Vom 26. August bis zum 3. September fand das erste Treffen kleinbäuerlicher und ländlicher Kämpfe bei Bure statt. Vor über einem Jahr rief eine Initiative von Kleinbäuer·innen und Atomkraftgegner·innen zu einer zehntägigen internationalen Zusammenkunft «Terres et Communs» («Land und Gemeingut») in Nordostfrankreich auf. Bis zu 1000 Menschen aus fast 20 Ländern nahmen an dem selbstorganisierten Camp teil.
In einer ersten Stellungnahme wird unter dem Strich ein vielfältiges und produktives Treffen beschrieben, das einen wichtigen Teil seiner Ziele erreichen konnte: Die Stärkung des Kampfes gegen die Atommülldeponie bei Bure, die Überwindung von gewissen Spaltungen und der Isolation sowie die Erarbeitung von Ideen für eine zukunftsfähige und wünschenswerte kleinbäuerliche Praxis hier und anderswo.
Dieses erste Treffen der «Luttes paysannes et rurales» (LPR) fand keineswegs zufällig an der Grenze der Départements Meuse und Haute-Marne zwischen Champagne und Lorraine statt. Denn hier, nahe dem Dorf Bure, ist die Endlageragentur ANDRA seit den 1990er Jahren damit beschäftigt, ihrer kolonialistischen Uranindustrie einen Friedhof, beziehungsweise ein Atomklo, zu errichten. Jährliche Begleitzahlungen in mehrstelliger Millionenhöhe (Bestechung) sowie dutzende Ermittlungsverfahren, Überwachung und bewaffnete Grosseinsätze (Polizeigewalt) sind die Methoden, um seit jeher die Visionen des Atomstaates durchzusetzen. Das Ziel in Bure: die Vergrabung von zigtausend Kubikmetern hochradioaktiver Abfälle für Jahrtausende, eine neue Zugtrasse, ein riesiges Umspannwerk, mehr als 300 km Tunnelsysteme und langfristig drei Castortransporte pro Woche. Nebst Kapital und Polizeigewalt sind auch juristische, administrative und rein mafiöse Massnahmen Teil des Atomstaat-Repertoires: Mit der willigen Kollaboration der staatlichen Bodennutzungsgesellschaft SAFER wurden Tausende Hektar an Wald und Acker aufgekauft, werden mit Vorkaufsrecht und Schikanen die Niederlassung von Oppositionellen verhindert und mit einer Politik der verbrannten Erde halbe Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Dem gegenüber stehen in dem dünn besiedelten Gebiet Menschen, die das Versprechen blühender Landschaften und florierenden Landlebens offensichtlich ernst nehmen und in wachsendem Antagonismus gegenüber den kapitalistischen Interessen leben und kämpfen. Es sind Beispiele für den Aufbau einer dauerhaften Opposition gegen die Endlagerpläne durch die Projekte wie «La Gare» in Luméville, «L’Affranchie» und «L’Augustine» in Mandres, «La maison de résistance» in Bure, die neue Kneipe «Les trois vallées» in Tréveray, der im Aufbau befindliche Ziegenhof «Let’s Goat» oder das Gemüsebaukollektiv «Les semeuses» bedroht sind. Um die Etablierung des Konzerns zusätzlich zu erschweren, gibt es ausserdem militante Kampagnen gegen dessen Infrastrukturen. So wurden zuletzt teils Gleise, etliche Bohrlöcher, Institutionen und Eigentum der Unterstützer·innen des Atomstaates oder etwa die Polizeiwachenprojekte in Montiers-sur-Saulx (2017) oder die von Gondrecourt-le-Château (2023) sabotiert beziehungsweise zerstört. Bei Veranstaltungen in Bure herrscht jeweils eine vollkommen überzogene Polizeipräsenz: Drohnen, Helikopter, Strassensperren, Wasserwerfer, Räumfahrzeuge und die Infiltrierung der Veranstaltung durch mehrere später geschasste Zivilbeamte gehörten zu den erwartbaren Begleiterscheinungen. Doch die Teilnehmenden liessen sich nicht dadurch provozieren.
Gefährdung der Region
Frankreich schreitet besonders seit der im Februar 2022 verkündeten «Atom-Renaissance», dem Atomenergiebeschleunigungsgesetz Macrons – das bedeutet bis zu 14 neue EPR2! [1] – auf allen Ebenen voran. Seit der Anerkennung des öffentlichen Interesses des geologischen Tiefenendlagers und dem zu Jahresbeginn eingereichten Antrag auf eine Baugenehmigung unterstreichen die Regierenden den Willen, das Atomklo, das einst als «Forschungslabor» lanciert wurde, real umzusetzen. Somit steigert sich der Handlungsbedarf in Sachen Auseinandersetzung mit dem Atomstaat Nummer 1, denn das «Labor von Bure-Saudron» (auch CIGEO – Centre industriel de stockage géologique – genannt) der Endlageragentur ANDRA ist so etwas wie die Achillesferse der gewollten «Relance du nucléaire» (Wiederbelebung der Atomindustrie). Denn ohne eine glaubhafte Ruhestätte für den Atommüll ist diese Neulancierung, dieses Märchen eines «grünen Atomstroms», nicht zu rechtfertigen – bei der bisherigen Abwesenheit einer Lösung für die toxischen Abfälle, der kolonialen Ausbeutung am Ursprung der Rohstoffe und der anhaltenden Kollaboration mit dem russischen Staatskonzern «Rosatom». Nicht zu vergessen ist auch die militaristische Wurzel der Atomindustrie. Im Angesicht der Gefährdung der gesamten Region und der antidemokratischen Vorstösse der letzten Jahre schien den Organisator·innen der «Luttes paysannes et rurales» (LPR) kein anderer Ort als das Umland von Bure schlüssiger für das Treffen «zur Verteidigung des Lebendigen und gegen die atomare Verwüstung».
Themen und Inhalte
Auf fast 10 Hektar Land entlang einer seit Jahrzehnten verwucherten Zugtrasse in Cirfontaines-en-Ornois im Orgetal, wo die ANDRA eine gigantische Castor-Trasse plant, schlugen die LPR Ende August ihre Zelte auf. Mithilfe von befreundeten Veranstaltungstechniker·innen, fünf Volxküchen und verbündeten Hofprojekten bevölkerten somit hunderte Menschen das Terrain. Rund 40 Organisationen, Kommunen, Kooperativen sowie Gewerkschaften hatten ihre Beteiligung angekündigt, darunter Uniterre, die junge AbL, Delegierte der europäischen Koordination der Vía Campesina (ECVC), Longo maï, Mouvement d’Action Paysanne, Gartencoop, La Confédération Paysanne, El Poblet, Gentechnik-Kritiker·innen und einige Umwelt- und Anti-Atomverbände. Das Übersetzungskollektiv Koati (Barcelona/Turin) erleichterte zahllose transnationale Debatten und Workshops. Insgesamt fanden rund 150 Veranstaltungen bzw. Diskussionsrunden statt, und zusätzlich, jeweils an den Abenden, ein hochkarätiges Kulturprogramm. Auch einige der von der Gewalt des Endlagerprojektes betroffenen Anwohner·innen und Landwirt·innen wagten sich auf das Treffen, dessen Veranstalter·innen rundum bemüht waren, die «Szenebubble» des linken Aktivismus zu durchbrechen. Kontroversen gab es genug – etwa zwischen Antispeziest·innen und Tierhalter·innen; Verteidiger·innen der «Erneuerbaren» und Gegner·innen der Energieindustrie, aber auch unter Definitionen und Praxis des Antifaschismus auf dem Land oder Methoden in Ackerbau und Forstwirtschaft. Es kam jedoch kaum zu unlösbaren Konflikten. Besonders bereichernd stiess die internationale Delegation des «Centre de recherche et d’information pour le développement» (CRID)[2] hervor, die es zeitweise ermöglichte, eine globale Perspektive zu diskutieren. Von ausserhalb Europas waren u.a. Menschen aus Chile, Kolumbien, Brasilien, den USA, Mali, Kongo, Palästina und dem Libanon zugegen. Die Bemühungen, eine Delegation aus Kamerun in den Schengenraum zu holen, scheiterten an den konsularischen Behörden.
Die von den Organisator·innen angestrebte Diversität und der entsprechende inhaltliche Reichtum spiegelten sich in einem Programm von Workshops, Runden Tischen, Vorträgen und Konferenzen wieder. Schwerpunkte lagen – neben dem Erfahrungsaustausch über verschiedene historische und aktuelle Auseinandersetzungen um den Zugang zu Ressourcen und Land – bei Organisationsmodellen, agrarökologischen Themen, Landwirtschaft und Patriarchat, Ausbeutung von Saisonarbeitskräften und Engagements gegen unnütze Megabauprojekte. Es gelang in grossen Veranstaltungen mit bis zu 300 Leuten und auch in «gewählt gemischten» Zusammenhängen in kleinerer Runde die Bedürfnisse und Themen vieler zu beackern. Das Treffen stiess auch medial auf eine äusserst positive Resonanz. Radio Zinzine sendete im mobilen Studio. Vorort, ein Fanzine-Workshop veröffentlichte Berichte zum Campleben und befreundete Medien wie Reporterre, Silence! oder Radio Dreyeckland begleiteten diese neun intensiven Tage.
Stimmung, Demo, Perspektiven
Je nach Gusto, gestärkt durch Flammkuchen und «Bauernstullen» der Elsässer Bürgerinis, Crèpes von «ACAB» aus dem Westen, der «Friterie du Progrès» oder die veganen Voküs (=Volksküchen) (welche rund drei Tonnen lokales Gemüse verkochten) ging es am Samstag zur Demonstration nach Bure. Am Rande des eher familiären und fröhlichen Umzugs von rund 700 Menschen, besetzten Einige zunächst symbolisch den Mast der THT-Hochspannungsleitung, in dessen Nähe das rund 10 Hektar grosse Umspannwerk errichtet werden soll. Die von drei Traktoren angeführte Versammlung endete mit Redebeiträgen der Confédération Paysanne (linke Bauerngewerkschaft) und der Gewerkschaft SUD-Solidaires (Zusammenschluss verschiedener linker Gewerkschaften in Frankreich) auf einer Brache in Mandres-en-Barrois. Hier hatte die ANDRA erst vor kurzem – wie in anderen Dörfern – erneut ein Wohnhaus zerstört, um ihrer Politik der verbrannten Erde ein Gesicht zu geben.
Im sonntäglichen Abschlussplenum herrschte eine euphorische Stimmung, zumindest bei denjenigen, die geschlafen hatten. Klar schien, dass an solche Treffen angeknüpft werden muss – sei es zur Verteidigung der Umwelt, der wechselseitigen Stärkung unserer Gruppen oder zum Angriff auf die lebensverachtenden Verhältnisse. Solche Auseinandersetzungen und die erfolgreiche Erfahrung der Selbstorganisation über längere Zeiträume bringen unsere Bewegung vorwärts. In manchen Köpfen gärte somit bereits Idee, ein weiteres Treffen ins Auge zu fassen. Nach dem fast einwöchigen Abbau des Campa ist nun die Zeit der Analyse und Reflexion, in der Gewissheit, dass der Kampf hier und anderswo weiter geht und fruchtbar sein kann, wenn wir die Isolation des kleinbäuerlichen Alltags durchbrechen lernen.[3]
Luc Śkaille
- Der EPR 2, für «Evolutionary Power Reactor 2» ist ein Projekt für einen Druckwasser-Kernreaktor der Generation III+. Dieses Modell ist eine Weiterentwicklung des EPR, Evolutionary Power Reactor. Ende 2021 wurde in Frankreich ein Programm mit sechs EPR-2-Reaktoren in drei Paaren sowie eine Studie über den Bau von acht weiteren Reaktoren gestartet.
- Forschungs- und Informationszentrum für Entwicklung
- Bei www.lpr-camp.org und www.bureburebure.info sind erste Berichte und Nachbetrachtungen des Camps zu finden.
Das Atomenergiebeschleunigungsgesetz
Am 21. März 2023 nahm die französische Nationalversammlung mit 402 gegen 130 Abgeordnetenstimmen in erster Lesung das sogenannte Atomenergiebeschleunigungsgesetz an.
Doch schon bevor es verabschiedet wurde, plante die Regierung explizit, die beiden Strahlenschutzämter IRSN und IRP in die nukleare Genehmigungsbehörde ASN hinein aufzulösen. Die politische Rechte nahezu aller Schattierungen, inklusive der rechtsextreme Konkurrent zum Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, Éric Zemmour, hatte in den Wahlkämpfen 2022 den Ausbau der Atomenergie in Frankreich unterstützt, und dies im Namen von energiepolitischer nationaler Unabhängigkeit, Souveränität und Stärke. Zustimmung kam aber auch aus der Linken, von der Fraktion der französischen KP (PCF, Parti communiste français). Seine Partei habe schon immer zu den «eifrigen Verteidigern der Nuklearindustrie» gehört, kommentierte der PCF-Vorsitzende Fabien Roussel. Hingegen stimmten die Abgeordneten der linkspopulistischen Wahlplattform «La France insoumise» und der Grünen gegen den Entwurf, ebenso, nach einigem Zögern, die sozialdemokratische «Parti socialiste». Der Gesetzentwurf, der nun in den konservativ dominierten Senat zurückgeht – das Oberhaus des französischen Parlaments hatte bereits am 24. Januar in erster Lesung zugestimmt – sieht in erster Linie die Aufhebung der unter der Präsidentschaft François Hollandes (2012 bis 2017) beschlossenen gesetzlichen Vorgabe einer Beschränkung des Atomstromanteils im «Energiemix» auf 50 Prozent bis 2035 vor. Hinzu kommt, dass keine öffentlichen Genehmigungsverfahren mehr für den Bau von Reaktoren notwendig sind, wenn diese an bereits bestehenden Standorten von Atomkraftwerken oder in der Nähe derselben errichtet werden sollen. Dies verkürzt die Bauzeiten und schliesst wirksame Einspruchsmöglichkeiten aus. Quelle: Artikel von Bernard Schmid in der jungle world, April 2023