Ein Gericht in der französischen Stadt Gap verurteilte am 29. August 2019 zwei Anführer und eine ehemalige Führungskraft 1 der rechtsextremen Génération identitaire (GI) zu je sechs Monaten unbedingter Haftstrafe. Den Verurteilten wurden für fünf Jahre die Bürgerrechte entzogen und die Gruppe muss eine Geldstrafe von 75‘000 Euro bezahlen. 2
Laut Gericht hatten die Aktivist·inn·en durch eine Aktion im Jahr 2018 in den Köpfen der Öffentlichkeit Verwirrung über die Ausübung einer öffentlichen Funktion gestiftet, indem sie ähnlich wie staatliche Akteure (vor allem wie Grenzpolizisten) auftraten. Die Ereignisse gehen auf den 21. April 2018 zurück. Damals veranstalteten rund 100 blau uniformierte (vornehmlich männliche) Aktivist·inn·en der rechtsextremen Génération identitaire (Identitäre Bewegung) aus verschiedenen Ländern Europas eine medienwirksame, symbolische Grenzschliessung auf dem Gebirgspass Col de l’Echelle in den französisch-italienischen Alpen. Während der Gerichtsverhandlung hielt die Richterin fest, dass deren blaue Daunenjacken denjenigen der Grenzschutzbe-amt·inn·en täuschend ähnlich gesehen hätten. Noch Wochen nach dieser rechtsextremen Aktion waren identitäre Aktivist·inn·en in der Region präsent, um nach eigenen Angaben «Patrouillen» durchzuführen, «um illegale Migranten daran zu hindern, nach Frankreich einzureisen» und um «die Netzwerke der linksextremen Schlepper» zu erforschen.
Hand in Hand mit der Grenzpolizei
Laut der Hilfsinitiative Tous Migrants in Briançon wurden Flüchtlingshelfer·innen von ihnen bedroht und verfolgt. Die Initiative hat Aussagen von Migrant·inn·en gesammelt, die bestätigen, dass sie von Identitären gestoppt und von denselben direkt an die Grenzpolizei übergeben wurden. Diese Zusammenarbeit zwischen den Rechtsextremen und der Polizei war zu einem offenen Geheimnis in der Region geworden. Trotzdem erschien es demselben Gericht von Gap damals dringender, die Teilnehmer·innen einer antifaschistischen Demonstration zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Kundgebung hatte als Reaktion auf die Aktion der Identitären einen Tag später stattgefunden. Im Dezember 2018 wurden daraufhin sieben Teilnehmer·innen dieses grenzüberschreitenden Marsches, die sogenannten «7 von Briançon», ohne stichhaltige Beweise «wegen Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt von Ausländern» verurteilt.3
Verharmlosung birgt Gefahr
Es brauchte gewichtige Proteste, bevor die Staatsanwaltschaft auch im Falle der Identitären tätig wurde. Immerhin zeigt das jetzige Urteil, dass die Rechtsextremen nicht mehr völlig ungestraft agieren können, so wie dies bisher der Fall war. Behörden und ein Grossteil der Medien spielten bisher die Gefährlichkeit dieses internationalen Netzwerks herunter. Seitdem aber bekannt wurde, dass Brenton Tarrant, der Attentäter von Christchurch in Neuseeland, der am 15. März 2019 das Feuer auf zwei Moscheen eröffnet und dabei 51 Menschen getötet hatte, zu den Sympathisant·inn·en der Génération identitaire gehörte, scheint sich das Blatt zu wenden. Mutmassliche Verbindungen von Brenton Tarrant und dessen Umfeld zu Martin Sellner, dem Chef der österreichischen Identitären, und dessen amerikanischer Verlobten Brittany Pettibone, haben kürzlich die österreichischen Polizeibehörden auf den Plan gerufen.
Und wo wurden Herr Sellner und Miss Pettibone zuletzt gesehen? Sie spielten – mit den jetzt Verurteilten – in ihren blauen Daunenjacken Grenzpolizei: an jenem 21.April 2018 auf dem Col de l’Echelle.
- Clément Gandelin alias «Clément Galant», Präsident der GI, erschien als Einziger zum Prozess in Gap am 11. Juli 2019. Die Mitangeklagten erschienen nicht: Romain Espino, Sprecher der GI, und Damien Lefèvre alias «Damien Rieu», inzwischen parlamentarischer Attaché von Gilbert Collard, Abgeordneter der Nationalversammlung für das Rassemblement National (RN), der Partei Marine Le Pens.
- Die Verurteilten legen voraussichtlich Berufung ein.
- Prozessverlauf siehe Archipel Dezember 2018 und Januar 2019. Die «7 von Briançon» erhielten den «Schweizer Menschenrechtspreis Offene Alpen» 2019: siehe Archipel März 2019.