KOMMENTAR El Ejido, und danach?

von Willy Streckeisen, 10.04.2005, Veröffentlicht in Archipel 125

Das Thema El Ejido ist schon mehrere Male im Archipel behandelt worden, auch die damit verbundenen Ereignisse, das Wie und Warum dieses Dramas, seine Wurzeln und seine Konsequenzen. Alle Welt hat über die Medien von diesem Ort gehört. Er ist zum typischen Beispiel eines Landwirtschaftsmodells geworden, das außer Kontrolle gerät. Die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen sind katastrophal.

Dies festzustellen ist sicherlich eine leichte Sache, viel schwieriger ist es, der Tendenz zur Vervielfältigung eines Modells wie El Ejido entgegenzuwirken. Der Neoliberalismus ist immer noch aktuell, auch wenn die Gegenstimmen sich sogar in Wirtschaftskreisen mehren. Man beginnt, sich bewusst zu werden, dass ein Markt ohne Regulierung nicht funktionieren kann, ohne enorme soziale und ökologische Schäden hervorzurufen. Zur Stunde jedoch ist immer noch der freie Handel das einzige Dogma der Welthandelsorganisation (WTO). Probleme, die nicht ausschließlich den Handel betreffen, werden mit verächtlicher Hand beiseite geschoben. Und es ist genau dieser freie Handel, der Landwirtschaftsmodelle wie jenes in El Ejido fördert. Die WTO handelt souverän ohne jegliches Kontrollrecht der UNO, der höchsten politischen Instanz der internationalen Gemeinschaft. Und was soll man zur FAO sagen, die den Auftrag hat, gegen den Hunger in der Welt zu kämpfen, wenn deren Präsident sich magischer Wörter bedienen muss, um einen Antrag an die WTO zu stellen. Was die CNUCED, Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, betrifft, die eigentlich eine zentrale Rolle als Koordinator in dieser Sache haben sollte, ist sie vollkommen von den allmächtigen USA an den Rand gedrängt. Der WTO, dem Internationalen Währungsfond (FMI) und der Weltbank sind somit absolut freier Lauf in ihrem Handeln gelassen; alle drei sind im Innersten von den Wohltaten einer maßlos industrialisierten Landwirtschaft überzeugt.

Dies heißt jedoch nicht, dass wir im Warten auf bessere Zeiten mit gebeugtem Rücken resignieren und uns alles gefallen lassen müssen. Im Gegenteil, wir dürfen nicht aufhören, überall und in jeder Lage das Prinzip der Ernährungssouveränität zu betonen, dieses Recht der Länder, selber über ihre eigene Landwirtschafts- und Ernährungspolitik zu entscheiden, sich, so weit möglich, aus eigenen Kräften zu ernähren. Ebenso soll verdeutlicht werden, dass das Erscheinen eines Landwirtschaftsmodells im Stil El Ejido nicht ein unabwendbares Schicksal sein muss, sondern einfach ein Missgeschick. Förderung einer Landwirtschaft, die dem Konsumenten nahe steht, Zurückeroberung von Teilen des Marktes und vor allem von Mehrwerten, die mit schuldhafter Leichtfertigkeit den heute maßlos dominierenden Händlern überlassen werden, dies sind die Leitsätze, die es zu gebrauchen gilt. Was sich zurzeit im Kanton Genf ereignet, verdient in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit von jedem, der sich für diese Problematik interessiert.

Anfang des Jahres 2001 hat sich im Anschluss an die Ereignisse in El Ejido und auf Initiative von «Jardins de Cocagne» (eine selbstverwaltete Gruppe von Konsumenten, die mit Hilfe angestellter Gärtner Gemüse produziert) in Genf eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, um im Hinblick auf das Prinzip der Ernährungssouveränität über die Beziehungsprobleme zwischen Stadt und Land, zwischen Produzenten und Konsumenten nachzudenken. Ohne Zweifel ist in diesem Teil des Landes, der für seine Weltoffenheit bekannt ist, der Nährboden günstiger als anderswo, doch wird hier immer auch sehr schnell eine ganze Reihe von Ideen und Vorschlägen geboren. Zum Glück war der für die Landwirtschaft in dieser Region zuständige Nationalrat Robert Cramer selbst vollkommen von der Richtigkeit der Vorgehenswiese überzeugt, was die Sache sehr erleichterte. So wurden im Zeitraum von weniger als drei Jahren drei wichtige Projekte, die die öffentliche Hand mit einbeziehen, realisiert:

  • Eröffnung eines Ladens «Les saveurs de la terre» inmitten der Stadt, wo nur echte Genfer Landwirtschaftsprodukte verkauft werden

  • Schaffung eines Warenkennzeichens «Genève Région - Terre Avenir», um die klare Herkunft der landwirtschaftlichen Produkte aus der Genfer Region zu bezeichnen

  • Erarbeitung eines kantonalen Gesetzes zur Unterstützung der Landwirtschaft

Zweifellos besteht die Originalität dieser verschiedenen Schritte in der Tatsache, dass seit den allerersten Anfängen eine Reihe verschiedener Partner zusammengearbeitet haben. So waren nicht nur der Kantonsvorsteher selbst, seine Abteilung Landwirtschaft und der Kantonschemiker eingebunden, sondern auch Vertreter der Arbeitergewerkschaft (SIT und SIB), der Konsumenten (FRC, Jardins de Cocagne), nicht zu vergessen die Vertreter der Landwirtschaftsvereinigungen, Leute aus den verschiedensten Richtungen. Zu sagen, dass in jeder Situation alles «wie am Schnürchen gelaufen» sei, wäre übertrieben. Die Diskussionen waren oft heftig, laut und ehrlich. Wäre das Gegenteil nicht erstaunlich gewesen? Aber das Ergebnis ist überzeugend, alle sind zufrieden.

Das Gütesiegel «Genève Région - Terre Avenir» ist nicht nur dazu bestimmt, die landwirtschaftlichen Produkte der Region zu identifizieren und die Qualitätsechtheit zu beweisen, sondern auch vor allem Ausdruck eines wirklichen Engagements aller Partner zugunsten einer Landwirtschaft der Nähe, ein Baustein im Gefüge des Prinzips der Ernährungssouveränität. Seine Vergabe ist gebunden an die Verpflichtung aller betroffenen Angestellten, der Sektoren Landwirtschaft, Verarbeitung, Verpackung und Aufmachung, peinlich genau die gesetzlichen Bestimmungen in Sachen Arbeitsbedingungen zu respektieren. Dies macht es zu einem Wegbereiter für die Ausweitung dieser Vorschrift auf alle bereits existierenden und zukünftigen Markenzeichen. Und es ist vor allem auch Vorreiter in der Forderung, dass die unter seiner Marke verkauften Produkte in jedem Landwirtschaftszweig Objekt einer Preisverhandlung sein müssen, um den Produzenten «einen gerechten Preis und ein anständiges Einkommen» zu garantieren.

Parallel zu dieser Entwicklung, die die öffentliche Hand Genfs mit einbezieht, haben sich diverse andere Initiativen rein privater Natur und in Richtung einer Landwirtschaft der Nähe, also einer höheren Ernährungssouveränität, entwickelt. Unter diesen zu nennen ist «L’Affaire Tourne-Rêve», der erste geschriebene Vertrag zwischen einer Gruppe von Bauern (in einer Assoziation zusammengeschlossen) und einzelnen Konsumenten. Im Rahmen dieses Vertrages, der Anfang des Jahres unterzeichnet wurde, und gegen die an die Unterschrift gebundene Zahlung eines Fixbetrages verpflichtet sich die Assoziation, im Herbst und nach der Ernte eine bestimmte Menge von Produkten zu liefern. An mehreren Orten des Kantons wurden Warenkörbe mit Kartoffeln, Äpfeln, Fruchtsäften, Sonnenblumen- und Rapsöl, Haferflocken, Dinkel, Linsen, Honig und Würsten verteilt. Da die Mund-zu-Mund-Propaganda sehr gut funktionierte, entsprach der Erfolg nicht nur den verrücktesten Erwartungen, sondern war so groß, dass nicht einmal alle Bestellungen erfüllt werden konnten. Das Angebot wird im Jahr 2005 durch eine größere Zahl von Produzenten ausgeweitet werden.

El Ejido, und danach? Hier haben wir den Anfang einer Antwort. Es wird noch andere geben.

Willy Streckeisen *

15.12.2004

*Ehemaliger Direktor der Genfer Landwirtschaftskammer