Gloria Jean Watkins, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen bell hooks, afroamerikanische Wissenschaftlerin, Autorin und feministische Aktivistin, starb am 15. Dezember 2021 in Berea im US-Staat Kentucky. Mit ihren Analysen hat sie die zerstörerische Funktion des Patriarchats entlarvt und eine für dessen Bekämpfung so wichtige Schwesternschaft proklamiert.
„Es ist klar, dass wir ein System nicht rückgängig machen können, solange wir uns an einer kollektiven Leugnung hinsichtlich seiner Auswirkungen auf unser Leben beteiligen. Das Patriarchat fordert die männliche Vorherrschaft mit allen notwendigen Mitteln, und dafür lässt es sexistische Gewalt zu, fördert sie und verschliesst bewusst die Augen davor.“(1)
bell hooks wurde am 25. September 1952 in Hopkinsville im Süden der USA geboren und wuchs mit ihren fünf Schwestern und ihrem Bruder in einer Familie der Arbeiterklasse auf. Ihr Vater war Türsteher und ihre Mutter Hausangestellte.
Sie schreibt, dass ihre Erfahrung, arm, schwarz und als Frau aufzuwachsen, einen tiefen Einfluss auf sie hatte und ihr schon früh die Geschlechter-, Klassen- und Rassenverhältnisse bewusst machte. Bereits als Kind macht sie Erfahrungen mit Rassismus, insbesondere in den öffentlichen Schulen, die damals der Rassentrennung unterlagen. In dem Bewusstsein der Gewalt gegen schwarze Frauen lehnt sie eine Zukunft als Dienstmädchen oder Hausfrau radikal ab. hooks ist lernbegierig, liest viel, schreibt Gedichte und träumt davon, Schriftstellerin zu werden. 1978 veröffentlicht sie ihren ersten Gedichtband.
Nach ihrem Highschool-Abschluss beginnt sie als eine der wenigen schwarzen Frauen, noch dazu aus einfachen Verhältnissen, an der renommierten Stanford University Literatur zu studieren. Während ihres Studiums entdeckt bell hooks die völlige Unsichtbarmachung schwarzer Frauen in der Geschichte. Von da an beginnt sie über die Existenz schwarzer Frauen und deren Geschichten zu recherchieren. Diese Arbeit ist die Basis für ihr grosses Werk „Ain't I a woman: Black Women and Feminism“, das sie im Jahr 1981 im Alter von 19 Jahren veröffentlicht.
Intersektionalität
In diesem Buch, dem Hauptwerk der Black-Feminism-Bewegung, beschreibt bell hooks die Prozesse der Marginalisierung schwarzer Frauen in den USA und die doppelte Diskriminierung, der schwarze Frauen ausgesetzt sind: die Diskriminierung als Frau und die Diskriminierung als Schwarze. Die amerikanische feministische Schriftstellerin Kimberlé Crenshaw definierte 1989 den Begriff der Intersektionalität, d. h. die Überschneidung mehrerer Herrschaftsverhältnisse, die sowohl zur rassistischen als auch sexistischen Unterdrückung einer Person führen. In „Ain't I a woman“ behandelt bell hooks mehrere Themen, die sich in vielen ihrer Werke wieder-finden: die Erfahrungen schwarzer Sklavinnen, die Geschichte und die Auswirkungen von Sexis-mus und Rassismus auf schwarze Frauen, die Abwertung schwarzer Weiblichkeit, die Rolle der Medien, der Bildung und des weissen patriarchalen Imperialismus sowie die verächtliche Haltung gegenüber rassisierten Frauen aus einfachen Verhältnissen innerhalb des Feminismus.
„Schwarze Frauen hatten den Eindruck, dass sie aufgefordert wurden, zwischen einer schwarzen Bewegung, die hauptsächlich den Interessen sexistischer schwarzer Männer diente, und einer Frauenbewegung, die hauptsächlich den Interessen rassistischer weisser Frauen diente, zu wählen“. Nachdem sie 1983 eine Dissertation über die schwarze Schriftstellerin Toni Morisson verfasst hatte, wurde bell hooks Professorin für afrikanische und afroamerikanische Studien an der Yale University in Connecticut. Pädagogik ist für sie eine Praxis der Freiheit. Ihrer Meinung nach kann die Gesellschaft nur durch das Verlernen und die Zerstörung aller Systeme von Herrschaft und Unterdrückung verändert werden und durch das Erlernen von Methoden, um die Welt zu verstehen, zu kritisieren und zu analysieren. Schwesternschaft, die politische Solidarität unter Frauen, ist ein zentrales Konzept im Werk von bell hooks. „Echte politische Solidarität bedeutet, dass man lernt, gegen Unterdrückung zu kämpfen, die man nicht selbst erleidet. (…) „Wir können Schwestern sein, vereint durch gemeinsame Interessen und Überzeugungen, vereint in unserer Vielfalt, vereint in dem Kampf, den wir führen, um die sexistische Unterdrückung zu beenden, vereint in politischer Solidarität“. Die Unterdrückung von Geschlecht, Klasse und Rasse habe dieselben Wurzeln; der Kampf für die sexuelle Befreiung müsse derselbe sein wie der Kampf für die Befreiung von diskriminierten Rassen.
Echte Schwesternschaft muss echte Allianzen zwischen Frauen aufbauen und nicht Systeme von Herrschaft und Unterdrückung reproduzieren. „Lassen Sie uns diese Dinge nicht getrennt betrachten. Schauen wir uns an, wie sie zusammenlaufen.“(2)
Hass und Liebe
Die Konkurrenz unter Frauen ist in den Augen bell hooks ein Produkt der sexistischen Ideologie. „Es ist der Sexismus, der Frauen dazu bringt, sich ohne ersichtlichen Grund als Bedrohung füreinander wahrzunehmen. Sexismus lehrt sie, Sexualobjekte für Männer zu sein; wenn aber Frauen, die diese Rolle abgelehnt haben, hochmütig und verächtlich auf Frauen blicken, die nicht in dieser Rolle sind, bleiben sie unter dem Einfluss des Sexismus. Sexismus führt dazu, dass Frauen die Elternarbeit herabsetzen, indem sie ihre Jobs und Karrieren überbewerten. Ebenso bringen manche Frauen, weil sie der sexistischen Ideologie anhängen, ihren Kindern bei, dass es nur zwei Arten von Verhaltensmustern gibt: Dominanz oder Unterwerfung. Sexismus lehrt Frauen, Frauen zu hassen, und bewusst oder unbewusst setzen wir diese Lektion des Hasses in unserem täglichen Austausch immer wieder in die Tat um“.(3)
Und sie hat schon vor Jahrzehnten auf eine Art über Liebe nachgedacht, die gerade heute wieder sehr aktuell wirkt. „Jemand, der dich missbraucht, liebt dich nicht“, sagt sie 2002 in einem Interview. Man sollte meinen, dass sich das von selbst versteht. Aber tatsächlich sind so viele von uns in ihrer Kindheit auf die eine oder andere Art und Weise verletzt worden, dass wir uns wirklich von der Vorstellung lösen müssen, dass jemand, der uns verletzt, uns auch lieben kann.“ Heute würde man dazu wahrscheinlich „toxische Beziehung“ sagen. Die Art, wie bell hooks über Liebe sprach und nachdachte, hat zum Beispiel auch die junge Autorin Şeyda Kurt in ihrem Buch „Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist“ beeinflusst.
Einige der Bücher, die bell hooks vor Jahren und Jahrzehnten geschrieben hat, wurden in den letzten zwei Jahren endlich auch von verschiedenen Verlagen in deutscher Sprache publiziert. Wir selbst haben vor zwei Jahren den Text „Das Patriarchat verstehen“ auf Deutsch und Französisch übersetzt und in drei Teilen im Archipel publiziert.(4)
Danke bell hooks für Deinen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der patriarchalen Zusammenhänge und die Aufforderung, diese zu dekonstruieren. Es lohnt sich wirklich, Deine Werke zu lesen – sie öffnen uns Augen und Sinne!
Constanze Warta
- aus: „The will to change, Men, Masculinity, and Love“, 2004
- aus „Ain‘t I a woman – Black Women and Feminism“, 1981
- „Sorority: Political Solidarity between Women“, Feminist Review, Nr. 23, 1986
- Archipel Nr 283, 284 u. 285. Sie finden alle drei Artikel mithilfe des Suchwortes „bell hooks“ im Archiv auf unserer Webseite www.forumcivique.org