerischen und menschenverachtenden Losungen breit macht...(1.Teil)
Es gibt aber auch die gutbürgerlich-intellektuelle, im feinen Anzug daher kommende Variante des Rechtsradikalismus. Dessen Protagonisten treten zuweilen mit erstaunlichen Ideen zu Kultur, Politik und Ökologie, mit beachtenswerten künstlerischen Projekten oder Produkten an die Öffentlichkeit, sind Künstler, Philosophen, Schriftsteller, Juristen oder Journalisten. Der rechte ideologische Hintergrund scheint da mitunter erst bei genauerem Hinsehen oder Nachlesen auf, wird teils verklausuliert in die Öffentlichkeit getragen und von Medien verbreitet, die sich um eine gewisse Seriosität und Themenvielfalt bemühen - auch um am öffentlichen Diskurs teilzuhaben und nicht sofort und unmittelbar dem rechten Rand zugerechnet zu werden. Weite Teile der Bevölkerung in Deutschland und Europa haben heute ein Selbstverständnis als gute Demokraten und würden sich keinesfalls mit rechtsradikalen oder neonazistischen Ideen und Haltungen bewusst identifizieren. Dennoch, in meinem Lebensumfeld stosse ich ärgerlicherweise immer wieder auf Indizien und Hinweise, dass rechtsradikale Ideen, Denkmuster oder Einstellungen unreflektiert aufgenommen, als normal-menschliche Haltungen oder nicht zu leugnende geschichtliche Tatsachen verteidigt werden. Tendenz zunehmend!
Geschichtsverdrehungen
Eine solche immer wieder thematisierte «geschichtliche Tatsache» ist zum Beispiel das Leiden einer 1945 zumeist eher verblendeten (resp. unwissenden) als unschuldigen deutschen Bevölkerung unter Übergriffen «DES Russen» im Osten Deutschlands kurz nach deren Befreiung vom Faschismus. Ganz andere geschichtliche Tatsachen werden dabei einfach verdrängt oder geleugnet, historische Zusammenhänge und Hintergründe werden - bewusst oder unbewusst – ausgeblendet.
Für Hans Jürgen Syberberg ging 1945 eine Kindheitsidylle zugrunde. Wenn er aber 45 Jahre später noch über «Grausame Befreiung» räsoniert, dann hat er nicht dazulernen wollen, dass in einem Krieg, dem grausamsten seit Menschengedenken, zumal auch Befreier nicht zu netten, sittsamen Menschen erzogen werden. Deren grosse Leistung, auch in moralischem Sinne, bleibt jedoch eben jene Befreiung. «Aber das Ungeheure war nicht der Krieg, der es (Mord, Vergewaltigung, Plündern) verursacht hat» meint Syberberg 1990. «Das Schlimme ist, dass (…)Rache, der barbarische Trieb des Menschen, gewünscht war … und dass es gebilligt wurde …»1
In einer von der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern zu verantwortenden Publikation des Historikers Norbert Buske findet sich noch die folgende Aussage: «Es war nicht die Gräuelpropaganda der Nationalsozialisten, die die Menschen in den Selbstmord trieb, sondern die Erfahrung, dass sich diese Propaganda bewahrheitete.»2 Nicht das bedrückende, zynisch-grausame Regime des Nationalsozialismus, nicht der von den Nazis losgetretene 2. Weltkrieg war also das Ungeheure, sondern ein in fahrlässiger Weise unterstellter barbarischer Trieb des (russischen?) Menschen nach Rache! So wird Geschichte verdreht, biologistisch fehl gedeutet und schliesslich hatte Goebbels doch schon immer Recht! Kurze, zu vernachlässigende Sätze nur? Die recht ordentlich recherchierte Schrift von Norbert Buske rückt schlechterdings durch gewisse Auslassungen und Akzentsetzungen die oben erwähnte «geschichtliche Tatsache» in den Vordergrund, gibt nicht nur dem rechtsextremistischen Diskurs argumentativen Rückhalt, sondern verleiht auch dem von Neonazis für ihre Fackelaufmärsche in Demmin funktionalisierten, vermeintlichen «Gedenken für Opfer der Russensoldateska» einen Schein von Legitimität. Demgegenüber kann man in Lokalzeitungen hier und da Artikel entdecken, die das Bild vom «pflichtbewussten, arbeitsamen und natürlich auch gebildeten Deutschen» zeichnen, selbst wenn (oder gerade weil?) dieser Karriere in der SS gemacht hat und seine Förderer Kriegsverbrecher waren.3 Eine jedoch im Alltagsbewusstsein gern unterdrückte oder nur verschämt eingestandene «geschichtliche Tatsache» ist, dass fast jeder Bauer, Fabrik- oder Grossgrundbesitzer in Deutschland während des 2. Weltkrieges Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten rekrutiert hatte, was so gut wie allen bekannt war und weitgehend als normal empfunden wurde – und bis heute wird, nach dem Motto: «Viele Zwangsarbeiter hatten es doch ganz gut!»
Fromme Bescheidenheit?
Am «Tag des offenen Denkmals» führte ich Freunde zu einer Kirche im nicht weit von Demmin gelegenen Dorf Nehringen, die durch Jahrzehnte währendes Bemühen als architektonisches Kleinod des norddeutschen Barocks bewahrt werden konnte. Orgelklänge begleiteten eine Gruppe älterer Menschen, die sich offensichtlich auch an dem Baudenkmal erfreuten. Es stellte sich aber bald heraus, dass die netten Damen und Herren Lieder für das Treffen der ostpreussischen Landsmannschaft einstudierten, welches dann im Oktober 2013 in Neubrandenburg stattgefunden hat. 2012 hatten die Teilnehmer des Treffens der ostpreussischen Landsmannschaft in Schwerin noch die Ehre, vom Ur-Urenkel des letzten deutschen Kaisers, Philip Kiril, Prinz von Preussen den kryptischen Satz zu hören: «Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.» Und Philip von Preussen ergänzte vielsagend, dass der bedeutendste Heimatlose (sic), Jesus Christus, durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen für uns (die ehemaligen Ostpreussen!?) den Weg in die himmlische Heimat, zu Gott gebahnt habe.4 Predigt der preussische Prinz fromme Bescheidenheit? Oder bedient er sich eines raffinierten Stilmittels im rechtsextremistischen Diskurs: «(...)Insinuation beruht auf dem Prinzip, etwas in der Sache zu behaupten, ohne es in der Form beweiskräftig behauptet zu haben. Die Eingeweihten wissen, was gesagt werden soll.»5 Entschieden deutlicher hat Hans Jürgen Syberberg in einem «offenen Brief an H. Kohl, ehemaliger Bundeskanzler» vom 6. Januar 2002 formuliert, was die ostpreussischen Landsmänner und -frauen mit viel Brimborium und unter Mitwirkung litauischer und polnischer Folkloregruppen vor einer demokratischen Öffentlichkeit vielleicht noch etwas vernebeln möchten: «Eine Auflösung preussischer Realität auch auf der Landkarte der Politik ist Hochverrat!» Es geht rechtsextremistischen Intellektuellen, die summarisch als «Neue Rechte»6 bezeichnet werden, allerdings (noch?) gar nicht vordergründig um territoriale Ansprüche, also eine Revision der politischen Landkarte Europas. Da ist auch rechtes Denken generöser geworden, denn deutsche (Kapital-)Interessen werden ja heutzutage selbst schon mal am Hindukusch verteidigt, oder z.B. auch, jedoch schwerer zu durchschauen, im ökonomisch daniederliegenden Griechenland.
Nationaler Mythos
Es geht vielmehr um die Stärkung einer «nationalen Identität» und eines «nationalen Selbstwertgefühls», was auch Hans Jürgen Syberberg meint, wenn er sich im Jahre 2002 an den ehemaligen Bundeskanzler wendet und ihm vorwirft: «Hochverrat an der alten Kultur des Landes, woher wir alle kommen, und ich meine nicht die Land-Wirtschaft, und nicht Provinzen, die es betrifft, wie nicht den Besitzstand der Betroffenen, Entrechteten, sondern Hochverrat an dem metaphysischen Wert von Land und Menschen und eines anderen Lebens...»7 Solche Aussagen sind aufmerksamen Lesern natürlich nicht unbekannt. Außerdem ist der Begriff Nation historisch durchaus positiv besetzt. Er spielte im Sinne aktiver Teilhabe bei der Entstehung eines progressiven bürgerlichen Bewusstseins («citoyenneté») und auch in den revolutionären Prozessen des 20. Jahrhunderts, Nation als der vom Kapital gesetzte Rahmen 8, eine nicht unbedeutende Rolle. Im rechtsextremistischen Verständnis aber verbindet sich mit dem Begriff der Nation eine elitäre, soziale Unterschiede leugnende, Individualität unterdrückende Volksgemeinschaft: So etwa für Carl Schmitt, deutscher Staatsrechtler und politischer Philosoph – als «Kronjurist des Dritten Reiches» nach 1945 kompromittiert – der auch Nation meint, wenn er den Demokratiebegriff einer Umdeutung im rechtskonservativen Sinne unterzieht: «Zur Demokratie gehört also notwendig Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.»9 Oder Klaus Kunze, als Jurastudent Mitglied der rechtsorientierten, schlagenden Burschenschaft «Germania», später Buchautor und für rechte Blätter tätig, sieht in «den Strukturmerkmalen der Demokratie» unter anderem die «Identität der Herrscher und der Beherrschten»10. Mit gesellschaftlicher Realität haben solche Angebote rechter Ideologie kaum etwas zu tun, vielmehr spielt in rechten Gedankengängen das Streben nach «diktatorische[n] und cäsaristischen Methode[n]» als «unmittelbare Äusserungen demokratischer Substanz und Kraft [sic]» eine herausragende Rolle11. Unterschiede in den Bedürfnissen und Begabungen, der Gesundheit, dem Alter, der körperlichen und geistigen Leistungsbereitschaft der Menschen kommen in neurechten Überlegungen zu Gesellschaft, Nation, Demokratie etc. gar nicht vor, ganz zu schweigen von kultureller und ethnischer Vielfalt als Merkmale einer zumindest in grösseren Städten schon gelebten offenen Gesellschaft, die als «gegnerische Ideologeme» auch «gezieltem Lächerlichmachen» preisgegeben werden – strategischen Grundsätzen der Neuen Rechten entsprechend. Auch spielt ja das adäquate Erfassen gesellschaftlicher Realität in deren Denkhaltungen kaum eine Rolle, werden doch «anerzogene Denkmuster der aufklärerischen Moderne (…) als Entmachtung der vitalen Lebensinteressen des Menschen»12 gesehen und abgelehnt. Stattdessen rückt «das Mystische und Irrationale, der Wunsch nach antiaufklärerischer Innenschau und gelebter Transzendenz, (…) die Bezugspunkte Mittelalter und deutsche Geisteskultur»13 in den Fokus von Überlegungen, wenn es etwa um eine Umorientierung der Wertvorstellungen und des Weltbildes von Jugendlichen im Sinne der Neuen Rechten geht. Grösser werdende Verunsicherungen in den Lebensperspektiven und der Alltagswelt vieler Menschen kommen der Aufnahmebereitschaft rechter Ideologie entgegen ebenso wie auch Wahrnehmungsgewohnheiten, die verändert werden durch (das Freizeitverhalten zunehmend dominierende) Cyberwelten und mythengeschwängerte Fantasie-Produkte aus Literatur, Rockmusik und Film.
Syberberg
Hier sind Denkhaltungen Hans Jürgen Syberbergs von Interesse. In engem Zusammenhang damit soll gezeigt werden, dass Vertreter der Neuen Rechten durch Umdeutungen, Umwertungen und diskursive Vereinnahmung geläufiger und positiv konnotierter Begriffe, wie Demokratie, Sozialismus, Kollektiv etc. mit ihrem Diskurs versuchen, auch in liberalen und selbst linksintellektuellen Kreisen Anklang zu finden. Alain de Benoist, als Exponent der französischen «Nouvelle Droite» auch rechten Kreisen in Deutschland bekannt, hat dazu strategische Grundlinien entworfen. Davon später.
Nach einem aktiven Leben und im stolzen Alter von fast 80 Jahren erfüllt sich Hans Jürgen Syberberg einen Traum. Viele Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer hat er, aus der alten Bundesrepublik kommend, das ehemalige und vom Verfall bedrohte Gutshaus seiner Eltern in Mecklenburg-Vorpommern zurückkaufen können. Es wurde nach 1945 im Zuge der Bodenreform in der damals sowjetischen Besatzungszone unwiderruflich enteignet. Nicht weit von Demmin, in seinem Geburtsort Nossendorf hat er sich aber keine Altersidylle geschaffen, hat vielmehr ein Lebensprojekt in Szene gesetzt, das der Schriftsteller und Feuilletonist Gunnar Decker, wahrscheinlich auch aus Nichtkenntnis der dahinter stehenden ideologischen Motive, als «Gegenweltmodell, das unsere Zeit so dringend braucht»14, bezeichnet. Syberberg hat sich bei der Wiederherstellung des Kirchturms von Nossendorf (Vorpommern) engagiert und erfolgreich um seine Akzeptanz im Dorf gerungen.
Er ist als äusserst kreativer Künstler, Theater- und Filmregisseur bekannt. Seine in den 1970er und 1980er Jahren produzierten Filme erfahren gerade in letzter Zeit wieder zunehmend Aufmerksamkeit. Jüngst wurde seine Deutschland-Trilogie (Ludwig II. von Bayern, Karl May, Hitler – ein Film aus Deutschland)15 als DVD herausgebracht.
Der liebe Hausfreund
Der Bayerische Rundfunk strahlte im Mai des Jahres 2013 Syberbergs 1975 gedrehten Dokumentarfilm über die Schwiegertochter Richard Wagners und langjährige Leiterin der Bayreuther Festspiele (bis 1944) erneut aus, in dem die betagte Winifred Wagner vor der Kamera weitgehend unkommentiert auch über ihre ungebrochene Zuneigung zur Person Hitlers plaudern durfte. Nun gut. Hitlers Entlarvung als Mensch ist immer noch Gebot der Stunde. Dessen Person wird nach wie vor nur zu gern dämonisiert und als allein schuldig an den Verbrechen der Nazizeit hingestellt, was natürlich gleichfalls geschichtliche Zusammenhänge verdunkelt. Zu deren Erhellung trägt der Film Syberbergs aber auch nur wenig bis nichts bei, lässt hingegen in den Passagen, die Hitler betreffen, den lieben Hausfreund und begeisterten Musikliebhaber vortreten, der so gar nichts mit Nazidiktatur, Krieg, Konzentrationslagern, Judenverfolgung etc. zu tun hatte. Syberberg hatte denn auch eher einen Film über Frauenemanzipation im Sinne!16 Dass er dazu ausgerechnet eine Vertreterin der Musik-Elite Deutschlands auswählte, einer Familie, die seit Wagners - des grossen Komponisten und miesen Antisemiten - Weltruhm die Stufe der Hocharistokratie erklomm und die Gunst der Nazi-Führer genoss, kann durchaus als absichtsvoll-programmatisch unterstellt werden, liest man seine Auffassungen zu Politik, Kunst und Ästhetik.
- Gunnar Decker: Die Nichtidylle in: Theater der Zeit, Nr 10/2013
- «Sado-Maso-Fascho-Kasperletheater für den Hitler in jedem von uns, denn auch darum geht es HJS», Katharina Voss, Filme für die freudlose Gesellschaft in: taz vom 28.05.2003
- Winifred Wagner: «Unser seliger Adolf» in: Der Spiegel vom 28.7.1975