Seit Jahrzehnten schuften Tausende von Migranten und Migrantinnen im Süden Frankreichs unter unmenschlichen Bedingungen, um billiges Gemüse und Obst in die Supermärkte zu schaffen. Inzwischen gibt es spezielle Unternehmen, die ihren ganzen Profit auf der Basis dieser Ausbeutung machen.
Früher handelte es sich bei den Saisonarbeitern in Frankreich mehrheitlich um Spanier und Portugiesen. Später wurden sie von Nordafrikanern ersetzt, in der Provence vor allem von Männern aus Marokko. Sie «durften» mit einem Saisonarbeitsvertrag während sechs bis acht Monaten bei einem Patron arbeiten, an den sie völlig gebunden waren. Diese Arbeitsverträge gibt es bis heute, sie haben allerdings an Bedeutung verloren. Heute wird ein Grossteil der Landarbeiter·innen über Firmen vermittelt, die in einem anderen Land Europas angesiedelt sind, vor allem in Spanien. Der bedeutendste Dienstleistungsbetrieb für Frankreich, Terra Fecundis, ist offiziell in Murcia zu Hause. Dieses Unternehmen kann innert kürzester Zeit Arbeiter·innen anbieten. Diese arbeiten dann in Frankreich, werden aber in Spanien entlöhnt. Der französische Patron muss bloss Terra Fecundis bezahlen, er braucht keine Vorarbeiter, die für schnelle Arbeit sorgen, und muss auch keine Lohnscheine ausfüllen. Terra Fecundis kümmert sich um alles: die Vorarbeiter, die Reise, Unterbringung, Verpflegung usw. der Arbeitskräfte. Die Mehrheit der Saisonarbeiter·innen sind Migrant·inne·n aus Lateinamerika, einige von ihnen stammen auch aus Afrika. Offiziell muss der spanische Mindestlohn von 14 € die Stunde bezahlt werden; in Wirklichkeit dreht sich das Ganze eher um 5 bis 8 €. Die französischen Patrons sind begeistert! Kein Franzose wäre bereit, unter solchen Bedingungen zu arbeiten! Terra Fecundis ist berüchtigt: Der französische Staat prozessiert inzwischen gegen dieses Unternehmen: Es ist angeklagt, den Staat um Sozialleistungen geprellt zu haben und zwar in millionenfacher Höhe. Der Prozess wurde wegen Covid-19 auf den Herbst verschoben. Das spanische Unternehmen hat auch ein äusserst perfides System der Kontrolle und Unterdrückung auf die Beine gestellt: Jedes Jahr wird plötzlich einzelnen Arbeiter·inne·n die Arbeit verweigert, wenn diese schon in Frankreich sind. Diejenigen, die sich nicht alle Schikanen gefallen lassen, werden der Rebellion bezichtigt und müssen zurück nach Spanien. Vor ihrer Rückreise sind sie oft noch einige Wochen auf einem der Höfe blockiert, ohne Arbeit und Geld, um als Warnung für die anderen zu dienen und um diesen die Lust zum Aufbegehren zu nehmen.
Ausbreitung von Corona
Dieses Frühjahr ist Terra Fecundis wiederum in die Schlagzeilen geraten und zwar auf Grund des Coronavirus. Trotz allgemeinem Ausreise- und Einreiseverbot liess der französische Staat Tausende von Landarbeiter·innen über die Grenze. Der Druck der sehr einflussreichen Bauerngewerkschaft FNSEA war von Erfolg gekrönt. Die Industrielandwirtschaft pocht auf ihre Sklaven und Sklavinnen. Mit dem Resultat, dass Hunderte von Migrant·inn·en vom Coronavirus infisziert wurden: Die miserable Unterbringung in kollektiven Schlafräumen und die oft desolaten sanitären Installationen waren eine ideale Voraussetzung für die Ausbreitung der Krankheit. Allein in unserem Department Bouches-du-Rhône gab es über fünfhundert Fälle. Mit CODETRAS, unserem regionalen Kollektiv zur Verteidigung der ausländischen Arbeiter·innen in der Landwirtschaft, nahmen wir Kontakt mit diesen Migrant·innen auf, die auf verschiedenen Höfen und Campings wegen Covid-19 in Quarantäne leben mussten. Diese Menschen wurden zwar alle getestet, aber das Resultat erfuhren sie nur selten direkt. Sie waren zwecks Isolierung an diese Orte gebracht worden. Es mangelte ihnen an frischem Obst und Gemüse und an vielem anderen. So sammelten wir von CODETRAS auf Bauern- und Produzentenmärkten Nahrungsmittel, um diese zu verteilen. Während einem unserer Besuche an solchen Orten erlebten wir wie Arbeitsinspektor·inn·en auftauchten, um den Zustand der Einrichtungen zu prüfen. Ein Dekret der Präfektur verordnete daraufhin die teilweise Schliessung des überprüften Hofes wegen dem desolaten Zustand der sanitären Installationen und der Schlafstätten, in denen die Menschen zusammengepfercht waren. Auch die Tatsache, dass es vor Ort kein Trinkwasser gab, spielte bei dieser Entscheidung eine Rolle. Ein Teil dieser Höfe wird schon seit Jahren von Terra Fecundis für die Unterbringung der Arbeiter·innen angemietet; einige davon bei einem Grossgrundbesitzer und erfolgreichen Agromanager der Region.
Ausbeutung vor Gericht
Am 16. Juni 2020 fand in Arles vor dem Arbeitsgericht ein Prozess von fünf Arbeiter·innen gegen eine andere Leiharbeitsfirma aus Spanien mit dem Namen Terra Laboral statt: Drei Frauen und zwei Männer zeigten den Mut, ihre Rechte einzuklagen und die skandalösen Erfahrungen mit dieser Firma bekannt zu machen. Von CODETRAS aus haben wir von Anfang an eine Prozessbeobachtung organisiert und die Arbeiter·innen unterstützt. Wir zitieren aus den Aussagen von einer der Frauen: «Wahrscheinlich werden Tiere besser behandelt als wir.» Sie sprach von «Arbeitstagen von neun Stunden ohne Pause – wir mussten im Versteckten essen» und sie berichtete von sexuellen und moralischen Belästigungen von Seiten der Arbeitgeber und von einem Arbeitsvertrag, der wegen Schwangerschaft aufgelöst wurde. Während der Gerichtsverhandlung beschrieben die Kläger·innen und ihre Anwälte ein tägliches Leben, in dem andauernd «die Grundrechte verletzt werden». Wir hoffen, dass dieser Prozess und dessen Ausgang weitere Landarbeiter·innen dazu ermutigen wird, sich juristisch zu wehren.
Peter Gerber, CODETRAS