Mit Rechtsradikalismus wird häufig ein gewaltbereiter Mob identifiziert, der sich in zahlreichen Städten und Regionen Deutschlands mit rassistischen Übergriffen oder martialischen Aufmärschen unter nationalistischen, aufwieglerischen und menschenverachtenden Losungen breit macht... (2.Teil).
Hans Jürgen Syberberg (Künstler, Theater- und Filmregisseur, Jahrgang 1935) ist präsent in der Öffentlichkeit, die er auch im fortgeschrittenen Alter immer wieder sucht. «Sein Nossendorfer Internet-Tagebuch hat den winzigen Ort in der ganzen Welt bekannt gemacht, die Webseite wird in Amerika gelesen, in China, in der Ukraine»,1 steht in einem Lokalblatt aus Deutschlands Nordosten.
Weniger bekannt sind ein bemerkenswertes Interview für «Die Zeit» oder seine Bücher, die noch auf der Höhe seiner Schaffenskraft gegen Ende der 1980er Jahre erschienen. Abgesehen von einigen Bemerkungen in dem schon erwähnten offenen Brief an Helmut Kohl hat er kaum noch substanziell Neues hinzugefügt.
Hitler – Wagner Der von Susan Sontag zum «größte[n] Wagnerianer seit Thomas Mann» gekürte Syberberg lässt sich weder belehren noch rückt er von seiner veröffentlichten Gedankenwelt ab. Noch 2013 leitet er den Leser eher wieder in die Finsternis, wenn er etwa auf die «dunklen Seiten Hitlers» und die zusammen zu «ertragen[den]: Wagner und Hitler»2 verweist. Aber – sollte es eine «Persönlichkeit» in der deutschen Geschichte geben, an der es so gut wie keine unbeleuchteten Seiten mehr gibt, dann ist dies Adolf Hitler - ein eher schlichter, zuweilen sprunghafter Charakter, belastbar aber unfähig zu kontinuierlichem Arbeiten sowie zu Theatralik und plötzlichen Gefühlsausbrüchen neigend. Rechte, «wertkonservative» Denker biegen sich soziale oder historische Tatsachen und Zusammenhänge gern gemäß ihrem Weltbild zurecht, blenden diese aus oder haben selbst nur dunkle Vorstellungen von vielen Seiten des tatsächlichen gesellschaftlichen Geschehens. Auch der Nationalsozialismus wird auf verschiedenste Weise gedeutet, wird moralisch, ästhetisch, tiefenpsychologisch, phänomenologisch etc. zu erklären versucht. Nur – die einfache Erklärung, die der Dramatiker Bertolt Brecht schon 1938 gefunden hat, will man in rechten Kreisen natürlich nicht wahrhaben: «Der Faschismus ist eine historische Phase, in die der Kapitalismus eingetreten ist, insofern etwas neues und zugleich altes. Der Kapitalismus existiert in den faschistischen Ländern nur noch als Faschismus und der Faschismus kann nur bekämpft werden als Kapitalismus, als nacktester, frechster, erdrückendster und betrügerischster Kapitalismus.»3
Doch auch die Musik Wagners muss man gar nicht «mit den Reden seines größten politischen Anhängers Adolf Hitler zusammen-bringe(en)», um, wie Syberberg meint, «die Ebenen von Kunst und Politik nicht trennen» zu wollen. Denn gerade anhand von Wagner und dessen musikalischen Werken wurde schon der Nachweis erbracht, auf welche Art und Weise diese Produkt und Ausdruck gesellschaftlicher Umstände und Entwicklungen sind. Anstatt, wie Syberberg meint, «es (Wagners Musik und Hitlers Ideen) zusammen ertragen» zu wollen, wäre da eine Analyse der Musik vor dem Hintergrund einer Gesellschaftsanalyse viel hilfreicher: Die «unverändert starke Anziehungskraft von Wagners (…) Werk»4 kann nämlich Adorno folgend interpretiert werden als erzeugt von «eine[r] warenhafte[n], der Reklame ähnliche[n] (…) Musik», «darauf bedacht, als spontan, unmittelbar, naturhaft zu erscheinen», deren Klang «wie an jeder schlechten Ware, die Außenseite mit falschem Schimmer» überzieht, so zum akustischen «Blendwerk» tendiert, in der sich «alle Paradoxie der hochkapitalistischen Kunst … konzentriert»5.
Blut und Boden Liest man von Syberberg niedergeschriebene Gedanken zur Ästhetik, um ihm folgen zu können in seinem jüngst erklärten Bemühen, «bei der Beschäftigung mit ihm (Wagner) ebenfalls ‚das Andere‘ (zu) verstehen (…) die ganze Hitlerei»6, so stellt man fest: Er fokussiert sich in seinem schriftlich festgehaltenen Sinnieren auffallend auf eine «(...) von Hitler propagierte Ästhetik von Blut und Boden, (...) die das Gewachsene einer ländlichen Kultur meint». Und Syberberg bedauert, dass «Hitler sie für sich in Anspruch nahm». Schwer zu verstehen, denn bei der Formel von «Blut und Boden» handelt es sich doch um nichts anderes als um einen Zentralbegriff der NS-Ideologie. Hitler nahm diese nicht für sich in Anspruch, er war ihr Exponent!
Und in Syberbergs Diskurs wird auch erkennbar, dass er diese Formel zu einem seiner Leitgedanken gemacht hat, wenn er etwa beklagt, dass «alle Verteidiger dieser Natur und Künste (…) schwach waren (…). Die Feinde der Natur hatten gewonnen und mit ihnen eine Ästhetik, die alle natürlichen Gesetze und Regeln ausgrenzte (…) «. Wohin führt ein Schwadronieren über menschliche Abgründe oder dunkle Seiten? Bleibt jemand in seiner intellektuellen Anstrengung bei Blut-und-Boden-Esoterik, preußischen Mythen, Anbetung von Natur, geistiger Schönheit oder deutschem Charakter stehen, fehlt diesem das Verständnis für die inneren, politischen, ökonomischen Zusammenhänge der (auch künstlerischen) Produktions-, Konsumtions-, Lebens- und Tötungsweise im Kapitalismus, mit denen die immer weniger schönen Seiten unseres sozialen Daseins funktional zusammenhängen. Natürlich verschließt auch Syberberg seine Augen nicht vor «Profit, Business, (…) Bequemung im Konsum», registriert, dass «der Wald stirbt» und «die Städte (…) zugrunde» gehen.
Zusammenhänge allerdings verschwimmen bei ihm und Ursachen weist er gradlinig-eindimensional zu, wenn er die «zu falschen Erinnerungen und Hass gezwungenen Gelddemokratien Europas» benennt und postuliert: «In der Demokratie liegt unser Untergang.» Ganz folgerichtig sieht er denn auch im «Unglück (…) der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege», und dieses für ihn «auffälligste Kriterium» wiederholt er gebetsmühlenartig, «die Bevorzugung des Kleinen, Niedrigen, der Verkrüppelung, des Kranken, des Schmutzes vor dem Glanz». Nicht nur, dass Syberberg alten Nazis das Wort redet, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten mit eben solchen Formeln moderne Kunst als «entartet» verurteilten und sie damit ihrer gnadenlosen Verfolgung aussetzten. In Syberbergs profaschistischem Geraune klingen zudem Denkmuster der Neuen Rechten an, die den Zustand der heutigen Gesellschaft zumeist als dekadent und im Verfall begriffen sehen, Lösungen aber in national-utopischen Entwürfen und dem Bezug auf irgendwelche national-völkischen «Wurzeln» der Gesellschaft anbieten. Ganz im Einklang mit solchen Denkmustern steht Syberberg, wenn er gegenüberstellt «(…) Fortschritt, Sozialismus, Kapitalismus. Oder: Heimat, Reich, Nation, Provinzen, Deutschland, Natur, Kunst».
«Schuldkult» Nein, er kann Lehren von einem linken Intellektuellen mit jüdischen Wurzeln wie Theodor W. Adorno, der zudem noch das Verdikt äußerte, nach Auschwitz könne kein Gedicht mehr möglich sein, auf keinen Fall annehmen. Künstlerisches Tätigsein, Kunstproduzieren in Beziehung gesetzt zu historischen Geschehnissen, gesellschaftlichen Umständen und Entwicklungen oder als deren Ausdruck findet in Syberbergs Gedankenwelt nur diffus-obskuren Widerschein. Er beschwört den «Reichtum der Kunst, bis in die Phantasien neuer Mythologien … mehr als die real zusammengewachsenen Welten» und «(...)Schönheit, Gefühl, Begeisterung. Vielleicht sollte man Hitler neu bedenken [sic] und uns selbst.» Da verwundert es eigentlich kaum noch, wenn er sagt, was ihn mit Abscheu erfüllt: «Was auch die Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege jagte, war der Fluch der Schuld, die sich als Werkzeug der Einschüchterung von links anbot, da sich die Linken als schuldfrei verstanden und weil Hitler die Juden verfolgt hatte, nun in unseliger Allianz einer jüdisch linken Ästhetik gegen die Schuldigen … so daß die Schuld zum phantasietötenden Geschäft werden konnte...» Abgesehen von den monströsen Auswüchsen in den Formulierungskünsten Syberbergs spannt sich auch von seinen ästhetischen Überlegungen der Bogen zum Denken der Neuen Rechten, die im so genannten «Schuldkult» eine Herabsetzung «nationalen Selbstwertgefühls» der Deutschen sehen. Die Wortschöpfung «Schuldkult» bezieht sich darauf, dass eine erkennbare Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland immer noch gegen das Vergessen von Holocaust und Nazi-Kriegsverbrechen eingestellt ist.
Cäsarismus Syberberg wird von André Müller im Zeit-Interview gefragt, ob er eine Diktatur wolle. Er antwortet: «Man kann auch Monarchie sagen»7. Es sticht ins Auge, wie klar er mit schon in den 1920er Jahren von Vorläufern der Neuen Rechten entwickelten Überlegungen übereinstimmt. Zitate von Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Edgar Julius Jung oder dem jüngst wieder zu Ehren gekommenen Carl Schmitt belegen deren theoretische Bezugnahme auf Autoritarismus, Eliteprinzip, Führergedanken, Cäsarismus etc. und finden sich gut zusammengefasst in einer Untersuchung zur Neuen Rechten von Armin Pfahl-Traughber8. Mittler-weile wird rechtsextremes Denken im Diskurs der Neuen Rechten von zwei politischen bzw. professoralen Schwergewichten mitbestimmt: Thilo Sarrazin mit seinen rassenbiologischen oder eugenischen Theoremen und Peter Sloterdijk mit Ideen zu genetischer «Zähmung» oder einem Programm der «Selektion» durch Macht, erfreuen sich zumindest in Deutschland großer bis größter öffentlicher Resonanz.
Aber auch Syberberg trägt den Diskurs der Neuen Rechten mit; deren Denken scheint in seinen Äußerungen teils sehr deutlich, teils esoterisch angehaucht oder nebelhaft verschwommen durch, sei es in Büchern, Interviews oder Filmen.
«Rechter Gramscismus»
Zur lokalen – Vorpommerschen oder Münchener – und europäischen (!) Kunstszene hat er, laut FAZ ein «Ausbund des Wertkonservatismus»9, enge Beziehungen und er genießt Anerkennung bis in linksintellektuelle Kreise hinein. Das ist insofern ein Grund zum Aufmerken, als ein derartiges Ineinandergreifen von Beziehun
. Wurzeln geschlagen in Nossendorf, in: Nordkurier vom 14.08.2012
- Ich darf, die andern dürfen nicht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.05.2013
- Bertolt Brecht: Fünf Schwierigkeiten beim Verbreiten der Wahrheit, Paris 1938
- siehe Anm. 2
- Theodor W. Adorno, Versuch über Wagner, in Die musikalischen Monographien, Frankfurt/Main 1986, Seiten 29, 48, 52, 79, 81
- siehe Anm. 2
- Hans Jürgen Syberberg, Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege, München 1990, Seiten 14, 35, 36f, 130, 147, 161; André Müller, «Man will mich töten», Interview mit dem Filmemacher, Hans-Jürgen Syberberg in: Die Zeit vom 30.09.1988
- Armin Pfahl-Traughber, Konservative
Revolution und Neue Rechte, Opladen 1998, S. 78f - siehe Anm.6