DOSSIER : Industrielle Landwirtschaft und die Ausbeutung der Immigranten Kampf den OMI*-Verträgen

von Peter Gerber, EBF, 11.03.2003, Veröffentlicht in Archipel 103

Seit mehr als einem Jahr denunziert das „Kollektiv zur Verteidigung der ausländischen Arbeiter in der Landwirtschaft" der Bouches-du-Rhône in Frankreich eine Eigenart, die seit Jahrzehnten andauert: die totale Abhängigkeit der ausländischen Arbeitskräfte von ihren Arbeitgebern.

Die Konsequenzen sind: unbezahlte Überstunden, unmenschliche Unterbringung, und das Betreiben von Schutzgeldern seitens der Arbeitgeber und ihrer Verbündeten für neue Arbeitsverträge....

Die öffentlichen Institutionen, die meisten Bauerngewerkschaften und die politischen Verantwortlichen des Departements waren und sind sich einig: In Anbetracht der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Sektors ist es wohl besser, von diesem zu profitieren und zu schweigen. Dank kollektiver Zusammenarbeit über die üblichen Grenzen hinweg, konnte eine Sensibilisierung und Information der Öffentlichkeit unternommen werden und die Omerta, dass auf dieser geschwächten Randgruppe lastet, zerbröckelt nach und nach.

Wir veröffentlichen in dieser Ausgabe des Archipel einen Auszug aus dem Memorandum des "Kollektivs zur Verteidigung der ausländischen Arbeiter in der Landwirtschaft."2 Dieser Text ist das Resultat einer gemeinsamen Überlegung aller Teilnehmer des Kollektivs während mehrerer Monate.

Eine alte Geschichte

Das Einstellen ausländischer Arbeitskräfte im landwirtschaftlichen Sektor der Bouches-du-Rhône ist seit langem gang und gäbe. Vor den siebziger Jahren stellten die Spanier und Portugiesen schon einen Großteil des Personalbestandes der Saisonarbeiter. Seit Anfang der siebziger Jahre wurden sie vor allem durch Tunesier und Marokkaner ersetzt, eine große Anzahl Portugiesen ist jedoch immer noch vorhanden. Das Verschwinden der spanischen Hilfskräfte erklärt sich durch das Ansteigen des Lebensstandards in Spanien, höheres Arbeitslosengeld, und die erhöhten Forderungen.

Die Bevorzugung von Arbeitern aus dem Maghreb in Frankreich hat zwei Gründe:

  • die historische Verbindung dieser Länder zu Frankreich, die sich 1963 in der Unterzeichnung der bilateralen Verträge gefestigt hat.

  • Die Schließung der Grenzen seit 1974 und die Tatsache, dass die sogenannten OMI-Verträge zur einzigen Möglichkeit wurden, ausländische Hilfskräfte ins Land zu bringen.

Von 1974 an hat sich die Inanspruchnahme dieser Art Verträge in der Provence durchgesetzt. In dieser Region stellten Schafzucht, Viehfutterproduktion und Gemüseanbau die hauptsächlichen landwirtschaftlichen Aktivitäten dar.

In den achtziger Jahren hat die spanische Konkurrenz dem Feldanbau der Region das Privileg von Frühgemüse streitig gemacht. Die Landwirte wurden gezwungen, sich auf intensiven Treibhaus- und Obstanbau zu spezialisieren. Diese Umgestaltung führte zu einer merklichen Erhöhung des Bedarfs an Hilfskräften. Durch die permanente Aktivität steigerte sich diese Notwendigkeit nicht nur um einige Wochen, sondern um Monate. Die OMI-Verträge wurden zahlreicher und langfristiger. Die Ausnahmebefugnisse für Verlängerungen von zwei Monaten über das legale Maximum von sechs Monaten hinaus, werden praktisch systematisch gehandhabt.

Im Jahre1981 in einer günstigen wirtschaftlichen und politischen Konjunktur (zahlreiche Regularisierungen nach der Wahl Mitterrands) erhielt ein Teil der Arbeiter mit OMI-Vertrag eine Aufenthaltsgenehmigung.

In den neunziger Jahren haben die Landwirte weiterhin neue Hilfskräfte mit OMI-Verträgen in Anspruch genommen, obwohl der Wille der Behörden diese einzuschränken, um der steigenden Arbeitslosigkeit Herr zu werden, vorhanden war. In Anbetracht des Misserfolges der Anstellung lokaler Arbeitskräfte hat die Regierung im Departement der Bouches-du-Rhône die Landwirte zu einem generellen Abkommen verpflichtet, das die OMI-Verträge auf die schon existierenden beschränkte. Dies mit dem Ziel, sie allmählich zu reduzieren und schlussendlich ganz abzuschaffen. Die außergewöhnlichen Regularisierungen von 1997 berücksichtigten nicht die Tausenden von Immigranten, die zum Teil schon seit fast 20 Jahren in Frankreich arbeiteten und weiterhin in einer bedenklichen Situation ausharren müssen.

Seit Einschränkung dieser Verträge und dies bis zum Jahr 2000 ist ihre Zahl im Departement spürbar zurückgegangen (laut Angaben der ITEPSA im Jahr 1994 auf 3420; 1999 auf 3378 und 2000 auf 2858), was eine große Unzufriedenheit bei den Unternehmer hervorrief.

Unter dem Druck der Landwirte, die vorgaben, auf die Arbeit der Illegalen völlig angewiesen zu sein, wurden im Jahr 2001 die Erstverträge abermals genehmigt, ungeachtet des Abkommens von 1995.

Etwa 1.500 neue Arbeiter erhielten 2001 einen OMI-Vertrag, was deren Zahl auf 4.491 anstiegen ließ. Diese Tatsache brachte viele in prekäre Situationen und veranlasste etliche, ihr Schweigen zu brechen.

In der kommenden Ausgabe veröffentlichen wir weitere Ausschnitte aus dem Memorandum sowie eine Zusammenfassung der verschiedenen Aktionen und der beiden ersten öffentlichen Versammlungen, die im Februar in Arles und Marseille stattgefunden haben.

  1. Office des Migrations Internationales, staatliche Einwanderungsbehörde; siehe Rahmen und Archipel Nr.89

  2. Dieses "Memorandum" kann bestellt werden bei: CODETRAS BP 87, 13303 Marseille, Cedex 3; E-Mail: codetras@espace.asso.fr

Was sind die OMI-Verträge?

Bilaterale Vereinbarungen1 zwischen Frankreich und Marokko, Tunesien bzw. Polen, die Unternehmern in der Landwirtschaft ermöglichen, Arbeitskräfte in diesen Ländern zu rekrutieren.

Entsprechend der "Einstellung" genannten Prozedur sucht der interessierte Arbeitgeber beim DDTE2 um die Erlaubnis an, im Ausland einen Saisonarbeiter anzuwerben. Diese kann nur erteilt werden, "wenn alle Möglichkeiten einer Anstellung von Arbeitskräften auf dem lokalen, nationalen und EU-Markt ausgeschöpft wurden", was genaugenommen heißt, zu überprüfen, ob beim ANPE (staatliches Amt für Arbeitsvermittlung) ein Stellenangebot ohne Erfolg eingereicht wurde. Ist die Erlaubnis einmal erteilt, darf der vom Arbeitgeber ausgesuchte Angestellte für die Dauer von sechs Monaten nach Frankreich einreisen; in Ausnahmefällen kann der Aufenthalt um zwei Monate verlängert werden. Nach Ablauf dieses Vertrages muss der Arbeiter unter Androhung, keinen neuen zu erhalten, innerhalb von zehn Tagen in sein Land zurückkehren. Für jeden erfolgten Vertrag muss der Arbeitgeber darüber hinaus dem OMI eine Pauschalabgabe zahlen.

Aus den OMI-Statistiken geht hervor, dass die Zahl von Saisonniers in der Landwirtschaft von 7.187 im Jahr 1999 auf 7.929 im Jahr 2000 gestiegen ist. 2001 lag die Zahl bei 10.403. Mehr als die Hälfte davon arbeiten im Departement Bouches-du-Rhône, vor allem im Obst- und Gemüseanbau.

  1. Französisch-marokkanisches Abkommen über Aufenthalt und Anstellung von Arbeitskräften (Juni 1963), ergänzt durch den französisch-marokkanischen Vertrag über Aufenthalt und Anstellung (August 1987). Französisch-tunesisches Abkommen über Arbeitskräfte (August 1963), ergänzt durch den Vertrag über Aufenthalt und Anstellung (März 1988). Französisch-polnischer Vertrag, Mai 1992.

  2. Departementverwaltung für Arbeit und Ausrüstung