Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt die Erwähnung des Ländernamens Iran weltweit Anlass für Hoffnungen, solche, die mit Sehnsüchten nach tiefgreifender Veränderung verbunden sind. Schon einmal war dies der Fall als in den Jahren 1977 bis 79 eine spektakuläre Massenbewegung dieses Land umfasste.
Es war die erste Revolution ausserhalb Europas, die überwiegend urban geprägt war – die Hälfte der Bevölkerung lebte damals in Städten, heute sind es bereits 76 Prozent – und die bis zu zehn Millionen Menschen gleichzeitig auf die Strassen brachte, in einem Land mit einer Bevölkerung von damals vierzig Millionen Menschen (heute doppelt so viele). Dann folgte der jähe Absturz. International wurde der Name des Iran vielfach mit Folter, Hinrichtungen, Repression und diktatorisch verordnetem Rückschritt in Verbindung gebracht. Grund genug, sich erneut diesem Land zuzuwenden.
Den Verfasser dieser Zeilen beschäftigt es seit 32 Jahren. Unvergessen die Ankunft in Sanandaj, der Hauptstadt des iranischen Kurdistans, eines Morgens im September 1992. Genau eine Woche zuvor waren vier iranisch-kurdische Oppositionspolitiker in Berlin im Restaurant «Mykonos» ermordet worden. Eine ganze Stadt redete von Politik, überall, an allen Ecken, trotz greifbarer, allgegenwärtiger Angst vor Repression. Kein Wunder, dass auch von diesem Teil des Iran die Initialzündung zur jüngsten Revolte ausging, der Massenbewegung, die nach wie vor anhält und mittlerweile den ganzen Iran erfasst.
Iranische Linke in Deutschland publizierten im vergangenen Jahr eine Monografie zu einer Bewegung der revolutionären Linken in diesem Land, zur «Guerillaorganisation der Volksfedayin des Iran». Sie beruht auf der Diplomarbeit ihres Genossen Huschang (Karim) Dinarvand, die er im Jahr 1989 vorlegte. Herausgegeben wurde sie durch den «Prison’s Dialogue», von einer Gruppe im Exil lebender ehemaliger politischer Gefangener aus dem Iran. Es war höchste Zeit, dass eine ausführlichere Darstellung zur iranischen Linken und ihrer Geschichte auch in Buchform vorliegt. Zumal sich in Teilen der europäischen Linken hartnäckig Vorstellungen halten wie die folgende: Die derzeit regierende islamistische Fraktion des Ayatollah Ruhollah Khomenei (verstorben 1989) und seiner Nachfolger sei die legitime Erbin der Revolution von 1978/79 und «durch die Volksbewegung legitimiert». Deshalb sei die Gegnerschaft zu ihr wesensmässig «konterrevolutionär» oder «pro-imperialistisch». Eine grundfalsche Annahme, die verkennt, dass ab März 1979 die innenpolitische Entwicklung im Iran – nach dem revolutionären Sturz des Schah-Regimes – schnell qualitativ in einen konterrevolutionären Prozess umkippte. In dessen Verlauf wurde nicht allein die politische Linke, sondern die gesamte Bevölkerung mit Staatsterror und Repression überzogen.
«Kämpfende des Volkes»
Die «Volksfedayin», welche 1971 gegründet wurden und als bewaffnet kämpfende Organisation in Erscheinung traten, bildeten eine der wichtigsten revolutionären Kräfte. Ihre Vorläufergruppen ab 1963, deren Entstehung und Strategiediskussion der Autor ausführlich darlegt, bildeten sich vor dem Hintergrund der so genannten «Weissen Revolution», einer von oben durchgeführten Landreform, welche die bisherigen feudal geprägten und vom Klerus dominierten Sozialbeziehungen auf dem Land aufbrach, um den Iran stärker für das internationalisierte Kapital und den Warenverkehr zu öffnen. Die iranische Gesellschaft erfuhr dadurch eine gesellschaftliche Umwälzung, die ein autoritäres Regime – nämlich dasjenige des Schah – kanalisierte. Zehn Jahre zuvor war mit dem durch den Schah initiierten Putsch gegen Premierminister Mohammad Mossadegh der Versuch einer stärker autozentrierten Entwicklung des Iran zerschlagen worden. Im traditionsmarxistischen Sprachgebrauch würde man von einer «national-demokratischen Phase» sprechen, die verhindert wurde.
Die Volksfedayin, deren Name nur ungefähr mit «Kämpfende des Volkes» zu übersetzen ist, gründeten sich auch in Auseinandersetzung mit der Passivität der Tudeh-Partei (Partei der Massen) genannten pro-sowjetischen KP. Letztere setzte stets eher auf die Entwicklung der Produktivkräfte, und nach Beginn der islamistisch geführten Konterrevolution 1979 suchte sie noch jahrelang die vermeintlich positiven antiimperialistischen Tendenzen innerhalb des Regimes zu stützen und dieses im Sinne aussenpolitischer Interessen der UdSSR zu beeinflussen. Erst ab 1984 brach eine brutale Repression auch über die zentralen Strukturen der Tudeh-Partei herein. Andere Oppositionskräfte waren im Inland längst weitgehend zerschlagen. Die Volksfedayin spalteten sich 1979 auf, im Kontext einer kontroversen Diskussion darüber, wie die Spannungen zwischen dem neuen Regime und den USA einzuschätzen seien und welche Widersprüche – die zu den imperialistischen Mächten, die zum Kurs der neuen Führung – vorrangig zuzuspitzen seien. Von der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes, für die schon früh die innerorganisatorische Dissidentin Aschraf Deghani eintrat, über die ebenfalls frühzeitig oppositionelle Fedayin-Minderheit bis zu der zunächst mit der Tudeh-Partei zusammenarbeitenden Fedayin-Mehrheit reichte die Spannbreite der Positionen, die sich in einem angespannten und widerspruchsreifen Kontext entwickelten.
Die Diskussion fängt erst an
Zu den Stärken des Buches zählt, dass der Autor die Errungenschaften der Massenbewegung und der Linken in den ersten Monaten der Revolution und die Verankerung der Volksfedayin darin darlegt: Die Bewegung der nationalen Minderheiten in den turkmenischen Gebieten und in Kurdistan, die Student·inn·en- und die Frauenbewegung werden ausführlich dargestellt, ebenso wie die sprunghaft zunehmende Repression des neuen Regimes. Hier wird deutlich, welche Widerstände der Übergang von der Revolution zur Konterrevolution brechen musste.
Nun zu der wichtigsten Schwäche des Buches: Die Darstellung bleibt 1988/89 stehen, zu der Zeit als Dinarvand seine Doktorarbeit abschloss. Innerhalb des Iran konnte die linke Opposition ihre Strukturen von vor 1979 aufgrund brachialer Repression seit jener Zeit nicht wieder bilden. Doch im Ausland führten ihre Mitglieder zahlreiche Diskussionen, zogen Bilanz, schlossen Bündnisse mit Kräften in ihren Exil-Ländern, gewannen neue Erkenntnisse. Hier müsste eine Analyse der Jetztzeit ansetzen. Das Buch verteidigt die unter anderem auf dem Imperialismusbegriff fussenden Analysen der iranischen Linken in der beobachteten Zeit – und dies zu Recht. Aber in Zeiten, in denen von links wie von rechts weltweit oft behauptet wird, das bestehende iranische Regime verkörpere eine Form von Antiimperialismus, wäre es unabdingbar, hier scharf Bilanz zu ziehen – welcher Imperialismusbegriff ist richtig, welcher vielleicht falsch, welche Konzepte lassen sich nicht von rechten Kräften, wie etwa den Khomeini-Kräften vereinnahmen? Inwiefern hatten damalige Analysen einen «Zeitkern», oder sind sie unverändert richtig? Die Diskussion fängt erst an und ist auf keinen Fall beendet. Dinarvan hat mit seiner Monografie einen Beitrag dazu geleistet und an ein wichtiges Kapitel der iranischen Geschichte erinnert. Nur darf dieses nicht etwa als abgeschlossen dastehen. Die Lektüre seines Buches ist nachdrücklich empfohlen. Wünschenswert wäre, dass die Erkenntnisse, die sich aus ihr ergeben können, in einen in die Zukunft weisenden Dialog einmünden. Und dass eine nächste Auflage auch darüber berichtet, welche Bündnisse die Exilmitglieder der Volksfeddayin in jüngerer und jüngster Zeit knüpften. Und wie sie, wenn es dazu kommt (wie wir nachdrücklich hoffen), in die weitere Geschichte des Iran – die heute beginnt – eingreifen.
Bernard Schmid
Huschang (Karim) Dinarvand: Geschichte, Struktur und Politik der Guerillaorganisation Volksfedayin Irans. Hrsg: Prison’s Dialogue, im Selbstverlag, 2021 (erste Auflage), 205 Seiten. Kaufpreis 15 Euro. Bestellungen bitte unter: book@dialogt.info