Es ist die erste gesellschaftliche Protestbewegung in Frankreich seit Jahren, die sich erfolgreich gegen ein Regierungsvorhaben durchsetzen konnte. Am 17. Jänner 2018 wurde die Entscheidung publik, das umstrittene und umkämpfte Flughafenprojekt in Notre-Dame-des-Landes (NDdL), nördlich von Nantes, werde nicht durchgeführt.
Diese Entscheidung der französischen Regierung wurde schnell durch Konservative und Rechtsextreme, aber auch durch sozialdemokratische wie bürgerliche Regionalfürsten in Westfrankreich als «Einknicken des Staates vor ein paar Protestlern« angegriffen. Sie ist unterdessen unwiderruflich, denn die Gemeinnützigkeitserklärung für das Bauvorhaben, das zu seinen juristischen Voraussetzungen gehört, läuft am 8. Februar d.J. aus. Die Regierung wird sie nicht um zehn Jahre verlängern. Danach entfällt die rechtliche Möglichkeit, den Baubeginn anzuordnen.
In Wirklichkeit war die Opposition gegen das Bauprojekt in NDdL, das in immer breiteren Kreise zu den «sinnlosen Grossprojekten» mit umweltzerstörerischem Charakter gezählt wurde – einzigartige Feuchtgebiete hätten ihm weichen müssen – natürlich erheblich breiter. Die Besetzung des Baugeländes hatte 2009 begonnen. Seit dem Jahr 2012, in dessen Herbst es im Rahmen der Polizeioffensive unter dem offiziellen Codenamen «Operation Cäsar» zu ersten heftigen Auseinandersetzungen kam, zog das 1‘650 Hektar umfassende strittige Gelände mehr und mehr Menschen an. Rund 300 Frauen, Männer und Kinder leben dort heute ständig. Doch an Protestwochenenden wie im Mai und August 2013 kamen bis zu 40‘000 Menschen aus der Nähe und von weiter weg zusammen. (...)
Räumung oder kollektive Bewirtschaftung
Eine Mehrheit der französischen Gesellschaft befürwortete im Januar die Entscheidung, das Bauvorhaben NDdL aufzugeben: Je nach Umfrage waren es respektive zwischen 68 und 76 Prozent. Um es nicht nach einem «Sieg der Chaoten» aussehen zu lassen, wie vor allem rechtsorientierte Medien und Politiker·innen nunmehr wettern, kündigte die Regierung jedoch zugleich die Räumung der ZAD an. So, also als zone à défendre (zu verteidigende Zone), bezeichnen die Besetzenden das ehemals als Baugelände vorgesehene Territorium. Konservative Parlamentarier·innen trommeln eifrig für ihre gewaltsame Vertreibung, und der Front National-Abgeordnete Sébastian Chenu forderte, die Betroffenen «an ihren Dreadlocks herauszuziehen», wie er sich die Dinge ausmalte.
Umgekehrt forderten unter anderem der grüne Europaparlamentarier José Bové, der linke Sozialdemokrat und Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon und Philippe Poutou aus der radikalen Linken, die Besetzenden dürften bleiben, habe die Regierungsentscheidung gegen das Flughafenprojekt ihnen doch in der Sache Recht gegeben. Diese linken Prominenten malten die Idee aus, künftig könne das Gelände für landwirtschaftliche Experimente – etwa mit kollektiver Bewirtschaftung – dienen. Ähnliches passierte auf dem Hochplateau des Larzac im Zentralmassiv, wo ab 1974 massive Widerstände den Bau eines riesigen Manöverplatzes der Armee verhindern, welcher 1981 schliesslich aufgegeben wurde. Danach blieben vormals zugezogene städtische Linke dort, gründeten landwirtschaftliche Genossenschaften und blieben oft politisch aktiv. Zu ihnen zählte etwa auch José Bové.
Vor Ort in NDdL hatte die Regierung MitteJanuar bereits 4‘600 Personen umfassende Einsatzkräfte zusammengezogen; darunter 500 gendarmes mobiles, Angehörige einer militarisierten Einheit, die dem Verteidigungsministerium untersteht und zum Teil über Panzerfahrzeuge und schweres Räumgerät verfügt. Innenminister Gérard Collomb wollte dadurch einen Autoritätsbeweis erzielen. Bis Ende Januar mussten die drei Strassen, welche über das nunmehr ehemalige Baugelände führen und durch Barrikaden und Ähnliches unpassierbar gemacht worden waren, von den «Zadisten» wieder befahrbar gemacht werden, was diese auch prompt ausführten wurde.
Konkret hat Premierminister Edouard Philippe den Bewoh-ner·innen der ZAD jedoch nun bis zum 30. März Zeit gegeben, das Gelände zu verlassen. Denn juristisch besteht bis zu diesem Datum ein alljährlicher Räumungsstopp für Wohnungen während des so genannten «Winterfriedens». Viele Wohnquartiere von Besetzenden, von denen einige seit vielen Jahren, mittlerweile mit Kleinkindern vor Ort leben, fallen unter dieses jahreszeitliche Räumungsverbot.
Wem soll das Gelände gehören?
Die eigentliche Auseinandersetzung der nächsten Zeit wird sich darum drehen, unter welchem Status künftig die Bewirtschaftung des 1‘650 Hektars grossen Areals stattfindet. Edouard Philippe kündigte an, das in den letzten fünfzehn Jahren durch die Regierung enteignete Land werde an die vormaligen Eigentümer·innen zurückgegeben. Diese sind jedoch zum Teil verstorben oder nicht mehr als Land-wirt·innen aktiv, oder begnügen sich vollauf mit ihrer damaligen Entschädigung. Über neue Niederlassungsgenehmigungen an Landwirtschaft Betreibende könne «ab Ende April» diskutiert werden, fügte der Premierminister hinzu. Dies soll darauf hinauslaufen, dass die ZAD als solche bis dahin nicht mehr bestehen kann, auf dass nur ja keine Vorstellungen von kollektiver Landbewirtschaftung und Genossenschaftsbildung mehr herumspuken. Die derzeitigen Bewohner·in-nen – alte wie neue – wollen jedoch weiterhin als Kollektiv auftreten und einvernehmlich und gleichberechtigt über die Zukunft deer ZAD entscheiden.
Für ihre Pläne gibt es sogar einige offene Türen. Die drei durch die Regierung eingesetzten Vermittler, deren am 13. Dezember vorgelegter Expertenbericht die Basis für die Einstellung des Bauvorhabens abgegeben hat, sprechen sich etwa dafür aus, dass der Staat Eigentümer des Geländes bleiben sollte. Er könnte es dann für 99 Jahre an einen Trägerverein vermieten. Auch der amtierende Landwirtschaftsminister Stéphane Travert sieht Experimentierspielraum und will das Gelände der Erprobung von biologischem Nahrungsmittelanbau für Schulkantinen widmen – nicht die dümmste Idee in seiner Laufbahn – präzisiert jedoch nicht, welchen Status die Produzent·innen dabei haben sollten. Die örtliche Landwirtschaftskammer opponiert hingegen scharf gegen alle kollektiven und, wie sie behauptet, «illegalen Experimente». Diese Debatte dürfte den nächsten Konfliktstoff liefern.