GESTERN - HEUTE - MORGEN Das Klonen von Menschen verbieten?

von Jean-Pierre ( Berlan INRA*), 11.03.2003, Veröffentlicht in Archipel 103

Jeder hat seine Vorstellung von Ethik. Die Laboratorien verwenden ein Drittel ihres Haushaltes für Werbung und Marketing – Ärzte werden zu Rezeptschreibern und unsere Krankenversicherungsbeiträge zu Rekord-Gewinnen.

Eine demokratische Ethik aber würde bedeuten, dass wir die Wahl haben, mit unserem Geld Millionen Menschenleben zu retten oder Aktionäre und Firmeninhaber mit unvorstellbaren Gehältern zu bereichern. Die offizielle Ethik hat in der Vergangenheit Asbest und DDT vertreten. Heute patentiert sie genetische Trugbilder, getauft als genetisch veränderte Organismen. Endlos wird diskutiert, wann aus Zellen ein Mensch wird, und es gibt nichts Wichtigeres zu tun, als das Klonen von Menschen als ein Verbrechen gegen die Menschheit zu verurteilen. Weshalb dieser Eifer?

1836 kodifizierte John le Couteur das Selektionsverfahren, welches die englischen Landlords erfunden hatten. Ein gewöhnliches Weizen- oder Gerstenfeld besteht aus ganz unterschiedlichen Pflanzen, von denen jede ihre individuellen Eigenschaften bewahrt. Der adlige Pflanzenzüchter hat die verheißungsvollsten Pflanzen isoliert und die natürliche Mischung durch die "beste" Pflanze ersetzt; John le Couteur schrieb damals, "kein Autor hat bisher die Aufmerksamkeit auf den Anbau von reinen Sorten gelenkt, die aus einem einzigen Korn bzw. einer einzigen Ähre hervorgehen." Seither nennen wir eine "Sorte" das Ergebnis eines Verfahrens, bei dem eine bestehende Mischung mit vielen Unterschieden durch eine Uniformität ersetzt wird. Die Naturwissenschaften stehen den Orwell’schen Visionen in nichts nach.

Die Selektion von Pflanzen und Tieren, bis hin zu Dolly, ist die Anwendung der Prinzipien der industriellen Revolution auf die Landwirtschaft: Uniformität, Spezialisierung, Standardisierung. Um diese anwenden zu können, genügt es, Pflanzen und Organismen zu finden, die individuell reproduzierbar sind.

Was geschieht, wenn ein Züchter diese Technik der Isolation auf eine Pflanze anwendet, die nicht von einer Generation zur nächsten ihre individuellen Eigenschaften bewahrt, wie z.B. der Mais, ebenso wie die Säugetiere? Der Bauer muss jedes Jahr sein Saatgut einkaufen, weil es auf seinem Feld die Eigenschaften verliert, wegen derer er es gekauft hat. Dann wird der Landwirt zum Produzenten, die Reproduktion wird zum Privileg der Züchter.

1908 entdeckte der amerikanische Biologe G. Shull, auf der Grundlage der um 1900 wiederentdeckten Mendel’schen Erblehre, dass er Maispflanzen herstellen kann, die individuell reproduzierbar sind. So konnte er die Methode der Isolation auch beim Mais anwenden. Bei dieser Methode muss der Bauer aber jedes Jahr die ursprüngliche Züchtung neu einkaufen, anstatt in dem Pflanzenbestand seines Feldes diejenigen Körner auszuwählen, die er wieder aussäen will. Bis dahin war eine seiner grundlegenden Aufgaben, aus seiner Ernte das Saatgut auszuwählen. Die revolutionäre Entdeckung von Shull aber entzog ihm die Fähigkeit dazu. Es besteht also ein Widerspruch zwischen den Gesetzen des Lebens und denen der Profite, und offenbar haben die letzteren recht. Shull und seine Nachfolger haben ihre Technik der Enteignung als Technik zur Verbesserung verkauft sowie die Isolation von Maispflanzen als "Hybrid-Sorten" bezeichnet.

Seit 1910 bemühten sich die Genetiker, die angeblichen Vorteile dieser Hybride zu erklären - vergeblich. Die Vernebelung um ihre esoterische Wissenschaft ermöglichten es ihnen, während des gesamten XX. Jahrhunderts ihr politisches Ziel zu erfüllen, das darin besteht, das Leben zu enteignen: von Pflanzen wie Tieren, ein Lebewesen nach dem anderen.

Der Preis für das gefesselte, sogenannte "hybride" Saatgut von Mais beträgt 150 Euro pro Hektar. Das ist hundertmal mehr, als wenn der Bauer das Saatgut aus seiner eigenen Ernte gewinnen könnte. Die Abgaben, welche die Saatgutfirmen auf diese Weise von den Landwirten jährlich eintreiben, entsprechen in Frankreich dem Haushalt des staatlichen Instituts für Landwirtschaftsforschung "INRA".

Kaum begonnen, ist die Ära der Genetik voller Versprechungen. Sie liefert aber auch zu einem anderen politischen Projekt einen entscheidenden Beitrag, der Eugenik, der Naturalisierung der sozialen Ungleichheit unter den Menschen – dem Rassismus. Sie wird von beiden Projekten vorangetrieben.

Terminator ermöglicht es, genmanipuliertes Saatgut herzustellen, dessen nächste Generation steril ist. Traitor stellt behinderte Pflanzen her, bei denen die Resistenz gegen bestimmte Krankheiten ausgeschaltet wird und nur mit einem bestimmten Pestizid reaktiviert werden kann. Die legale Privatisierung ist verglichen damit noch einfacher. Seit August 2001 wird in Frankreich eine Steuer erhoben, wenn ein Landwirt seine eigene Ernte als Saatgut verwendet. Die Patentierung von Leben (europäische Direktive 98/44 über die "Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen"- siehe Orwell) schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: In der Landwirtschaft ist die Verwendung von Terminator legal, und in der Medizin werden Patente auf menschliche Gene als Patente auf Medikamente bezeichnet. Patentierte Medikamente können vierzigmal teurer sein als nicht patentierte.

Das Schaf Dolly ist also der letzte Schrei des Prinzips der Selektion durch Isolierung. Unsere Modernität basiert auf Prinzipien, die bereits zweihundert Jahre alt sind. Anstatt einer strahlenden Zukunft ohne Hunger, ohne Umweltverschmutzung und Krankheit, versperrt sie jede Ausweichmöglichkeit vor der doppelten Katastrophe der industrialisierten Landwirtschaft und der Enteignung des Lebens. Es ist bereits bekannt, dass die genmanipulierten Pflanzen jegliche Alternative verunmöglichen. Die grenzenlose Spirale des "Fortschritts" besteht darin, aus jedem auftretenden Problem eine neue Quelle für Profite und neue Instrumente der sozialen Kontrolle zu machen. Dadurch entstehen neue Probleme, die wiederum.... bis hin zum Chaos führen.

Die Spezialisierung der Landwirtschaft in Ackerbau und Viehzucht erzeugt den Bedarf an künstlichem Dünger und macht in der industriellen Viehzucht den Mist, das früher das Gold der Bauern war, zu Gift für Boden und Wasser. Die künstlichen Dünger beschleunigen die Zerstörung des Humus im Boden und steigern jährlich den Düngerbedarf. Sie beseitigen Würmer, diese natürlichen Pflüge des Bodens, deren entscheidende Rolle für die Erhaltung des Ecosystems bereits Darwin, als überzeugter Naturalist, beschrieben hat. Die Äcker, immer mehr verdichtet durch immer schwerere Maschinen, verlieren ihre Fähigkeit, Wasser zu speichern. Im Winter müssen sie drainiert, im Sommer bewässert werden, und die Flüsse kanalisiert, um Überschwemmungen zu verhindern. Die Herbizide beseitigen Unkräuter, gute wie schlechte, und zerstören dadurch die Lebensgrundlage von nützlichen oder nutzlosen Insekten, die dadurch zu Schädlingen auf den Kulturpflanzen werden. Um sie zu bekämpfen, braucht man Insektizide, welche auch die natürlichen Gegner der Schädlinge beseitigen, so dass mehr Insektizide eingesetzt werden müssen. Sie führen zu einer Resistenz der Schädlinge, wodurch erst mehr, dann neue Insektizide benötigt werden. Die Zerstörung der biologischen Vielfalt durch die Uniformierung in industriellen Monokulturen verlangt nach Notlösungen, welche die genetischen Chimären liefern. So geht es immer weiter.

Bei jedem Misserfolg befreit die Forschung den Landwirt von dem Widerspruch, in dem er sich befindet, und eröffnet ihm einen neuen Markt von Maschinen, Pestiziden, Düngern, Bewässerungssystemen, Saatgut, usw. Jeder Spezialist handelt rational in dem engen Rahmen seiner Spezialisierung und trägt so zur Irrationalität des Gesamten bei. Der Evolutionsgenetiker Richard Lewontin fasste diese Entwicklung mit der Geschichte eines bekannten Romans zusammen, in dem die transplantierte Hand ihren neuen Besitzer erwürgte, weil sie noch immer ihrem vorherigen Eigentümer gehorchte.

Anstatt die Probleme der Landwirtschaft vorherzusehen, spielen die Forscher im Dienste der Industrie Feuerwehr, um das selbst gelegte Feuer zu löschen.

Die Forschung, die unter der Bezeichnung Agronomie betrieben wird, interessiert sich nicht mehr für die "Agronomie" – den besten Umgang mit der wunderbaren Vielfältigkeit der Natur um sie kostenlos zu nutzen, anstatt sie durch chemische Produkte zu ersetzen. Sie investiert in die Manipulation der Bürger, um sie von der Notwendigkeit genmanipulierter Weinreben zu überzeugen, schickt aber keinen Vertreter an das Symposium über die Ökologie der Regenwürmer, welches kürzlich stattgefunden hat.

Die "Reproduktion des Menschen durch Klonen" ist die Selektion durch Isolation von Individuen und bedeutet die Rückkehr zur Eugenik.

Als Antwort auf die politischen Unruhen der dreißiger Jahre möchte die Rockefeller-Stiftung "das Verhalten des Menschen rationalisieren" durch "Entwicklung einer Gentechnik, um in der Zukunft höherentwickelte Menschen zu schaffen". 1938 legte Warren Weaver, der Direktor ihrer Abteilung "Naturwissenschaften", ein Programm für eine neue Biologie fest, die er als "Molekularbiologie" bezeichnet. In dem Buch "Die molekulare Betrachtung des Lebens" schrieb Lily Kay, "in Analogie zur modernen Physik vergleicht Weaver die Teilung der Zelle mit der des Atoms. Die Stärke dieser beiden neuen Wissenschaften liegt in der "letzten Kleinheit der Dinge" . Ihre Kontrolle über die Natur kommt aus der Fähigkeit, die kleinsten Fragmente der Materie zu verändern." Es ist eine vollkommen cartesianische Methode mit dem Ziel der "rationellen sozialen Kontrolle" durch die "Erfassung und Rationalisierung des menschlichen Verhaltens".

Muss denn die Ethik ein so begeisterndes Programm zur Beherrschung der Natur auch nur im geringsten stören, in einer Zeit, wo die Konvergenz der Biotechnologien, der Nanotechnologien und der Kognitiv-Wissenschaften sie greifbar werden lässt?

Das Klonen von Menschen zu verbieten und einige Idioten einzusperren ist die Flucht vor einer politischen Diskussion über die techno-wissenschaftliche Hochstapelei.

Althergebrachtes setzt die Maske der Modernität auf, der Reduktionismus die der Effektivität, der Profit die der Menschenliebe, die Dunkelmänner die des desinteressierten Wissens, die Beherrschung trägt die Maske der Freiheit, die Unvernunft jene der Rationalität. Es ist an den Menschen aller Länder, nein zu sagen! Dies ist der tiefe Beweggrund, wenn genmanipulierte Pflanzen ausgerissen werden. Jedoch herrscht sowohl Links wie Rechts der Glaube an den unendlichen Fortschritt, in die cartesianische Beherrschung und Aneignung der Natur, und dies um so mehr, je tiefer das Chaos wird.

Jean-Pierre Berlan

INRA*

*Institut für landwirtschaftliche Forschung, Frankreich