– jedenfalls mitunter. Bislang hat sich die seit nunmehr vollen drei Monaten anhaltende Streik- und Protestbewegung gegen das geplante «Arbeitsgesetz» in Frankreich zwar an diesem Punkt nicht durchgesetzt, jedoch bereits Einiges erreicht – und macht weiter.
Wie das Kräfteringen ausgehen wird, steht allerdings noch nicht fest, denn das parlamentarische Tauziehen ist noch nicht beendet. Nach der Debatte im Senat vom 13. bis 28. Juni muss der Entwurf in die Nationalversammlung zurückgegeben werden, im Konfliktfall hat diese Kammer das letzte Wort. Die Zweifel wachsen allerdings, ob diese relativ lange Periode für die Regierung nicht doch schwer durchzustehen sein wird. Dazwischen liegt die Fussball-Europameisterschaft, die an diesem Freitag in Saint-Denis bei Paris eröffnet wird.
Noch Mitte Mai hatte etwa die linksliberale, in Teilen regierungsnahe Pariser Abendzeitung Le Monde vermeldet, Staatspräsident François Hollande baue darauf, dass das Sportereignis ihm die Möglichkeit verschaffe, in der öffentlichen Gunst wieder zu steigen. Derzeit kann er nur auf 14 Prozent positive Umfragewerte bauen, ein absoluter Tiefenrekord. Doch inzwischen schreibt etwa die Onlinezeitung Huffington Post das genaue Gegenteil: Hollande könne jedenfalls nicht auf die EM bauen, um wieder zu besserem Ansehen zu gelangen. Und es ist wahrscheinlich, dass das Ereignis von anhaltenden Streiks und Auseinandersetzungen überschattet werden wird. Dazu zählt an diesem Dienstag (14. Juni) die Zentraldemonstration, zu der Teilnehmer_innen aus ganz Frankreich nach Paris kommen werden. Auch aus Kreisen sozialer Bewegungen in Deutschland werden rund eintausend Menschen erwartet.
Unterdessen haben die Protestierenden in vielen Teilbereichskämpfen jedoch bereits Einiges gewonnen. Und so zeichnet sich ab, dass der Effekt, der immer im Zusammenhang mit einer Niederlage bei einem sozialen Konflikt zu befürchten ist – Verbitterung, Abwendung von Gewerkschaften und anderen kollektiven Zusammenhängen, im derzeitigen Klima auch ein weiterer Anstieg der neofaschistischen Rechten – wohl nicht generell eintreten wird. Beim letzten Konflikt, den Gewerkschaften und soziale Protestbewegungen in Frankreich mit einer Regierung auf zentraler Ebene austrugen, war dies noch der Fall.
Proteste vor sechs Jahren
Es handelte sich um die Streikbewegung und die Demonstrationen gegen die Rentenreform, die inzwischen bereits vorletzte ihrer Art, unter der damaligen konservativ geführten Regierung Nicolas Sarkozys. Von Ende Mai bis Anfang November 2010 fanden fast durchgängig Proteste dagegen statt, ausser in einer kurzen Sommerpause. Doch das Regierungslager setzte sich letzlich durch. Dienstverpflichtungen für die damals ebenfalls streikenden Raffineriearbeiter, die mit Haftandrohungen bei Zuwiderhandeln einhergingen, aber auch eine zu kompromisswillige Haltung der Führungen in den Gewerkschaftsdachverbänden CGT und CFDT gegenüber einer kompromissunwilligen Regierung waren zwei der Gründe dafür. In den folgenden Monaten und Jahren waren eine Schwächung der Gewerkschaften, fehlendes Vertrauen auf die kollektive soziale Kampfkraft und ein generell fehlender Glaube an Veränderungsmöglichkeiten zu verzeichnen. Schwache Hoffnungen wurden lediglich auf den Wechsel im Präsidentenamt von Nicolas Sarkozy zu François Hollande im Mai 2012 gesetzt. Das Ergebnis, was die seitdem umgesetzten Politikinhalte betrifft, vertiefte die Verbitterung und Frustration noch. Erstmals seit März dieses Jahres scheint die Phase tiefer sozialer Depression, die seitdem vorherrschte, überwunden.
Auch eine grundsätzlich mögliche, jedoch noch nicht sichere, Niederlage beim Kampf um das «Arbeitsgesetz» wird dies wohl nicht völlig umkehren. Denn während die zentrale Auseinandersetzung um den Gesetzentwurf anhält, haben auch in vielen Branchen und Unternehmen Teilbereichskämpfe begonnen. Denn das derzeitige Kräfteverhältnis zwischen Protestkräften und Regierung sowie Kapital hat eine Bresche geöffnet, die es scheinbar oder tatsächlich erlaubt, jedenfalls einige Forderungen durchzusetzen. 450 bis 500 gleichzeitig stattfindende soziale Konflikte und Arbeitskämpfe zählte der linke Sozialdemokrat, Arbeitsrechtler und Regierungskritiker Gérard Filoche am Mittwoch voriger Woche. Inwischen finden sich dazu auch bereits Übersichtskarten im Netz. Von Amazon über McDonalds bis zu den Fluglotsen und den Bahnbeschäftigten, reichte die Palette.
Teilweiser Erfolg
Nicht Alles, doch Einiges wurde erreicht. Denn um die Protestfront wenigstens teilweise zu beruhigen, hat die Regierung beschlossen, vielen spezifischen Forderungen nachzugeben, um zu versuchen, wenigstens das «Arbeitsgesetz» zu retten. Die für die kommenden drei Jahre geplanten Stellenabbau-Massnahmen bei den Fluglotsen etwa wurden ersatzlos gestrichen. Ihr Streik, der von Freitag bis Sonntag voriger Woche stattfinden sollte, wurde daraufhin abgesagt. Bei den Bahnbeschäftigten wiederum konnte jedenfalls der unmittelbarste und schwerste Angriff auf ihre Arbeitsbedingungen vorläufig abgewehrt werden.
Da bis 2023 eine schrittweise Öffnung des Schienenverkehrs für private Konkurrenzanbieter erfolgen soll, verhandelt die Bahngesellschaft SNCF – eine bisher im Staatsbesitz befindliche Aktiengesellschaft – derzeit darüber, einerseits ihre internen Arbeitszeitregelungen zu überarbeiten, andererseits für die Branche einen Flächentarifvertrag aufzulegen. Denn die Branche wird in Zukunft auch andere Anbieter umfassen. In diesem Zusammenhang sollten über zwanzig Ruhetage pro Jahr gestrichen und ein Drittel der jährlichen Doppelruhetage auseinandergerissen werden. Was die bei der Bahngesellschaft SNCF angestellten Eisenbahnerinnen und Eisenbahner betrifft, ist dieses Vorhaben inzwischen vom Tisch. Auch der Entwurf für einen Flächentarifvertrag wurde aufgebessert. Allerdings enthält dieser eine Öffnungsklausel, die es erlaubt, örtlich «nach unten» abweichende Regeln, also ungünstigere Bedingungen, auszuhandeln. Diese Klausel übernimmt im Übrigen originalgetreu eine Regel, die in Artikel 2 des geplanten «Arbeitsgesetzes» vorgesehen ist und etwa abweichende Arbeitszeitregeln auf Betriebsebene erlaubt. Zu Anfang dieser Woche streikten deswegen bei der Bahn die linkeren Bahngewerkschaften CGT-Eisenbahner und SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) weiter, während die weiter rechts stehenden Gewerkschaften CFDT und UNSA ihren Aufruf zum Arbeitskampf zurückzogen. Doch der Streik ging damit nicht zu Ende. Premierminister Manuel Valls schaltete sich deswegen am Sonntag unmittelbar ein und forderte die Beschäftigten dazu auf, ihn «schnellmöglichst» zu beenden. Sonst vergingen sie sich gegen «die Solidarität» mit den Überschwemmungsopfern, die derzeit vor allem in Zentralfrankreich und im Raum Paris zu verzeichnen sind. Sollten die Bahnmit-arbeiter_innen nicht spuren, dann droht Valls nunmehr damit, Züge von Gendarmerie-beamt_innen steuern zu lassen. Diese unterstehen im französischen System dem Verteidigungsministerium und haben den Status von Militärangehörigen.
Zurückgenommen wurde auch die geplante Kürzung des «Forschungsetats». Diese geplante Kürzung der vom Staat an die Kommunen zurückverteilten Finanzmittel und Einsparungen im Bildungsbereich wurde von französischen Nobelpreisträgern in einem Appell an den Präsidenten Hollande heftig kritisiert. Im Zeitraum von 2017 bis 2020 sollen jetzt, im Gegenteil, die Löhne und Gehälter für Lehrkräfte steigen. Der Konflikt zwischen der Staatsmacht und den Protestbewegungen hinterlässt aber auch andere Folgen, selbst für den Fall, dass er bald zu Ende gehen sollte. Landesweit sind über 1'000 Verletzte zu beklagen. Ein 28jähriger Photograph in Paris, der mutmasslich durch den Splitter einer Polizeigranate an der Schläfe getroffen wurde, und ein Streikposten der CGT aus dem südfranzösischen Fos-sur-Mer liegen im Koma.