Vor 500 Jahren fand die wohl grösste Massenerhebung in Europa für eine gerechtere Gesellschaftsordnung statt, die als «Bauernkrieg» in den Geschichtsbüchern steht. Die bäuerliche Bevölkerung trug damals die Hauptlast zur Aufrechterhaltung der Feudalgesellschaft. Ist die aktuelle Ausbeutung der Natur und die Bedrängung indigener Gruppen eine globale Fortsetzung der Ereignisse vor 500 Jahren? 1. Teil
Auch heute wehren sich in vielen Ländern Menschen gegen Landraub und Ausbeutung. Ein Grund mehr, sich die Geschichte der Bauernkriege in Erinnerung zu rufen. Der deutsche Bauernkrieg, der vor 500 Jahren stattfand, war der grösste Volksaufstand in Westeuropa vor der Französischen Revolution. Wie ein Lauffeuer verbreitete er sich von Südwestdeutschland über Württemberg, Schwaben, das Allgäu, Franken, Thüringen und Sachsen bis ins Elsass im heutigen Frankreich, nach Tirol, Salzburg, die Steiermark und in die Schweiz. Er wanderte die Täler entlang von einer Region zur anderen und brach unerwartet in weit entfernten Gebieten aus. Überall erhoben sich Bauern und Bäuerinnen gegen Adel und Klerus. Auf dem Höhepunkt des Bauernkriegs hatten sich über hunderttausend Menschen mit den Aufständischen verbündet.
Die Bauernkriege übten bereits auf viele Generationen davor grosse Faszination aus. Denn es handelte sich um eine Revolte, deren uneingelöste Forderungen über Jahrhunderte weitergetragen wurden. Die Niederschlagung des Aufstandes sowie die weitere Unterdrückung der Bauernschaft gelten heute als Voraussetzung für die Etablierung des modernen Kapitalismus. Haben die Bauernkriege tatsächlich etwas mit der heutigen Sozialstruktur und mit der heutigen Landwirtschaft zu tun? Und wenn ja, könnten wir aus ihnen etwas lernen? Ich stelle diese Frage an Lisa Francesca Rail, Kultur- und Sozialanthropologin. Sie beschäftigt sich mit den Bauernkriegen von 1525 aus der Perspektive aktueller landwirtschaftspolitischer Debatten und forscht zur österreichischen Almwirtschaft und zu Eigentumstheorien, unter anderem in Kirgisistan.
Rail: «Das ist eine durchaus berechtigte Frage, denn auf den ersten Blick erscheinen die Bauernkriege ja sehr weit weg von der Landwirtschaft und der Ernährungspolitik unserer Gegenwart zu sein. Nur um ein paar Beispiele zu nennen: 1525 ist ein Grossteil der Bevölkerung Europas in der Landwirtschaft tätig, wohingegen es heute nur ein paar Prozent sind. 1525 herrschen feudale Abhängigkeitsverhältnisse, das heisst, die bäuerliche Bevölkerung ist an Grundherren, Adel und Landesfürsten gebunden, wohingegen wir heute in liberalen Demokratien leben. Ich denke besonders spannend wird es aber, wenn wir uns auf die Anliegen der aufstehenden Bauern konzentrieren und uns fragen, wogegen diese 1525 gekämpft und sich zur Wehr gesetzt haben. Ich denke, es lässt sich zusammenfassen, indem es einerseits um Kämpfe gegen Abhängigkeit und politische Unterdrückung ging, und andererseits um Kämpfe gegen Ausbeutung, das heisst gegen den Entzug von Lebensgrundlagen. Einerseits waren das auch Aufstände gegen die zu jener Zeit erhöhten Abgaben, aber auch gegen den Entzug von Wald und anderen Ressourcen, die damals wesentlich beschränkt wurden. Kurz gesagt wollten die aufständischen Bauern und Bäuerinnen ein selbstbestimmteres Leben, sie wollten vom Land und ihrer Arbeit leben können.»
Beim grossen Bauernkrieg vor 500 Jahren war die Vertreibung der Bauern und Bäuerinnen von ihren kollektiv genutzten Weiden und Wäldern, den so genannten Allmenden, ein Schlüsselelement. Zudem war die Fron- und Abgabenlast, mit der etwa die Habsburger zu jener Zeit die Türkenkriege finanzierten, enorm. Trotz seines gewaltigen Ausmasses sind der Bauernkrieg und seine blutige Niederschlagung heute beinahe in Vergessenheit geraten. Im Zentrum des Interesses stehen eher Luther und die Reformation – den Bauernkrieg betrachtete man lange Zeit als Nebenschauplatz.
Freiheit und Menschenrechte
Franziskus Forster, Politikwissenschaftler und Lektor an der Universität für Bodenkultur in Wien: «Für uns als berg- und kleinbäuerliche Organisation, als ÖBV-Via Campesina Austria, ist es wichtig, sich an diese Geschichte zu erinnern, weil sich da ganz Gewaltiges, ganz Erstaunliches, sehr Bedeutsames zugetragen hat vor 500 Jahren. Wenn wir zum Beispiel an die zwölf Artikel von Memmingen denken, die 1525 in die Welt getragen worden sind und die die Grundlage für den Widerstand waren, denken. Das war eine der ersten Niederschriften von Freiheits- und Menschenrechten. Wenn wir die heute anschauen, wenn wir die heute lesen und uns vergegenwärtigen, dann hat das für uns, für unsere Bauern und Bäuerinnen eine ganz grosse Bedeutung, um daraus zu lernen, um die Geschichte um uns und das, was heute so geworden ist, zu verstehen, und auch mit anderen Augen zu sehen.» Franziskus Forster arbeitet, neben seiner universitären Verantwortung, bei der Österreichischen Berg- und Kleinbauernvereinigung ÖBV – Via Campesina. Dort gibt er die Zeitschrift «Bäuerliche Zukunft» heraus, deren aktuelle Ausgabe sich ebenfalls dem Thema 500 Jahre Bauernkriege widmet. Die erwähnten «Zwölf Artikel» wurden im März 1525 in der oberschwäbischen Stadt Memmingen verfasst. Sie gelten als politisches Manifest, Beschwerdeschrift und Reformprogramm. In ihnen wurden die Forderungen niedergeschrieben, die die Bauern gegenüber dem Schwäbischen Bund erhoben, also gegenüber den Vertretern von Adel und Klerus. Das Manifest erschien in 25 Druckausgaben mit insgesamt ca. 25 Tausend Exemplaren, die sich rasch verbreiteten. Ein Medienereignis nach der Erfindung des Buchdrucks. Fast alle Aufständischen bezogen sich auf diese Flugschrift, die in der Historiographie des Bauernkrieges eine zentrale Rolle spielt.
Forster: «Und ganz wichtig ist eben auch, diese Geschichte nicht als eine Geschichte der Herrschenden zu betrachten, sondern als eine Geschichte von unten. Als eine Geschichte von Bewegungen, die sich vor uns dafür eingesetzt haben, dass es ein besseres Leben gibt, dass es gerechter zugeht in unserer Gesellschaft. Und da war vor 500 Jahren ein ganz wichtiger Prozess im Gange, der womöglich bis heute wirkt.» Die «Zwölf Artikel» von Memmingen enthielten unter anderem die Forderung, dass jede Gemeinde das Recht haben solle, ihren Pfarrer selbst zu wählen und ihn gegebenenfalls auch wieder abzusetzen. Alle Wälder sowie Wiesen und Äcker, die Gemeindeland waren, sollten an die Bauern zurückgegeben werden, damit sie ihren Bedarf an Bau- und Brennholz decken könnten. Ausserdem wurden die Frondienste in Frage gestellt und die Abschaffung der Leibeigenschaft gefordert.
Florian Hurtig ist Sachbuchautor und Bauer in einer solidarischen Landwirtschaft, also einem Zusammenschluss von Produzent·innen und Konsument·innen im Dorf Alfter bei Bonn. In seinem demnächst erscheinenden Buch über die Bauernkriege geht er ausführlich auf die damaligen Ereignisse und ihre Bedeutung für die heutige Zeit ein: «Das hat schon im Sommer 1524 angefangen, und zwar im Bodensee-Bereich, im Hegau und Klettgau. Es gibt die Geschichte, dass die Gräfin von Lupfen ihre Bäuerinnen und Bauern zur Erntezeit losgeschickt hat, Schneckenhäuser zu sammeln, weil sie die gebraucht hätte, um dort Garn aufzuwickeln, und dass die Bauern deshalb ihre Ernte nicht einholen konnten, und das der Auslöser war. Das ist wohl eine Anekdote, die erzählt man sich immer wieder. Das war so der Ort und die Zeit, wo's losging. Da hat sich's dann ausgebreitet ins Württembergische und Badische Gebiet und im März 1525 hat sich's in alle Richtungen ausgebreitet, in Bayern, im heutigen Frankreich, im Elsass. Die Hochphase in Österreich war etwas später, dort hat es sich auch etwas länger gehalten, bis 1526, da waren die Bergknappen auch mit dabei, und im Norden bis Hessen und Thüringen.»
Geschichte wird gemacht
Der Bauernkrieg kann nicht getrennt betrachtet werden vom Wirken Martin Luthers. Wenige Jahr zuvor hatte er sich auf dem Reichstag zu Worms Kaiser Karl V. und den Reichsständen widersetzt, indem er sich weigerte, seine 95 Thesen zu widerrufen. Doch bald scharten sich die Landesfürsten und die frühkapitalistischen Städte um ihn, denn mit der neuen Glaubensrichtung sahen sie ihre Chance gekommen – ihre aufsteigende Macht wollten sie sich von den revoltierenden Bauern nicht nehmen lassen. Luther machte aus seiner Haltung sogar einen Glaubensspruch, der bis heute fortwirkt: «Wirklich frei ist nur der innere Mensch», schrieb er, «der äussere aber bleibt der Obrigkeit unterworfen». Sein berühmter Gegenspieler Thomas Müntzer, der sich als Prediger an die Spitze der Bauernheere stellte, sah das anders. Und so öffnete sich damals ein Möglichkeitsfenster für umfassende soziale Gerechtigkeit, wie Franziskus Forster von der Kleinbauernvereinigung ÖBV betont: «Wichtig ist eben auch immer, Geschichte als etwas zu begreifen, wo man dann auch sieht: Es kann auch anders gehen, es kann anders sein. Es gibt immer Alternativen, es gab immer Alternativen, Geschichte wird gemacht. Und natürlich: Die Bauernkriege und auch viele andere Bewegungen vor uns, das sind oft auch Geschichten der Niederlagen, der Rückschläge. Aber man kann das eben auch so begreifen, zu schauen, was gibt es Uneingelöstes, welche Alternativen sind schon bereitgelegen, welche Alternativen gibt’s und was können wir uns für unsere bäuerliche Zukunft da auch mitnehmen.»
Der Grundstein für die ungleiche Verteilung von Land in Europa wurde im späten Mittelalter gelegt. Nach der Niederschlagung der Bauernrevolten setzte sich im 16. Jahrhundert mit der Kolonisierung der so genannten Neuen Welt der Landraub dann in Übersee fort. Die italienisch-amerikanische Historikerin Silvia Federici hat in ihren Werken stets auf den Zusammenhang zwischen dem Raub der Allmenden in Europa und den kolonialen Raubzügen hingewiesen. Ihr berühmtestes Werk «Caliban und die Hexe» wurde vor allem in feministischen Debatten breit rezipiert. Nicht zufällig entwickelte sich in der frühen Neuzeit auch die moderne Wissenschaft mit ihrem mechanisch-rationalistischen Weltbild. René Descartes und Francis Bacon gelten heute, wenn man es so betrachtet, als diejenigen Philosophen, die im 16. und 17. Jahrhundert der Trennung von Natur und Mensch und letztendlich auch der Unterdrückung der vermeintlich primitiven Bauern und Kolonisierten Legitimität verschafften. Franziskus Forster erinnert an die Kontinuität dieses Denkens bis in die heutige Zeit: «Es ist eben aus unserer Sicht auch wichtig, zu fragen, welche Mechanismen vor 500 Jahren und möglicherweise auch heute noch dafür sorgen, dass die Bauern und Bäuerinnen nicht genug zum Leben haben, dass es weiterhin, auch aus einer globalen Perspektive, Unterdrückung und Ausbeutung gibt, dass es eine Landwirtschaft gibt, die nach wie vor nicht in der Lage ist, alle Menschen auf dieser Welt zu ernähren. Oder auch zu verstehen: Warum ist das Land so ungleich verteilt, wie ist das entstanden? Da muss man tatsächlich sehr weit – etwa 500 Jahre – zurückgehen, um das näher zu verstehen.»
Die Ungleichverteilung von Land beschäftigte auch Karl Marx in seinem Hauptwerk «das Kapital». Im berühmten 24. Kapitel des ersten Bandes geht es um die so genannte ursprüngliche Akkumulation, die Marx als den «historischen Scheidungsprozess von Produzent und Produktionsmittel» beschreibt. Dieser setzt zu Beginn der Neuzeit ein und bildet laut Marx «die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise.» Im Mittelalter hatte die bäuerliche Bevölkerung entgegen der oft vorherrschenden Annahme hingegen mehr ökonomische und soziale Spielräume, wie Florian Hurtig betont: «Um die Allmenden herum hat sich eine ganze Dorfgemeinschaft organisiert, die relativ selbstständig agieren konnte. Und gerade die gemeinsame Organisierung auf den Allmenden hat dazu geführt, dass es ein kollektives Bewusstsein gab und eine kollektive Organisierung: Wer treibt wann die Tiere in den Wald, wer nutzt wann die Weiden, wer nutzt die Rinde der Eichen für die Gerberei, und dadurch ist eine kollektive Dorforganisierung entstanden, die dann dazu geführt hat oder dazu führen konnte, dass man sich dann auch so massenhaft erhebt, weil eine kollektive Organisierung schon eingeübt war.»
Alexander Behr
Dieser Artikel ist der 1. Teil der Transkription einer Radiosendung von Alexander Behr (EBF-Österreich) mit dem Titel «500 Jahre Bauernkriege – Widerstand gegen Landraub und Ausbeutung» in der Reihe «Dimensionen». Die Sendung wurde am 15.04.2025 im Österreichischen Rundfunk auf Ö1 ausgestrahlt.