GLOBALE UNGLEICHHEIT: Brücken schlagen

von «Les Coccinelles» und «Rites de Passage», 15.03.2025, Veröffentlicht in Archipel 345

Im August 2024 kam eine Gruppe junger Erwachsener aus der ganzen Welt in der Schweiz zusammen, um an dem internationalen Austauschprogramm «Rise and Regenerate – Rite of Passage» teilzunehmen. Es geht um die Jugend angesichts globaler Ungleichheit.

Diese internationale Veranstaltung, ein zehntägiges Seminar zur Förderung von Führungsqualitäten und Aktivismus bei jungen Menschen, wurde dank der gemeinsamen Bemühungen der Schweizer Organisationen «Les Coccinelles» und «Rite de Passage», sowie der südafrikanischen Organisation «Activate» durchgeführt. Dieses Zusammentreffen wurde ausserdem finanziell unterstützt von «Movetia», der schweizerischen nationalen Agentur, die im Auftrag von Bund und Kantonen den Austausch, die Mobilität und die Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Kultur und Ausbildung junger Menschen in der Schweiz, in Europa sowie weltweit fördert.

Für die südafrikanischen Teilnehmer·innen war dies nicht nur eine Gelegenheit, um zu reisen: Es war eine aussergewöhnliche Gelegenheit, andere junge Menschen zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen, möglicherweise Verbindungen für das ganze Leben. Als Repräsentant·innen ihrer Townships und Dörfer war diese Reise auch eine Quelle des Stolzes für ihre Gemeinschaften in der Heimat. Für Obohle «Baby» Sihu, eine junge Frau aus einem Dorf in Südafrika, ging diese Gelegenheit weit über ein persönliches Projekt hinaus. Ihre gesamte Gemeinschaft sah in ihrer Reise eine Möglichkeit, ihr Dorf auf die Landkarte zu setzen und der Welt ihr Potenzial zu zeigen. Viele junge Menschen in ihrer Region streben, trotz begrenzter Möglichkeiten, nach Grossem, und diese Reise stellte einen Beweis dafür dar, dass ihre Träume sie weit bringen können. Für ihr Dorf war es eine selbstbewusste Art, der Welt zu sagen: «Wir sind hier, und wir zählen, wir haben euch etwas zu bieten».

Begegnung der Kulturen

Diese Begegnung der Kulturen war ebenso wichtig für die Teilnehmenden aus dem Globalen Norden, wie für diejenigen aus der Schweiz, Italien und Deutschland. Solche Erfahrungen bieten eine seltene Gelegenheit für Jugendliche aus privilegierten Verhältnissen, sich direkt mit den Realitäten derjenigen jungen Menschen auseinanderzusetzen, die in historisch marginalisierten Gebieten leben. Dieser Austausch führte zu wichtigen Gesprächen über systemischen Rassismus, koloniales Erbe und die Notwendigkeit, nicht nur die globalen Systeme zu entkolonisieren, sondern auch die individuellen Mentalitäten. Sie stellen tief verwurzelte Vorurteile in Frage und helfen den Teilnehmer·innen aus dem Globalen Norden, sich mit ihren tief verwurzelten Privilegien zu konfrontieren, von denen sie oft unbewusst profitieren, und mit deren Abbau zu beginnen.

Brutale Realität

Doch während die Veranstaltung darauf abzielte, Brücken zu bauen, zeigte der Prozess der Visaerteilung, wie schwierig es für junge Menschen aus dem globalen Süden ist, Zugang zu Möglichkeiten im globalen Norden zu finden: eine harte und grausame Realität für die jungen südafrikanischen Teilnehmer·innen, für die diese Reise ihre erste Erfahrung im Ausland war. Als Aktivist·innen, die auf lokaler Ebene an der Lösung von Problemen in ihren Gemeinden arbeiten – oft ohne formale Beschäftigung oder substanzielle finanzielle Unterstützung – hatten sie es trotzdem geschafft, von einer Schweizer Stiftung eine vollständige Finanzierung für ihre Reise zu erhalten. Ihre Visaanträge stiessen jedoch auf Hindernisse. Das Verfahren verlangte den Nachweis ihrer finanziellen Stabilität – ein Kriterium, das in diesem Zusammenhang ungerecht ist und mit dem Zugang zu Privilegien zu tun hat. Die ganze Prozedur erwies sich als eine grosse Hürde, die dazu führte, dass sich die Eingeladenen mehr als Verdächtige denn als Gäste fühlten.

Aufgrund der oben erwähnten Anforderungen und Beschränkungen konnten von den sechs vorgesehenen Südafrikaner·innen vier nicht am Austausch teilnehmen und in die Schweiz reisen. Nur zwei erhielten ihr Visum. Die Anträge von Baby, Shoki Abiguele Chuene, Keagen Jeron Gertse und Massegow Gorgy Machwisa wurden abgelehnt. Diese Ablehnung war nicht nur eine persönliche Enttäuschung, sondern auch zutiefst ungerecht. Sie unterstrich, wie schwierig es für junge Menschen aus den weniger privilegierten Verhältnissen des globalen Südens ist, an internationalen Veranstaltungen im globalen Norden teilzunehmen. Und dass die Entscheidung völlig unabhängig von deren Qualifikationen oder Verdiensten, sondern nur aufgrund ihrer Herkunft getroffen wird. Noch schmerzhafter war die emotionale Belastung. Viele Teilnehmer·innen fühlten sich entmutigt, stellten ihren persönlichen Wert in Frage, trotz der Tatsache, dass das Problem am System und nicht an ihnen selbst lag.

Ein beunruhigendes Paradoxon

Auf der einen Seite bietet die Schweizer Institution «Movetia» finanzielle und logistische Unterstützung für Projekte wie «Rise and Regenerate – Rite of Passage» zur Förderung von interkulturellem Austausch und internationaler Zusammenarbeit an. Auf der anderen Seite verhindert die Botschaft der Schweiz in Südafrika, dass Jugendliche an Initiativen teilnehmen, die offiziell von den Schweizer Behörden unterstützt werden. In diesem Fall finanzierte «Movetia» unser internationales Austauschprojekt vollständig und trotzdem konnten vier südafrikanische Teilnehmer·innen aufgrund der Ablehnung ihres Visums nicht daran teilnehmen. Obwohl wir dankbar sind für das Engagement von «Movetia», ist es schwer zu verstehen, warum zwei Institutionen aus demselben Land, «Movetia» und die Schweizer Botschaft, nicht in der Lage sind, zusammenzuarbeiten. Damit werden die eigentlichen Ziele, die mit diesen Projekten erreicht werden sollen, untergraben.

Spürbare Abwesenheit

Die Abwesenheit von Baby, Shoki, Keagen und Massegow brach allen Teilnehmer·innen des Austauschs das Herz. Gleich am ersten Tag hielt die Gruppe eine symbolische Zeremonie ab, um diese Jugendlichen im Geiste einzubeziehen und ihre jeweiligen Geschichten zu würdigen. Die Widerstandsfähigkeit von Baby und die Hoffnung, die sie für ihre Gemeinde bedeutet, inspirierten alle Anwesenden. Um sich einander näher zu bringen, veranstalteten die Teilnehmenden einen Tanzabend und luden die vier Jugendlichen ein, sich online anzuschliessen. Dieses Vorgehen konnte zwar nicht deren physische Präsenz ersetzen, aber es war eine Möglichkeit, alle daran zu erinnern, dass die Vier immer noch Teil des Abenteuers waren. Doch selbst die Online-Teilnahme war keine leichte Aufgabe, sondern eine Herausforderung, da die dortigen Gemeinden regelmässig von Stromausfällen betroffen sind. Stromausfälle sind in vielen Teilen Afrikas eine Realität. Dies ist umso frustrierender, als der Kontinent reich an natürlichen Ressourcen ist, die für die Energieerzeugung benötigt werden. Viele dieser Ressourcen werden jedoch abgebaut und exportiert, um dem globalen Norden zu nutzen, und die lokale Bevölkerung muss darum kämpfen, ihren grundlegenden Energiebedarf decken zu können.

Ein Aufruf zum Wandel

«Rise and Regenerate» hat gezeigt, wie stark globale Verbindungen sein können, aber auch offenbart, wie steinig das Terrain noch ist. Damit Veranstaltungen wie diese ihren Zweck voll erfüllen können, müssen Institutionen und Regierungen ihre Visaprozesse aufgeben, die von Misstrauen und Ungerechtigkeit geprägt sind. Systeme müssen entworfen werden, die das Potenzial von Menschen anerkennen, anstatt ihren Wert auf der Grundlage ihres Bankkontos zu beurteilen. Es ist an der Zeit, die systematische und erniedrigende Vermutung zu durchbrechen, dass aus einem Land des globalen Südens zu kommen, zwangsläufig bedeutet, in einem Land wie der Schweiz Asyl beantragen zu wollen. Indem wir diese Barrieren abbauen, können wir sicherstellen, dass junge Aktivist·innen, unabhängig von ihrem Herkunftsort, die Chance haben, ihre Stimme zu erheben und zu wachsen. Es geht nicht nur darum, Türen zu öffnen, es geht darum, eine Welt zu errichten, in der Chancen wirklich für alle zugänglich sind. Und anzuerkennen, wie sehr die Stimmen des globalen Südens die im Norden geführten Überlegungen befruchten und bereichern können. Alle Diskussionen über Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit finden in einer geschlossenen Gesellschaft postkolonialer Art statt, wenn diese Stimmen in den Gesprächen fehlen.

Veranstaltungen wie «Rise and Regenerate» beweisen, was möglich ist, wenn Inklusion das Herzstück der Zusammenarbeit ist. Es liegt an uns allen, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Wir hoffen sehr, dass die Visa den Eingeladenen zum diesjährigen Seminar reibungslos erteilt werden.

Artikel verfasst vom Verein«Les Coccinelles» und «Rites de Passage»