Akram Belkaid, ein in Frankreich lebender algerischer Journalist, übermittelte uns seine Chronik, die in der Tageszeitung «Quotidien d’Oran» erschienen ist. Er schreibt über die schockierenden Bilder von der Hinrichtung Saddam Hüsseins, die Ende Dezember 2006 in der ganzen Welt gesehen werden konnten.
Eine sufistische Chronik berichtet von einer Szene im Bagdad des 9. Jahrhunderts: Junaid, ein Meister der Tariqa, den seine Schüler der junaidistischen Schule den «Pfau der Weisen» nannten, verbeugte sich eines Tages vor einem Galgen, an dem die Leiche eines Verbrechers hing. Seine Schüler waren sehr erstaunt. Einer von ihnen wagte es, ihn nach den Gründen für diese ebenso verwunderliche wie schock-ierende Ehrung zu fragen. «Ich verneige mich vor seiner Entschlossenheit,» antwortete der Meister. «Dieser Mann hat für sein Ziel sein Leben gegeben.»
Glauben Sie nun ja nicht, diese Geschichte sei eine Saddam Hüssein gewidmete Ehrung. Dieser Mann ist verantwortlich für die Misere seines Volkes und seines Landes. Er war ein unerbittlicher Diktator, der keinerlei Protest duldete (ganz zu schweigen von Demokratie) und der auf noch blutigere Art als andere Könige und Präsidenten auf Lebenszeit zum Rückschritt der arabischen Welt im 20. Jahrhundert beigetragen hat. Ich schliesse mich keinesfalls den zahlreichen Stimmen an, die aus ihm einen Helden machen, einen Saladin der modernen Zeit, der bestraft wurde, weil er das Glück und die Freiheit für sein Land wollte.
Dennoch habe ich an die Worte Junaids gedacht, als ich die Berichte über seinen Tod las und einige – nicht alle – Bilder von seiner Hinrichtung sah. Am frappierendsten war seine Gelassenheit angesichts der plumpen Geschäftigkeit seiner Henker. So ohne sichtbare Angst auf seinen Schöpfer zugehen, die Beleidigungen ignorieren, hat etwas Beeindruckendes. Saddam ist in seiner Rolle auf Erden bis zum Schluss konsequent geblieben. Er hat keinerlei Bedauern über sein Handeln zum Ausdruck gebracht und wir wissen nicht, welche Motivationen ihn getrieben haben. Sicher ist nur, dass er entschlossen war, nie damit zu brechen. Dieser Mann hat vielleicht bis zuletzt nicht geglaubt, dass es sein Schicksal war, an einem Strick in einem schmutzigen Keller zu enden.
Aber warum wurde Saddam auf so expeditive und obszöne Art hingerichtet? Am Freitag, den 29. Dezember, als die Nachricht von seiner bevorstehenden Erhängung zu zirkulieren begann, glaubte ich überhaupt nicht daran. «Sie können das doch nicht so schnell und schon gar nicht am Tag des Aid machen. Das kann die Situation nur noch verschärfen», sagte ich zu einer Kollegin. Doch «sie» haben es getan und haben noch dazu dafür gesorgt, dass die ganze Welt zusehen konnte.
Warum? «Amerikanische Propaganda», sagen – zu Recht – jene, die behaupten, es sei das Amerika von George Bush, das Saddam hinrichten liess und nicht die irakische Justizparodie, die von zahlreichen internationalen Organisationen kritisiert wurde. Bush hatte keine guten Neuigkeiten über die Situation im Irak zu verkünden, Ben Laden ist immer noch auf freiem Fuss (niemand spricht mehr über den Mollah Omar). So hat diese Hinrichtung ein Vakuum gefüllt, das die Pressesprecher des Weissen Hauses allmählich zur Verzweiflung brachte.
Diese Erklärung klingt gut, doch sie ist unvollständig. Die konfessionnelle Inszenierung der Hinrichtung war nicht für die amerikanische Öffentlichkeit bestimmt. Von den Anwesenden skandierten einige den Namen Moqtada Sadr, Führer der Armee des Mahdi und schiitischer Würdenträger, den das Magazin Newsweek kürzlich zum gefährlichsten Mann des Irak erklärte, weil sich seine Miliz stark an den zwischenkonfessionnellen Massakern beteiligt.
Die Botschaft ist eindeutig: Die Henker Saddams sind Schiiten. Sie sind die neuen Herren im Land. Die Exekution ist ein Signal für alle Sunniten, die versucht sein könnten, diese neue Ordnung anzufechten. Doch angesichts der weltweiten Reaktionen kann man sich fragen, warum die Amerikaner sich derart in ihrer Einschätzung geirrt haben. Saddam ist von nun an ein Märtyrer für die grosse Mehrheit der Araber. Seine Hinrichtung wird vor allem den Bruderkrieg zwischen Schiiten und Sunniten anfachen.
Aus Ignoranz oder Süffisanz haben die Amerikaner seit Beginn ihrer Intervention im Irak eine beträchtliche Anzahl von Dummheiten begangen (eine davon, von der wenig geredet wird, ist die totale Liberalisierung der lokalen Wirtschaft). Doch dieses Mal scheint mir ihre Geste absichtlich und wohl überlegt. Ich glaube nicht, dass die USA den irakischen Bürgerkrieg wirklich beenden wollen. Wenn sie es wollten, hätten sie schon lange den Stadtteil Sadr City von Bagdad besetzen müssen, das Hauptquartier der schiitischen Todesschwadrone. Sie hätten Moqtada Sadr verhaftet und vor allem hätten sie nicht ihre Einwilligung zu dieser morbiden Farce gegeben, welche vor allem den Hass der sunnitischen Welt auf die Schiiten geschürt hat.
«Tod den USA, Tod Israel», brüllten wir üblich die Demonstranten, welche die Hinrichtung Saddams denunzierten. Neu daran war, dass einige auch «Tod den Schiiten» schrien und manchmal sogar «Tod dem Iran». Dorthin führen die wirklichen Herren des Irak die «arabische Strasse». Eine neue Fitna , die grosse Zwietracht zwischen Sunniten und Schiiten. Eine Auseinandersetzung, die auf die Nachbarländer übergreifen und im gesamten Nahen Osten zu einem Chaos führen könnte mit alldem, was dies an «ethnischer und religiöser Säuberung» bedeutet.
Warum akzeptieren die Amerikaner den Bürgerkrieg zwischen Irakern, nachdem sie deren Land «befreit» haben? Um sich in Deckung zu bringen und die Schläge zu zählen, um die sunnitischen Länder der Region zu zwingen, sich mit dem Iran anzulegen (eine Art Neuauflage des Krieges von 1980 oder des doppelten Containement der 1990er Jahre).
In jedem Fall wird es viel Unterscheidungsvermögen und kühle Köpfe brauchen, um nicht in die Falle zu tappen und Schiiten und Sunniten aufzurufen, sich zu vertragen. «Die Fitna schlummert in jedem von euch. Verdammt sei jener, der sie weckt», sagte unser Prophet. Alle sollten über diesen Satz nachdenken, vor allem die Sunniten, die, wo auch immer sie sind, nur noch davon träumen, Schiiten umzulegen. Und die vielleicht, wer weiss, eine sinnlose, revanchistische Genugtuung empfinden werden, wenn eines Tages Bomben auf den Iran fallen.
Abram Belkaïd