Im letzten Archipel berichteten wir über das neue französische Einwanderungsgesetz. Hunderttausende Menschen waren in ganz Frankreich auf die Strasse gegangen, um dagegen zu protestieren. Daraufhin musste das von der Regierung eigentlich bereits beschlossene Gesetz durch die Kontrolle des Verfassungrates.
Dieser kürzte den Gesetzestext um fast zwei Drittel. Übrig bleibt dennoch ein Gesetz, das die Rechte von Ausländer·innen gewaltsam angreift. 32 Artikel wurden nur deshalb ausgeschlossen, weil sie keinen direkten oder nur einen indirekten Zusammenhang mit dem Zweck des Gesetzes haben, also eher aus formalen Gründen. Das bedeutet, dass diese Zensur, so weitreichend sie auch sein mag, nichts darüber aussagt, ob die Artikel gegen die Verfassungsgrundsätze verstossen.
Allein die 27 Artikel, die von der Zensur verschont blieben, plus einer gleichgrossen Anzahl von fremdenfeindlichen Bestimmungen, die im Gesetz verbleiben, werden schlimme Folgen für Ausländer·innen in Frankreich haben. Es handelt sich insbesondere um Bestimmungen, die den Zugang zum Aufenthaltsrecht drastisch einschränken: – Eine Blankovollmacht für Präfekt·innen, aufgrund einer sogenannten latenten «Bedrohung der öffentlichen Ordnung» ausländische Personen willkürlich festzunehmen. – Die polizeiliche Verfolgung der Personen, die ein OQFT erhalten haben, also dazu verpflichtet wurden, das französische Hoheitsgebiet zu verlassen (OQTF: Obligation de quitter le territoire français), was auch immer sie in ihrem Heimatland erwartet, wurde von einem auf drei Jahre verlängert. Oft geht es um Personen, die nicht «entfernbar» sind, weil diese Massnahmen missbräuchlich sind und von den Gerichten für rechtswidrig erklärt werden.– Ein beschleunigter und immer restriktiverer Hürdenlauf für Asylbewerber·innen, die beim geringsten Vergehen ihrer Rechte beraubt werden und von denen viele unter Hausarrest kommen oder in Gewahrsam genommen werden, noch bevor sie überhaupt ihren Antrag stellen können. Und immer mehr immigrierte Familien werden zerrissen aufgrund des Verlustes des Aufenthaltsrechts eines ihrer Mitglieder.
Im Grossen und Ganzen ist es eine Politik des immer selbstverständlicheren Ausschlusses und grundsätzlichen Misstrauens gegen Ausländer·innen. Nach der Bekanntmachung des Ergebnisses blockierten Schüler·innen und Studierende etliche Schulen und Universitäten in Frankreich, um ihrem Protest und ihrer Solidarität mit den Menschen ohne französischen Pass Ausdruck zu verleihen.
Constanze Warta
Quelle: Pressemitteilung von Gisti*, 26. Januar 2024
- Gisti: «Groupe d'information et de soutien des immigrés» (Gruppe für Information und Unterstützung der Migrant·innen) in Frankreich. Gisti entstand in Folge der 1968-er Bewegung, hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1972 zu einer anerkannten Akteurin in der Forschung und Debatte über Migrationspolitik entwickelt und leistet eine wichtige Arbeit bei der sozialen und rechtlichen Unterstützung von Migrant·innen.