FRANKREICH: Saisonarbeiter.innen wehren sich

von Hélène Servel, Journalistin, MarsActu, 18.05.2022, Veröffentlicht in Archipel 314

Anfang Februar 2022 fand in Südfrankreich ein Treffen von Kollektiven statt, die sich für die Verteidigung der Rechte ausländischer Arbeiter·innen in der europäischen Landwirtschaft einsetzen.

Das südfranzösische Kollektiv Codetras1 empfing gemeinsam mit dem Europäischen BürgerInnen Forum (EBF) das Kollektiv der «Jornaleras de Huelva en Lucha» (Saisonarbeiterinnen aus Huelva im Aufstand) zu einem viertägigen Treffen im Mas de Granier, der Longo-maï-Kooperative in der Crau bei Arles. Dieses Treffen bot die Gelegenheit, neue Verbindungen zu konkretisieren, die in den letzten Monaten in Andalusien geknüpft worden waren.

Die Provinz Huelva ist das grösste Anbaugebiet von Erdbeeren mit 340.000 Tonnen, die 2018-2019 produziert wurden, und einem Umsatz von 554 Millionen Euro in der gleichen Zeitspanne. Der Lohn der Pflückerinnen beträgt nur 42 Euro pro Tag und liegt so unter den nationalen Tarifverträgen. Vor diesem Hintergrund und im Zuge der Proteste und Anzeigen wegen sexueller Gewalt gegenüber Erdbeerpflückerinnen wurde im Jahr 2018 das Kollektiv «Jornaleras de Huelva en Lucha» gegründet. Najat Bassit und Ana Pinto, die beiden Mitbegründerinnen des Kollektivs, hatten selbst 15 Jahre lang auf den Erdbeerplantagen in der Region gearbeitet. Sie stehen wegen ihres politischen Engagements gegen die moderne Sklaverei in der industriellen Landwirtschaft auf der schwarzen Liste der Unternehmen und sind die beiden sichtbaren Personen des Kollektivs. Sie kooperieren jedoch mit einem ganzen Netzwerk von Frauen, die noch in den Betrieben arbeiten und oftmals nur in «chabolas», diesen selbstgebastelten Hütten aus Plastikmüll, Unterschlupf gefunden haben. Sie arbeiten auch mit einer Genossenschaft von Anwältinnen in Madrid zusammen. Durch eine Crowd-Funding-Kampagne haben sie 30.000 Euro gesammelt, mit denen sie zwei Gehälter für die Arbeit des Kollektivs bis September nächsten Jahres finanzieren können. Vor kurzem haben sie zusammen mit Kollektiven von Hausangestellten in Spanien (darunter «Las Kellys) und Sexarbeiterinnen aus Sevilla eine Gewerkschaft gegründet: die SOA (Sindical Obrera Andaluza). Auf diese Art und Weise wollen sie die Kämpfe für eine feministische und antirassistische Gewerkschaftsbewegung in Spanien, aber auch über die nationalen Grenzen hinaus, zusammenführen.

Nazaret Carlo, eine freie Journalistin, gehörte ebenfalls zu der Delegation, die in Südfrankreich empfangen wurde. Sie arbeitet seit mehreren Jahren zu Fragen des Feminismus und des Syndikalismus und begleitet das Kollektiv bei der Anprangerung von den Praktiken der Agrarunternehmen. Ausserdem ist sie Teil der «Laboratoria»2, eines feministischen Forschungskollektivs in Madrid, das Verbindungen zu anderen feministischen Organisationen und Kollektiven auf der ganzen Welt knüpft. Vom 16. bis 20. Februar diesen Jahres organisierten sie in Madrid eine «Escuelita sindical», eine kleine Gewerkschaftsschulung mit feministischen Gewerkschafterinnen und Sexarbeiterinnen, landwirtschaftlichen Saisonarbeiterinnen und Hausangestellten aus Spanien, Ecuador, Argentinien und Frankreich, an der auch Codetras vertreten war.

Sofortige Regularisierung!

Doch zurück zur Zusammenkunft in Südfrankreich. Hier waren neben den Gästen aus Spanien auch drei Mitglieder des italienischen Kollektivs «Campagne in Lotta» (Aufstand auf dem Land) präsent. Das Kollektiv wurde in der süditalienischen Region Apulien gegründet und besteht aus solidarischen Italiener·inne·n, denen sich ausländische Arbeiter·innen, viele aus Westafrika, angeschlossen haben, die auf den Tomatenfeldern arbeiten. Ohne Papiere werden die Arbeiter·innen doppelt ausgebeutet und im Akkord bezahlt: 3,5 Euro pro Tomatenkiste, d. h. 10 Stunden Arbeit pro Tag für 35 Euro. Mahamadou, einer der Sprecher des Kollektivs, sprach davon, dass ausländische Landarbeiter·innen in Süditalien als Sans Papiers völlig rechtlos sind: «Wir werden einfach auf das Land verfrachtet und von dort aus versuchen wir, wieder wegzukommen, Arbeit zu finden, um zu überleben. Von dem Moment an, dass wir blockiert waren und uns alles genommen wurde, haben wir uns solidarisiert und sind dem Kollektiv beigetreten, um gemeinsam unsere Freiheit zu erzwingen.»

Um die sofortige Regularisierung aller Menschen ohne Papiere zu fordern, gelang dem Kollektiv Ende 2019 eine erfolgreiche Blockade des Hafens von Foggia, einem der grössten Häfen Süditaliens. Es hagelte Gerichtsverfahren, hohe Geldstrafen, exorbitante Gerichtskosten und Aufenthaltsverbote in den Provinzen, wie dies angesichts der Repressionspolitik der italienischen Behörden in den letzten Jahren üblich ist. Doch ein wichtiges Signal war gesetzt worden.

Hélène Servel Journalistin bei MarsActu

  1. Codetras: Collectif de défense des travailleur.euse.s étranger.ère.s dans l'agriculture des Bouches-du-Rhône, www.codetras.org

  2. www.laboratoria.red