Überraschend war letztlich nur die Inszenierung. Nach mehrtägiger Verzögerung gegenüber eigenen Ankündigungen, und nachdem er noch am Vormittag die Absicht dementiert hatte, ernannte Staatspräsident Emmanuel Macron am Mittag vom 13. Dezember 2024 François Bayrou zum neuen Premierminister.
In deutschen Medien wird er meist als «liberal» charakterisiert. Richtiger wäre eine Einordnung in eine christdemokratische Tradition. Bayrous erste Partei in den 1970er und 1980er Jahren, das CDS («Zentrum sozialer Demokraten») war die französische Variante der Christdemokratie, die auf der bürgerlichen Rechten tendenziell durch den Gaullismus marginalisiert worden war. Später stand er den ähnlich orientierten Mitte-Rechts-Parteien «Force démocrate» sowie zuletzt und bis heute dem «Mouvement démocrate» (Modem) vor. Nach drei erfolglosen Präsidentschaftskandidaturen unterstützte Bayrou 2017 und 2022 die Wahl Emmanuel Macrons. Insofern ist Macrons Entscheidung, ihn zum Premierminister zu ernennen, nur ein Rückgriff auf die Personalreserven im eigenen politischen Lager, das seit den Parlamentswahlen von 2022 und den vorgezogenen Neuwahlen von 2024 stark eingeschrumpft ist.
Am 4. Dezember war durch den Sturz des erst seit neunzig Tagen amtierenden Premierministers Michel Barnier – mittels eines parlamentarischen Misstrauensvotums – eine Regierungskrise ausgelöst worden. Diese nutzte zunächst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus: Sie flog in Uruguays Hauptstadt Montevideo und unterzeichnete dort flugs das seit rund zwanzig Jahren in Verhandlungen steckende und höchst umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Binnenmarkt Mercosur.
Frankreich hatte bis dahin auf EU-Ebene am stärksten gegen das Abkommen opponiert, das unter anderem aufgrund seiner ökologischen Auswirkungen durch Förderung der auf Grossgrundbesitz fussenden, exportorientierten Landwirtschaft und Viehzucht in Argentinien sowie Brasilien kritisiert wird. Dabei muss die französische Regierung Rücksicht auf den heimischen Agrarsektor nehmen, während die deutsche vor allem die Interessen ihrer Exportindustrie im Automobil- und Flugzeugbausektor pusht und sich für das Abkommen stark machte.
Ansonsten gibt es Menschen, die durch den Regierungssturz verlieren, wie in der Landwirtschaft, weil das Haushaltsgesetz, das jetzt zusammen mit der konservativ-wirtschaftsliberalen Minderheitsregierung Barniers gescheitert ist, für 2025 finanzielle Zugeständnisse für die Landwirte vorgesehen hatte, die auf die Agrarproteste zu Anfang des Jahres 2024 sowie im November folgten. Diejenigen, welche durch das Scheitern gewinnen, überwiegen jedoch deutlich. Denn der Haushaltsentwurf für 2025 stand im Zeichen der Austeritätspolitik und enthielt vor allem krasse Einschnitte. Dazu zählten die Verringerung der Rückzahlung von Arzneimittelkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung von bislang 70 auf 60 Prozent, die Einführung von drei Karenz- oder unbezahlten Krankheitstagen statt bisher einem zu Beginn jeder Erkrankungsperiode für Staatbedienstete, die Abschaffung der Inflationsanpassung für Renten und andere staatliche Unterstützungen. So wird das jetzt nicht stattfinden können.
Skepsis der linken Parteien
Dass das kurzlebige Stimmbündnis aus Abgeordneten sämtlicher Linksparteien (mit Ausnahme einer einzigen sozialdemokratischen Parlamentarierin) zusammen mit denen des rechtsextremen «Rassemblement national» (RN) für den Sturz Barniers zustande kam, hat vor allem interne Gründe bei der letztgenannten Partei. Die Linksparteien waren ohnehin – wie angekündigt – fest dazu entschlossen, Barnier das Misstrauen auszusprechen. Der RN hingegen hatte seit September als Mehrheitsbeschaffer dessen Kabinett toleriert – eine Premiere für eine rechtsextreme Partei in der französischen Nachkriegsgeschichte. Doch die Wählerschaft des RN rückte in Umfragen immer stärker von der Unterstützung der Regierung Barnier ab. Und die Partei wollte durch den Entzug dieser Unterstützung ihre Machtposition unter Beweis stellen, auch wenn der Partei- und die Fraktionsvorsitzende – Jordan Bardella und Marine Le Pen – sich darüber uneins waren.
Der RN hat Bayrou das Vertrauen ausgesprochen. Er habe, laut Bardella, den RN ja immer «respektvoll behandelt». Die Partei werde jedoch inhaltliche Forderungen stellen. Die Linksparteien zeigen sich – logischerweise – skeptisch, da Macron auf diese Art seinen bisherigen rechtsliberalen Kurs bruchlos fortsetzt.
Bernard Schmid, Paris