Seit dreißig Jahren liegen die Baupläne wohl verwahrt in einer Schublade. Und anstatt die Schlüssel in die strahlende Rhone zu werfen, kommen sie - Phönix gleich - wieder hervor.
Es geht um LEO. Eine große Straße. Eine Umgehungsstraße. Eine Verbindungsstraße (Liaison Est-Ouest ... Ost-West-Verbindung). Es geht um viel Beton, Äcker und Gärten, bäuerliche Strukturen und um die armen Armen. Es geht um Bioökonachhaltigkeit, Kontrolle, Gentrifidingsbumms und vielleicht einen ganzen Batzen Freiraum. Die gewohnheitsmässigen Entschei-der_innen wollen die Autobahnen A7 und A9 verbinden, die eine führt Richtung Italien via Marseille (Kulturhauptstadt 2013), die andere Richtung Spanien. Beide sind wichtige Strecken für den Transport von Gemüse aus den Plastikmeeren der Peripherie Europas. Das Projekt ist in drei Trassen unterteilt, wobei die erste, trotz Widerstand, schon realisiert wurde. Zusammen mit einem in kühlem Glas-Stahlbeton gehaltenem TGV Bahnhof hat sie hunderte Hektar guten Bodens versiegelt und eine andere Lebensart gleich mit. Bis vor kurzem dachte kaum noch jemand an die beiden folgenden Milliarden schweren Projekte, aber im März 2012 gelang es, Gelder aus den verschiedenen Struktur- und Entwicklungstöpfen zu mobilisieren, und seitdem geht es rasant in die falsche Richtung. Im Februar diesen Jahres ist die Enquete publique parcelaire1 über die Bühne gelaufen und die ersten Menschen sind enteignet worden. Bis September sollen alle Gelände in den Händen des Staates sein, und so lange dürfen Mensch und Tier noch bleiben, wo sie sind. Die vierspurige Straße soll durch die centure verte, den grünen Gürtel Avignons verlaufen. Sie wird direkt 50 ha zerstören und weitere Baupläne liegen bereit - zum Beispiel für eine Niedrigenergiehaussiedlung. Das was an Energie eingespart wird, kann dann gleich in einen Ausflug in den nächsten Biosupermarkt und den Kauf von Biotomaten aus El Ejido investiert werden.
Ein Gebiet, das im Süden an den Fluß der Durance grenzt und im Norden an die in Frankreich so typischen Hochhäuser, die wir aus den Bildern der Riots der Jahre 2005 und 2007 kennen. Die Viertel sind nicht so derb wie in Paris oder Marseille, aber mit der gleichen Logik von Ausgrenzung. Obendrein dienen sie als Argument für die Umgehungsstraße. Und es stimmt: Die Bewohner_innen dieser Viertel der Umgehungsstraße leiden stark unter dem Schwer- und Berufsverkehr. Es ist jedoch zynisch zu behaupten, man baue die LEO für diese Menschen. In zehn Jahren wird das Gebiet wohl aufgewertet und gentrifiziert sein. Und die nächste Generation wohnt an der nächsten Peripherie der nächsten Umgehungstrasse. Kreisrund und jedesmal einen größerern Radius Beton mit sich ziehend.
Gegen die LEO und ihre Welt
Der Kampf in Notre-Dame-des-Landes gegen den Flughafen in der Nähe von Nantes zeigt wie erfolgreich und wichtig Landbesetzungen sein können. Sie eröffnen Freiräume, spinnen Netzwerke, bauen Baumhäuser und sehen verdammt gut aus. Auch wenn einem der Matsch bis zu den Kniekehlen steht und der Salat vergiftet wird. Trotz massiver Repression geben die Freund_innen vor Ort nicht auf. Sie schaffen es, Zehntausende auf die Straße zu bringen und landesweit Unterstützungskomitees zu gründen. Von vielen Wänden liest mensch Grußbotschaften, und immer wieder werden an Autobahnzahlstellen die Barrieren geöffnet, um durch die gespendete Autobahnmaut das nötige Kleingeld zusammen zu bekommen und dem Bauherren VINCI2 ein wenig auf die Finger zu hauen. Der ist nämlich nicht nur Betreiber von Autobahnen und Parkplätzen, beides äußerst rentabel, sondern liefert auch Beton nach Tschernobyl, um zu zeigen, dass AREVAs Produkte3 in allen ihren Auswirkungen beherrschbar sind. In Avignon sind die Zeichen der Zeit noch nicht entschlüsselt worden; so gehen die Enteignungen in der ceinture verte weiter und die Bauarbeiten sollen 2014 beginnen.
Dagegen gehen, pflanzen und tanzen wir vor.
Wir laden euch herzlich ein, in den Süden zu kommen und am Samstag, den 27. April, die Eröffnungsdemo mitzugestalten. Der Demo werden diverse Besetzungen folgen, allen voran wollen wir ein kollektives Gartenbauprojekt auf einer der bedrohten Flächen installieren. Während vier Tagen gibt es Campleben auf einer Freifläche mit Baustellen, Workshops, Diskussionen, Filmen, Musik und so weiter und so richtig laut. Wir wollen aus diesen Tagen den ersten Schritt hin zu einer breiten Bewegung machen. Einer Bewegung, die sich Ländereien aus den kapitalistischen Spekulationen zurückholt und sie bewirtschaftet. Ihr könnt natürlich auch schon am Freitag aufs Camp kommen, mit Hand anlegen und ein veganes Essen teilen.
Vermarktung der Stadt
Aus Avignon soll eine «Marke» werden. Es soll sich verkaufen. Denn im 21. Jahrhundert hat sich auch ein Markt zwischen Städten etablieren lassen. So stehen sie in Konkurrenz zu einander und in Unternehmerlogik sollen sie ihre Standortvorteile herausputzen - was weder Tourist_innen noch Unternehmer_innen anlockt, ist plötzlich anrüchig. Es muss investiert werden, die Attraktivität muss gefördert werden. Wettbewerbsfähigkeit dank innovativer Politik und lokalem Wachstum. Werde Kulturhauptstadt und du erkennst ganze Straßenzüge nicht mehr wieder und suchst trotz modernster Kameras vergeblich deine alten Nachbarn. Du gehst noch etwas weiter und siehst eine einzige urbane Fläche, ohne Form und ohne Ordnung, eine trostlose, unbestimmte und unbegrenzte Zone, ein weltweites Kontinuum von musealen Hyperzentren und Naturparks, von Großwohnanlagen und riesigen landwirtschaftlichen Betrieben, von Industriegebieten und Siedlungen, von hippen Bars: die Metropole.
Kurzfristig wird die LEO das Bruttoinlandprodukt BIP, den Güterverkehr und somit den Markt in der Region ankurbeln. Den Verkehr zwischen den kürzlich aufgewerteten Vierteln im Süden verflüssigen. Langfristig aber ist die LEO die Pulsschlagader für die Urbanisierung der gesamten Region. Es liegt viel Geld in den zu verspekulierenden Böden und kein noch so subventionierter und industrialisierter Salat kann gegen ein Autohaus von Mercedes Benz standhalten. Dieses Phänomen kennen wir aus ganz Frankreich. Alle sieben Jahre wird die Fläche in der Grösse eines Departements zubetoniert.
Durch Landwirtschaft die Metropole umstülpen
Aber da wir das bunte Leben lieben, werden wir unser Territorium mit buntem Leben füllen, uns weiter organisieren und auch dort gemeinsam eine andere als die Verwertungslogik zur Prämisse unseres Handelns machen. Durch die Besetzungen wollen wir deutlich machen, wie schwer es ist, Land für kleine landwirtschaftliche Projekte oder Gemeinschaftsgärten auf legalem Wege zu bekommen. Denn durch eine Politik, welche die große Agroindustrie bevorzugt, Ackerland in Konkurrenz zu Bauland setzt und die Entscheidung über den Nutzen dem Geld überlässt, wird eine Nahrungsmittelproduktion geopfert, die «Regional» nicht nur auf dem Label stehen hat. Wir wollen unsere Autonomie ausbauen. Selbst unser Essen produzieren. Selbst entscheiden, was wir lernen wollen, und das Wissen weitergeben. Uns begegnen, außerhalb der vorgegebenen Schemata.
Durch das stetige Verneinen des «gläsernen Menschen», des Konsums, des Marktes, der Krise, der Konkurrenz, der Reduzierung auf Um-welt, die bleibt, wenn mensch alles verloren hat, wollen wir eine Zone wieder beleben. Wir wollen aus Um-welt wieder eine Welt machen, in der wir zu Hause sind.
Und klingt das nicht nach einem spannenden Experiment? Plötzlich leert sich ein Streifen in der Landschaft. Es gibt Häuser, die leer stehen, aber in gutem Zustand sind. Gartenflächen, in denen selbst die Bewässerung noch installiert ist. Obstbaumplantagen, die wieder geschnitten werden wollen. Kleine Parzellen mit großen, dem Mistral trotzenden Hecken und vielen Neuankommenden. Und das Ganze nicht nach einem Super GAU in der nukleartisiertesten Region Europas, sondern weil der Staat sich verspekuliert hat.
Wir sehen uns in den Gärten!