KONGO / SUDAN: Kriege und Rohstoffabbau

von Das Team von Sudfa, 15.11.2025, Veröffentlicht in Archipel 352

Zwei Aktivisten, Hamed von «Sudfa»[1], einem von sudanesischen Exilant·innen in Frankreich gegründeten Medienunternehmen, und Jordi, von «Génération Lumière», einem von jungen Kongoles·innen in Lyon gegründeten «Verein für dekoloniale Ökologie und internationale Solidarität», tauschen sich über die aktuellen Kriege im Kongo und im Sudan aus und beleuchten dabei die Logik der neokolonialen Ausbeutung sowie Wege der Solidarität zwischen den Völkern.[2]

Hamad: Vor etwa zwei Jahren begann im Sudan ein Krieg, der die Fragilität unserer heutigen Welt verdeutlicht. Wir erleben eine der schwersten Katastrophen der Welt, die in völliger Stille stattfindet. Man spricht davon, dass 80 Prozent der Krankenhäuser nicht mehr funktionsfähig sind. Man spricht davon, dass 20 Millionen Sudanes·innen, also die Hälfte der Bevölkerung, aus ihrer Heimat geflüchtet sind, entweder ins Ausland oder in eine andere Region innerhalb des Landes. Man spricht davon, dass 90 Prozent der Sudanes·innen heute in den Kriegsgebieten Hunger leiden und dass 15 Millionen Kinder seit 2023 keine Schule mehr besuchen können. Das Ungewöhnliche daran ist das Schweigen der ganzen Welt.

Jordi: Im Gegensatz zum Sudan ist das Besondere im Fall des Kongos, dass es sich um einen sehr gut dokumentierten Konflikt handelt. Seit mehr als 30 Jahren dokumentiert eine Expert·innengruppe der Vereinten Nationen, die über eine jährliche Finanzierung von einer Milliarde Dollar verfügt, jedes Jahr die Entwicklung des Konflikts – das zeigt ein wenig den grotesken Charakter dieser Situation. Seit mehr als 30 Jahren tut sie das, obwohl die kongolesische Frage im Grunde genommen recht einfach zu verstehen ist. Es ist eine reine Frage der Ressourcen. Was im Kongo geschieht, hängt mit dem sogenannten Extraktivismus zusammen. Denker·innen und Aktivist·innen aus Lateinamerika haben dieses Konzept entwickelt, um zu erklären, dass das Ende der Kolonialreiche niemals das Ende der imperialen Logik bedeutet hat: Länder als Rohstofflieferanten und Kornkammern zu haben, die man ausbeutet, bis nichts mehr übrig ist, wobei nur der externe Markt davon profitiert. Länder, die man quasi an einen internationalen Markt kettet und denen ganz einfach gewisse Rollen zugewiesen werden.

Hamad: Die Kriege im Sudan und im Kongo zeigen, wie die natürlichen Reichtümer eines Landes Instabilität schüren, anstatt dass die lokale Bevölkerung von diesem Reichtum profitieren würde. Im Sudan spricht man von Gold, Öl, Ackerland... Es ist ein strategisch wichtiges Land, das bis 2011 an neun Länder grenzte und Zugang zum Roten Meer hat, das militärisch gesehen ein strategisch sehr wichtiger Bereich ist. Der aktuelle Konflikt hängt nicht nur mit den Gründen zusammen, die am häufigsten genannt werden, wenn man sagt, dass es sich um einen Machtkampf zwischen zwei Generälen handelt. Dieser Krieg hat seine Wurzeln in der Kolonialzeit, die massgeblich zur Spaltung der sudanesischen Bevölkerung, zur Stigmatisierung bestimmter Teile der Bevölkerung und zur ethnischen und stammesbezogenen Spaltung des Landes beigetragen hat.

Die Briten, die den Sudan kolonisiert hatten, führten ein System der Segregation ein: Sie teilten die multiethnische sudanesische Bevölkerung in zwei Kategorien ein. Die erste Kategorie umfasste diejenigen, die vom Kolonialsystem profitierten und als Verbündete galten, die von allen Reichtümern des Landes und dem eingeführten System profitierten, und auf der anderen Seite standen diejenigen, die marginalisiert wurden. Mit der Erlangung der Unabhängigkeit stellte man fest, dass es zwei voneinander getrennte Gesellschaften gab.

Unmittelbar nach der Unabhängigkeit des Sudan im Jahr 1956 brach im Süden ein Krieg aus, weil es Gruppen gab, die zu den Waffen griffen, um einen Platz für die Südsudanes·innen innerhalb des Staates zu erstreiten und ihre Marginalisierung und Ungerechtigkeit aufzuheben. Dieser Krieg breitete sich nach und nach auf alle Teile des Landes aus, insbesondere auf Darfur, die Region des Blauen Nils, die Nuba-Berge und Kordofan. Und diese Art von Krieg wird immer wieder durch andere lokale Gründe angeheizt. Das heisst, dass sich irgendwo im Land eine bewaffnete Gruppe bildet, die versucht, die Kontrolle über ein Gebiet und dessen Ressourcen zu erlangen, aber immer in Verbindung mit einer anderen Gruppe oder einem anderen Land, das von aussen «Hilfe» leistet und von diesem Reichtum profitieren will.

Jordi: Im Kongo konzentrierte sich der Krieg während des sogenannten «Coltan-Booms» sehr stark auf den Osten der Demokratischen Republik (DR) Kongo. Coltan ist eines der «Schlüsselmineralien» für die Herstellung digitaler Geräte. Ohne Coltan kann man keine Prozessoren herstellen, keine Computer, Handys usw.! Gegen Ende der 1990er Jahre kam es zum Internetboom, zum Boom einer ganzen neuen Generation von Produkten, für die diese Ressource benötigt wird. Und der Kongo verfügt über fast 60 bis 80 Prozent der weltweiten Coltan-Reserven. Dieser Boom fiel jedoch mit einer politischen Übergangsphase in der DR Kongo zusammen. Fast 32 Jahre lang war Mobutu, der als «Freund des Westens» galt, an der Macht. Nach seinem Tod stellte sich die Frage, welcher politische Führer diesen riesigen Markt übernehmen und die strategischen Interessen des Landes vertreten würde. Dann kamen neue Akteure ins Spiel, vor allem Ruanda und Uganda, die Nachbarländer im Osten des Kongo. In dieser Region sind die Grenzen durchlässig; die Bevölkerung ist es gewohnt, sich frei zu bewegen, und es ist relativ einfach, irgendwelchen Gruppen die Einreise in den Kongo zu finanzieren, um sie dort die Bodenschätze abbauen zulassen. Der Konflikt ermöglicht es noch dazu, die Preise für die Rohstoffe niedrig zu halten, um einen Markt zu finanzieren, der gerade extrem boomt.

So brach der sogenannte Zweite Kongokrieg aus. Ein Krieg zwischen Nachbarstaaten auf kongolesischem Gebiet um kongolesische Rohstoffe, mit einem Block, welcher der kongolesischen Regierung nahestand, und einem Block der Nachbarstaaten. Das funktionierte jedoch nicht ganz, weil der damalige Präsident der DR Kongo, Laurent-Désiré Kabila, noch Widerstand leistete. Nach seiner Ermordung im Jahr 2001 stellte sich dann die Frage, wie dieser rohstoffreiche Teil der DR Kongo im Einflussbereich der Nachbarstaaten bleiben könnte. Es mussten also Erklärungen gefunden werden, die möglichst legitim erschienen und den Konflikt verschleierten, indem sie die ethnische Frage in den Vordergrund stellten: Ethnien im Kongo, in Ruanda und in Uganda, die systematisch diskriminiert, systematisch aus dem Staatsapparat ausgeschlossen, und sogar ermordet werden. Diese Argumentation wurde sehr weit getrieben, um zu rechtfertigen, dass die Nachbarstaaten eingreifen, um die Interessen ihrer ethnischen Gruppen zu schützen. Erinnern wir uns an den Kontext der 1990er Jahre, den grossen Völkermord an den Tutsi in Ruanda. Das darauffolgende Regime in Ruanda behauptet, die Interessen der Opfer mit seinem Eingreifen im Nachbarland zu verteidigen, und versucht so, auf der internationalen Bühne sein Vorgehen zu legitimieren.

In der Zwischenzeit kam es zu einer extremen Militarisierung des Konflikts mit bewaffneten Banden, die überall Massaker verübten. In 30 Jahren gab es in dieser Region ca. 6 Millionen Tote. In den 1990er Jahren gab es fünf oder sechs bewaffnete Banden, heute sind es mehr als 200. Warum? Diese Grenzregion ist reich an Gold-, Coltan-, Zinn- und anderen Minen. Und ein Teil dieser Milizen, dieser Kriegsherren, geht in den Kongo, weil es dort einfacher ist, die Mineralien zu gewinnen. Es sind keine industriellen Anstrengungen erforderlich, man muss nicht bohren, man muss nicht über grosse Unternehmen gehen, um reich zu werden. Coltan wird auf handwerkliche Weise mit Schaufeln abgebaut. Der Grossteil des Coltan-Geschäfts liegt also überhaupt nicht in den Händen des Staates, sondern wird heimlich betrieben.

Im Jahr 2020 stellte sich heraus, dass der Kongo nicht mehr der weltweit grösste Coltan-Produzent war, sondern von Ruanda um einige tausend Tonnen überholt worden war, das mit fast 4.000 bis 5.000 Tonnen pro Jahr über Nacht zum weltweit grössten Coltan-Produzenten aufstieg. Wie wäre das anders möglich gewesen, wenn nicht dank des Schmuggels kongolesischer Mineralien? Schnell war festzustellen, dass diese Tatsache unter den Staaten international ein offenes Geheimnis war. In Wirklichkeit wusste jeder, dass Ruanda zu einer Drehscheibe für im Kongo gewonnene Rohstoffe geworden war. Doch das ist noch nicht alles: Heute gibt es kein einziges Digitalunternehmen, das schlüssig zertifizieren könnte, dass das Coltan in seinen Produkten nicht aus diesen Kriegsgebieten stammt. Das ist dramatisch.

Lesen Sie die Fortsetzung dieses Austauschs in der nächsten Ausgabe von Archipel.

Das Team von Sudfa

  1. Sudfa ist ein partizipatives französisch-sudanesisches Medienprojekt.

  2. Am 23. Mai 2025 wurde Sudfa Media von der «Coordination Régionale Anti-Armements et Militarisme» (Region AURA) eingeladen, um mit der Vereinigung «Génération Lumière», über die Lage im Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo zu diskutieren.